Evergrande-Gründer Hui Ka Yan Der Mann, der China an den Rand des Kollapses brachte

Der hoch verschuldete chinesische Immobilienkonzern Evergrande droht zu kollabieren und das Finanzsystem der Volksrepublik in eine Krise zu stürzen. Das Schicksal des Unternehmens ist verknüpft mit dem seines Gründers: Hui Ka Yan.
Manager-Magazin-Redakteur Christoph Rottwilm
Aufrichtigkeit, Ernsthaftigkeit, Sturheit: Evergrande-Gründer Hui Ka Yan stammt aus einfachen Verhältnissen

Aufrichtigkeit, Ernsthaftigkeit, Sturheit: Evergrande-Gründer Hui Ka Yan stammt aus einfachen Verhältnissen

Foto: Bobby Yip / REUTERS

Der Mann, der China an den Rand des Kollapses führte, verlor seine Mutter schon, da war er gerade acht Monate alt. Sie starb an einer Blutvergiftung, und dieser Verlust, so soll Hui Ka Yan einmal in privatem Kreis gesagt haben, prägte seine Persönlichkeit. Seine Unabhängigkeit und Sturheit, so zitieren chinesische Medien  den heute 62-jährigen Immobilienmilliardär, könnten mit dem Mangel an mütterlicher Liebe zusammenhängen.

Aufrichtigkeit, Rechtschaffenheit, Ernsthaftigkeit – wenn es Eigenschaften gibt, die Hui von seinem Vater erbte, dann wohl diese. So zumindest stellt es ein naher Verwandter dar. Ein alter Revolutionär sei der Senior gewesen, seit seinem 16. Lebensjahr in der Armee, kampferprobt in Kriegseinsätzen als Kompanieführer gegen Japan in den Dreißiger- und Vierzigerjahren.

Großgezogen wurde Hui Ka Yan von seiner Großmutter, in den einfachen Verhältnissen des ländlichen China. Er studierte an der Wuhan Iron and Steel University, der heutigen Wuhan University of Science and Technology (WUST), und stieg Anfang der Achtzigerjahre in der Stahlindustrie ins Berufsleben ein. Schon nach wenigen Jahren hatte Hui den Rang eines Direktors erreicht, doch Anfang der Neunzigerjahre beschloss er seinen Stahljob aufzugeben und in die wirtschaftlich aufstrebende Provinz Guangdong im Südosten Chinas zu ziehen. Wenig später tat er den Schritt, der sein weiteres Leben bestimmen sollte: Hui gründete die Immobilienfirma Evergrande.

Es folgten zwei Jahrzehnte des Wachstums und des Erfolgs – jedenfalls vordergründig. Der Evergrande-Konzern trieb maßgeblich den chinesischen Immobilienboom voran und zog reihenweise Wohnprojekte in den prosperierenden Großstädten der Volksrepublik hoch. Wobei – Stichwort väterliche Rechtschaffenheit – bei der Beschaffung von Bauland Medien zufolge nicht immer alles mit Recht und Gesetz in Einklang stand.

Evergrande im Herzen der chinesischen Wirtschaft

So trug das Unternehmen jahrelang erheblich zum Aufschwung Chinas bei, der zum Großteil auf diesem Hype am Häuser- und Wohnungsmarkt basiert. Dreiviertel des privaten Wohlstandes in China sind mit Immobilienbesitz verknüpft, schreibt die »New York Times« . Evergrande agiert damit im Herzen einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit. Und Firmengründer Hui Ka Yan, der bis heute rund 70 Prozent der Unternehmensanteile hält, verdiente kräftig mit.

Auf dem Höhepunkt des Booms, 2017, taxierte das US-Magazin »Forbes« Huis Vermögen auf 45 Milliarden Dollar – und krönte den Evergrande-Macher zum reichsten Mann Asiens. Sein Konzern wuchs über den Immobilienmarkt hinaus, leistete sich mit dem Guangzhou FC  den erfolgreichsten Fußballklub Chinas und eröffnete neue Geschäftsfelder. So betrieb Evergrande Medienberichten zufolge kurzzeitig auch Schweinefarmen.

Fußballklubs, Schweinefarmen – und Elektroautos

Deutlich stärker beachtet wurde aber das Engagement im Automobilsektor: Die China Evergrande New Energy Vehicle Group soll Elektroautos bauen und ist bereits eigens an der Börse notiert. Noch im Frühjahr dieses Jahres warb Gründer Hui laut »Wall Street Journal«  bei einem privaten Essen des Alibaba-Gründers Jack Ma für das Unternehmen, das den US-Hersteller Tesla überholen und 2025 der größte E-Autobauer der Welt werden würde. Der Marktwert von Evergrandes Auto-Tochter schoss zu jener Zeit in Richtung 90 Milliarden US-Dollar in die Höhe – dabei hat die Firma bis heute noch kein massentaugliches Auto auf den Markt gebracht.

Inzwischen ist die Auto-Aktie von Evergrande wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen (Marktwert zuletzt rund 54 Milliarden Hongkongdollar, also knapp sieben Milliarden US-Dollar). Und auch mit den Aktien und Anleihen des Evergrande-Immobilienkonzerns geht es seit Monaten abwärts: Investoren flüchten, weil dem Unternehmen der Schuldenberg, den es im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte aufgebaut hat, zum Verhängnis zu werden droht.

