BAUSPARKASSEN Fänger von Hameln
In der Weinstube des Würzburger Dreisterne-Hotels Rebstock herrschte ausgelassene Stimmung.
Die Tafelrunde, ausnahmslos Aufsichtsräte des Bausparunternehmens Beamtenheimstättenwerk (BHW), trank auf den erwarteten »Erfolg bei Gericht«. Laut BHW-Aufsichtsrat Bodo Künstler waren sich die Proster einig: »Den Prozeß können wir überhaupt nicht verlieren.«
Prozeßgegner ist immerhin eine Bundesbehörde. Das Berliner Aufsichtsamt für das Kreditwesen, das die Konditionen und Reserven der Bausparkassen überwacht, hatte Mitte September den Branchenführer BHW (Vertragsbestand: über 100 Milliarden Mark) in einer »amtlichen Anordnung« aufgefordert, den Kampfzins für Baudarlehen von 4,5 auf volle fünf Prozent heraufzusetzen.
Amtspräsidentin Inge-Lohre Bähre will nicht länger hinnehmen, daß die BHW-Manager geltende Bausparnormen verletzen. Nach ihrer Ansicht schreiben die Allgemeinen Bausparbedingungen vor, daß die Kassen für ihre Darlehen an die Bausparer mindestens
* Bei der Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes durch den nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau.
zwei Prozent mehr Zins verlangen müssen, als sie für jene Gelder einnehmen, die von den Kunden vor Zuteilung der Verträge angespart wurden und bei den Kassen gehalten werden.
Beim Branchenführer BHW war diese Marge schon vor 21 Jahren auf 1,5 Prozent geschrumpft und stets als Sondertarif von den Aufsichtsbehörden genehmigt worden. Erst die im letzten Jahr vereidigte neue Präsidentin wollte die Sonderbedingungen nicht länger gelten lassen.
BHW-Chef Peter Müller dagegen will keinesfalls auf sein Verkaufsargument verzichten. Er rief das Berliner Verwaltungsgericht an, um die Anordnung der Präsidentin zu revidieren -und um Zeit zu gewinnen. Denn während der Rechtsstreit durch alle Instanzen ausgefochten wird, will Müller zunächst weiter die BHW-Darlehen ein halbes Prozent günstiger austeilen als die Konkurrenz.
Auch Frau Bähre will nicht nachgeben: »An der Zwei-Prozent-Spanne hänge ich eisern fest.«
Die Präsidentin hat ihre Gründe: Die BHW-Praxis könnte, schon wegen ihrer Attraktivität bei der Kundschaft, auch die BHW-Konkurrenten zu knapperer und damit gefährlicher Kalkulation treiben.
Vorsorglich verweigerte das Amt dem Branchenzweiten Schwäbisch Hall (Werbeslogan: »Auf diese Steine können Sie bauen") einen Sondertarif für die Zielgruppe »öffentlicher Dienst«. Das Angebot war in fast allen Punkten mit der BHW-Formel identisch.
Auch Schwäbisch-Hall-Boß Franz Bieling will gegen diesen Entscheid klagen. Solange die »Bausparfänger von Hameln« (Branchenjargon für das in Hameln residierende BHW) »sich nicht an die Spielregeln halten«, verspricht Bieling, »werden auch wir alle Rechtsmittel ausschöpfen«.
Die Branchenführer haben es vor allem darauf abgesehen, mit attraktiven Sondertarifen neue Kunden zu keilen. Denn nur bei zweistelligen Wachstumsraten im Neugeschäft kann die Branche die Zuteilungs- und Darlehenswünsche ihrer Kunden so reibungslos und zügig erfüllen wie bisher.
Schon der Abbau der staatlichen Bausparsubventionen im vergangenen Jahr macht mancher Firma Schwierigkeiten. »Das könnte noch zur Achillesferse der ganzen Branche werden«, fürchtet Bieling.
In der Tat rufen seit Monaten wegen des anhaltenden Booms im Eigenheimbau doppelt so viele Bausparer Darlehen und Guthaben ab, wie neue Kunden Geld einzahlen.
