Warnung von EZB-Chefin Lagarde Inflation könnte länger andauern als gedacht

EZB-Präsidentin Christine Lagarde: »Mittelfristig« unter dem Zwei-Prozent-Ziel
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Die Phase erhöhter Inflation im Euroraum könnte laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde länger andauern als erwartet. Zwar gehe die Notenbank weiter davon aus, dass die Lieferkettenprobleme im Laufe des kommenden Jahres schrittweise behoben würden, sagte Lagarde am Montag in einer Anhörung vor einem Ausschuss des Europaparlaments. »Doch der Rückgang wird länger dauern als ursprünglich gedacht.«
Falls die Energiepreise weiter anzögen und die Lieferprobleme anhielten, könnte die Teuerung auch für längere Zeit höher ausfallen. Man gehe aber davon aus, dass die Inflation »mittelfristig« unter dem Zwei-Prozent-Ziel bleibe, sagte Lagarde. Einen genaueren Zeitraum nannte sie nicht. Die Inflationsrate lag im Oktober in der Eurozone mit 4,1 Prozent merklich über dem Zielwert.
Lagarde verwies zudem auf die Unsicherheit durch die Coronapandemie. »Die Herausforderung ist noch nicht vorbei«, sagte Lagarde. »Nicht nur der Verlauf der Pandemie, sondern auch die von den politischen Entscheidungsträgern getroffenen Entscheidungen werden weiterhin über die Stärke der Erholung entscheiden.«
Noch im Oktober baldiges Sinken der Inflation erwartet
Im Oktober hatte sich Lagarde noch deutlich optimistischer gezeigt. »Einige Einflussfaktoren dürften bald wieder verschwinden, etwa die preistreibenden Effekte, die sich aus gestörten Lieferketten ergeben oder aus der Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland«, sagte sie damals dem SPIEGEL. Auf diese Phänomene habe die Geldpolitik ohnehin keinen direkten Einfluss. Sie gehe davon aus, dass die Effekte weitgehend vorübergehender Natur seien und die Inflation 2022 wieder sinke.
Eine Leitzinserhöhung stellte Lagarde vor dem Ausschuss des Europaparlaments nicht in Aussicht. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Bedingungen für eine Zinsanhebung im kommenden Jahr erfüllt seien.
Banken verlangen EZB-Reaktion
Dessen ungeachtet fordern mehrere Banken ein Ende der Niedrigzinspolitik. »Das vermeintliche Allheilmittel in den vergangenen Jahren – niedrige Zinsen bei vermeintlich stabilen Preisen – hat seine Wirkung verloren, denn jetzt kämpfen wir mit deren Nebenwirkungen«, sagte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing am Montag zum Auftakt der Euro Finance Week in Frankfurt am Main. Für die Bankkunden macht sich das in Form von Negativzinsen für höhere Guthaben bemerkbar.

Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing auf der Euro Finance Week
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»Wir sehen auch, dass das Thema Inflation nicht ganz so temporär ist, wie es möglicherweise aus politischen Kreisen postuliert wird«, sagte der neue Chef von HSBC Deutschland, Nicolo Salsano.
Cornelius Riese, Co-Chef des genossenschaftlichen Spitzeninstituts DZ Bank, erinnerte daran, dass die EZB in den vergangenen Jahren angesichts seinerzeit vergleichsweise niedriger Teuerungsraten vor Deflation gewarnt hatte, also einem Verfall der Preise auf breiter Front als Risiko für die Konjunktur. »Für mich stellt sich die Frage: Wo ist eigentlich das Problembewusstsein der EZB, was synchron ist zum Thema Inflation?«, sagte Riese.