Schuldenberg von rund 300 Milliarden Dollar, Stillstand auf den Baustellen

Der gesamte Immobilienboom Chinas basiert zum Großteil auf Kreditfinanzierung – und wohl kein anderes Immobilienunternehmen ist so stark verschuldet wie Evergrande. Auf 300 Milliarden Dollar summieren sich die Schulden des Konzerns Medienberichten zufolge. Schwierigkeiten mit den Außenständen hatte der Konzern schon vor der Pandemie. Die Coronakrise hat diese Probleme nun noch einmal verschärft.

Das heißt: Evergrande steckt tief im Schlamassel. Medien berichten von Hunderten Baustellen des Konzerns in ganz China, auf denen es derzeit nicht vorangeht. Lieferanten warten auf Gelder – und Gläubiger ebenfalls. Vor Kurzem wurden die Verantwortlichen des Konzerns bereits von Chinas Behörden aufgefordert, das Schuldenproblem zu lösen. Doch das scheint nicht so einfach: Das Immobiliengeschäft in der Volksrepublik läuft längst nicht mehr so rund wie vor einigen Jahren.

Sorgen um Chinas Finanzsystem

Zuletzt warnte Evergrande selbst wiederholt, dass es zu Kreditausfällen kommen könnte, falls es nicht gelänge, die Bautätigkeit wieder zu starten, Geschäftsteile zu veräußern und Darlehen zu verlängern. Die Investorenflucht hat das nur beschleunigt. Ratingagenturen wie Fitch oder Moody's haben die Bonität des Konzerns inzwischen herabgestuft. Kurzum: Evergrande befindet sich am Rande des Kollapses – und sollte der eintreten, dann dürfte er sich weit über die Unternehmensgrenzen hinaus auswirken.

So rechnen Beobachter mit Schockwellen, die durch das gesamte chinesische Banken- und Finanzsystem gehen könnten. »Seine riesige Bilanz wird einen echten Dominoeffekt auf China haben«, wird Lu Ting, ein Ökonom vom Investmenthaus Nomura, in Medien zitiert. »Wenn Finanzinstitute Geld verlieren, werden sie die Kreditvergabe an andere Unternehmen und Sektoren einschränken.«

Ein Scheitern Evergrandes könnte einen Kreditcrunch der gesamten chinesischen Wirtschaft zur Folge haben, meint laut »New York Times« auch Chen Zhiwu, Finanzprofessor von der Universität Hongkong. Das wären »keine guten Nachrichten für das Finanzsystem und die Wirtschaft«, sagt er. Nach Einschätzung der »Financial Times « wären die Auswirkungen eines solchen Zusammenbruchs sogar außerhalb Chinas auf den internationalen Märkten zu spüren.

Die große Frage ist, ob die Verantwortlichen in Pekings Politik und Behörden ein derartiges Scheitern zulassen würden. Die vielen Gelder, die Investoren aus aller Welt über die Jahre in das Unternehmen gesteckt haben, flossen nicht zuletzt im Vertrauen darauf, dass Peking im Zweifel mögliche Verluste verhindern würde. Ein Grund für diese Hoffnung lag wiederum in der Person von Evergrande-Gründer Hui Ka Yan, der politisch als gut vernetzt gilt.

Hui ist bestens vernetzt – und war Redner beim Nationalkongress

So soll Hui einen Förderer in Zeng Qinghong gehabt haben, einem inzwischen abgetretenen Politiker Chinas, der es in den Nullerjahren in höchste Ämter schaffte. Laut »New York Times« ist Hui zudem Mitglied in der Chinese People's Political Consultative Conference, einer elitären Gruppe politisch bestens verdrahteter Berater. Noch 2018 sprach Hui auf dem 13. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas.

Einerseits. Andererseits hat Peking seine Einstellung gegenüber der Wirtschaftselite des Landes, die über die Jahre nicht zuletzt auch privat enorme Reichtümer angehäuft hat, zuletzt offensichtlich geändert. Die Regulierung, die vor allem die Tech-Industrie in den vergangenen Monaten erfuhr, deutet in diese Richtung. Zudem gilt die hohe Verschuldung im Immobiliensektor manch einem inzwischen als ein strukturelles Problem der chinesischen Wirtschaft, das gelöst werden sollte – Peking könnte daher ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen.

Evergrande-Gründer Hui hat nicht zuletzt ein Eigeninteresse an der Rettung seines Unternehmens. Sein Privatvermögen ist laut »Forbes«  im Zuge des Niedergangs der vergangenen Jahre auf 12,2 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Auf der anderen Seite steht ihm mit Staatspräsident Xi Jinping ein Entscheider gegenüber, der Ende kommenden Jahres, beim Parteitag der Kommunistischen Partei, auf eine weitere Amtszeit hofft, und dem daher zumindest bis dahin an Stabilität im Land gelegen sein dürfte. Für Evergrande-Investoren könnte das ein Grund zur Hoffnung sein.

cr
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