Streit über Exportüberschuss Wehklagen made in Germany

Containerschiff in Hamburg: Deutsche Waren für die Welt
Foto: Jens Ressing/ dpaDen Deutschen wird in Europa Leid angetan, mal wieder. Daran kann kein Zweifel bestehen, zumindest nicht wenn man deutschen Politikern zuhört oder deutschen Wirtschaftsbossen lauscht. Sie argumentieren zumeist ähnlich - und am liebsten im Ausrufezeichen-Stil: Deutschland soll für seinen Erfolg bestraft werden! Leistung muss sich lohnen!
Stein des Anstoßes: die heute verkündete und bereits seit Tagen absehbare Ankündigung der Europäischen Kommission, den Exportüberschuss der Bundesrepublik unter die Lupe zu nehmen. Der ist mittlerweile auf über sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochgeschnellt. Allein im September übertrafen deutsche Exporte die Einfuhren um mehr als 20 Milliarden Euro. Sollte die Kommissions-Untersuchung ergeben, dass der deutsche Überschuss "exzessiv" ist, droht Deutschland theoretisch eine Strafe von bis zu 0,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, über 2,5 Milliarden Euro.
Dass es so weit kommt, halten Experten in Brüssel für unwahrscheinlich. Dies kann den deutschen Zorn aber keineswegs mildern. Es sei ja wohl schon schlimm genug, dass Überschüsse überhaupt in einen Topf mit Defiziten geworfen werden sollen, schallt es aus Berlin. Und generell: Wie könnten "Kontrolleure in Brüssel" ausgerechnet das Land bestrafen wollen, das als Wachstumslokomotive des Kontinents die Euro-Zone im Alleingang aus der Krise ziehen solle?
Deutsche Beschwerdeführer vergessen nur eine Kleinigkeit: Sie selbst haben die Regel mitgetragen, auch zu hohe Exportüberschüsse im Blick zu behalten. Diese Vorschrift gehört genau wie Vorgaben für Defizite, Staatsschulden oder Inflation zu dem bunten Strauß an Kriterien, welche die Euro-Zone makroökonomisch endlich stabiler machen soll.
Natürlich haben deutsche Beamte dieser Regelung einst nur zugestimmt, um noch striktere Vorschriften zur Exportkontrolle zu verhindern. Und doch: Berlin hat damit eindeutig den Grundsatz anerkannt, dass hohe Haushaltsüberschüsse genau wie massive Defizite zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen können - ein Grundsatz, der in der Euro-Krise neue Aktualität gewinnt, da viele Ökonomen mehr Binnennachfrage und weniger Exporte in Deutschland für dringend notwendig erachten, um das Wachstum in Krisenstaaten anzukurbeln.
Ob dieser Grundsatz im Detail stimmt oder nicht, darum soll es hier nicht gehen. Wohl aber um die Präzedenz-Wirkung von Regeln und deren Einhaltung. Die Bundesregierung betont bei jeder Gelegenheit, der Euro-Raum müsse eine Gemeinschaft des Rechts sein. Sie ermahnt Krisenstaaten, die sich etwa über zu strenge Auslegung von Obergrenzen für Haushaltsdefizite zu beklagen, diese hätten den Regeln ja einst zugestimmt.
Sobald es aber um Deutschland geht, sollen offenbar andere Maßstäbe gelten - ähnlich wie bei Maastricht-Kriterien, welche die Schröder-Regierung 2003 als einer der ersten EU-Mitgliedstaaten verletzte.
Misst Deutschland nun erneut mit zweierlei Maß, büßt es jene Glaubwürdigkeit ein, die in diesen Krisenzeiten die wichtigste Währung ist - und muss sich nicht wundern, dass der Botschafter eines EU-Südstaates am Dienstag in Brüssel wütend verkündet, gegen die deutsche Übermacht innerhalb der Europäischen Union könne nur bestehen, wer Berlin zeige, dass "für alle die gleichen Regeln gelten".
Derartige Zwietracht unter Partnern kann sich Europa noch weniger leisten als zu hohe Defizite oder Überschüsse. Daher sollten sich die Deutschen ihr Jammern einfach sparen.