Folge: Die prallen Liquiditätspolster der Kassenkollektive werden erstmals dünner. Hält der neue Trend an, sinnierte Verbandspräsident und Wüstenrot-Chef Walter Englert, »dann ist die Gefahr riesengroß, daß diverse Firmen in einen Strudel kommen«.
Den Bausparern würde das kaum schmecken: Die Kassen müßten längere Wartezeiten festsetzen.
Diese Sorgen lassen allerdings die auf das Geschäft mit Staatsdienern spezialisierten BHW-Manager völlig ungerührt: Das bei den bausparfreudigen Beamten vom Soldaten bis zum Postboten fast mit Monopolanspruch auftretende Heimstättenwerk konnte fast mühelos an den Größten der Branche vorbeiziehen.
Wegen seiner im Beamtenheimstättengesetz von 1927 festgeschriebenen Gemeinnützigkeit war das BHW bis 1975 von belastenden Steuern befreit.
Dieses erst 1976 gestrichene Privileg erlaubte Billig-Konditionen und lockte so vor allem viele Beamtensparer an.
Der langjährige Ludwigsburger Branchenführer Wüstenrot war bald abgehängt: Von 1966 bis 1976, in denen Wüstenrot und Schwäbisch Hall jeweils gut 700 Millionen Steuern abführten, verdoppelten die BHW-Manager ihren Anteil am Neugeschäft auf über 20 Prozent (siehe Tabelle).
Die Hamelner verdanken ihre Erfolge allerdings nicht nur ihren Steuerprivilegien, die immerhin den Staat in den letzten zehn Jahren einen Steuerausfall von über 650 Millionen Mark kosteten. Schwerer noch wiegt der Wettbewerbsvorteil, den mehr als 4700 Vertrauensmänner bei Behörden und Bundesunternehmen vom Zöllner bis zum Eisenbahner dem BHW verschaffen.
Selbst während ihrer Dienstzeit ist es den BHW-Obmännern gestattet, bei Amtskollegen auf Kundenfang zu gehen: Weil das BHW vor Jahrzehnten als »Selbsthilfeeinrichtung« anerkannt wurde, dürfen seine Vertreter ihren aus Steuergeldern bezahlten Beamtensold durch BHW-Provisionen aufbessern.
Das System zahlt sich aus. Die BHW-Verkäufer akquirieren inzwischen rund 40 Prozent mehr Neugeschäfte als Wüstenrot -- obgleich die Ludwigsburger mit fast 700 Filialen sechsmal mehr Außenstellen unterhalten.
Auch im Rekordjahr 1976, als die BHW-Vertrauensmänner jede fünfte Bausparmark nach Hameln holten, brauchte Branchenführer Müller nicht einmal die Hälfte der Vertreter-Provisionen zahlen, die bei den abgeschlagenen Konkurrenten Wüstenrot und Schwäbisch Hall fällig wurden. Seine Firma hat inzwischen mehr Rücklagen gesammelt als alle anderen 16 privaten Wettbewerber zusammen.
Diese Sonderstellung wollen die Hamelner auch im Verfahren gegen das Bundesaufsichtsamt ausspielen. »Unser Sonderzins entspricht eben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ist daher voll gerechtfertigt«, rühmt BHW-Aufsichtsrat Künstler die Finanzkraft der Firma.
Eine peinliche Schlappe blieb dem Spitzenreiter gleichwohl nicht erspart. Heimstätten-Chef Müller mußte nach Bonner Einspruch darauf verzichten, den früheren Staatssekretär Louis Storck auf einen eigens freigehaltenen Geschäftsführerposten zu befördern. Als Vorstandssprecher der bundeseigenen Deutschen Bau- und Bodenbank hat der ehrgeizige SPD-Genosse nämlich nicht weniger als das halbe Aktienkapital verspielt und Bonn zu einem Geldnachschuß von über 175 Millionen Mark gezwungen. Storck muß sich mit einem minderen Posten begnügen.