AUTO-INDUSTRIE Falsches Signal
Als der Aufsichtsrat von Daimler-Benz am Mittwoch vorletzter Woche zu seiner Sitzung in der Konzernzentrale am Neckar zusammenkam, war den Mitgliedern des Kontrollgremiums klar, daß es wieder einmal Streit geben würde.
Die Tagesordnung enthielt unter Nummer vier einen heiklen Punkt: Der Vorstand des Unternehmens bat um die Genehmigung, bei der südafrikanischen Mercedes-Tochter das Kapital um bis zu 160 Millionen Rand (umgerechnet rund 150 Millionen Mark) zu erhöhen. Andernfalls, so die Daimler-Manager, müsse das Werk geschlossen werden. Über 5000 Arbeiter verlören ihren Job.
Die Arbeitnehmervertreter im Daimler-Aufsichtsrat hatten bereits vor der Sitzung verabredet, den Antrag des Vorstands abzulehnen. Eine Kapitalerhöhung in Südafrika, begründete Franz Steinkühler von der IG Metall den Anteilseignern in Stuttgart das Nein der Arbeitnehmerbank, werde in der Öffentlichkeit als Unterstützung des Apartheid-Regimes gedeutet. Dies sei »das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt«.
Die Argumente des Gewerkschafters ließen die Kapitalseite nicht unbeeindruckt. Nach über einer Stunde Diskussion bat Daimler-Aufsichtsratschef Alfred Herrhausen von der Deutschen Bank das Mercedes-Management, doch
noch einmal zu bedenken, ob es an seinem Antrag festhalten wolle.
Der Mercedes-Vorstand beriet sich kurz in einem Nebenraum und beharrte auf seiner Position: Die Tochter in Südafrika sei nur durch eine sofortige Kapitalerhöhung zu retten. Mit sichtlichem Unbehagen ließ Herrhausen abstimmen: Die Arbeitnehmerseite unterlag mit neun zu elf Stimmen.
So fatal die politische Optik dieser Entscheidung auch ist: Die Mercedes-Tochter in Südafrika braucht tatsächlich dringend Kapital. Das Unternehmen macht im laufenden Jahr rund 70 Millionen Mark Verlust.
Der Absatz von Lkw, von denen ein Gutteil für das südafrikanische Militär bestimmt ist, ging um ein Drittel zurück. Noch schlechter lief der Verkauf von Personenautos. Nach rund 16 000 Wagen im vergangenen Jahr verkauft Mercedes 1985 nur noch etwa 10 000. Auf dem Mercedes-Werksgelände in East London stehen »Mordsbestände« (so ein Daimler-Manager) herum.
Der schwere Absatzeinbruch des Autos mit dem Stern läßt sich nur zum Teil damit erklären, daß das alte Mittelklassemodell Anfang nächsten Jahres durch das moderne Nachfolgemodell abgelöst wird. Er ist vor allem eine Folge der Wirtschaftskrise, die das Land am Kap der Guten Hoffnung durchmacht. Und davon sind auch die anderen deutschen Auto-Firmen betroffen.
Der Absatz von Personenwagen ging in diesem Jahr um etwa 40 Prozent zurück. Alle in Südafrika produzierenden Auto-Firmen - darunter neben Mercedes auch die deutschen Unternehmen BMW und Volkswagen - machen derzeit Verlust.
Einige haben schon den Rückzug angeordnet. Das US-Unternehmen Ford zum Beispiel legte im Frühjahr ein Werk in Südafrika für immer still und trat die Mehrheit seiner südafrikanischen Tochtergesellschaft an ein einheimisches Unternehmen ab; Alfa Romeo will sich zum Jahresende ganz aus Südafrika zurückziehen.
Die deutschen Auto-Fabrikanten am Kap entschlossen sich hingegen zum Durchhalten, auch wenn das nur mit Kurzarbeit oder vorübergehenden Werksschließungen möglich ist.
Das Daimler-Werk in East London arbeitet gegenwärtig kurz. Die BMW-Werke in Rosslyn bei Pretoria und im Homeland Bophuthatswana waren im September und Oktober für fünf Wochen geschlossen, sie arbeiten jetzt nur noch vier Tage in der Woche.
»Wir haben aus sozialer Verantwortung keine Arbeitskräfte entlassen«, sagt der südafrikanische BMW-Chef Walter Hasselkus, »obwohl dies angesichts der schlechten Auftragslage geboten schien.« 1000 bis 1500 BMW, die Produktion von einem bis anderthalb Monaten, stehen unverkauft herum. Der Absatz ging um rund 23 Prozent zurück.
Im VW-Werk Uitenhage bei Port Elizabeth mußten in den letzten 18 Monaten jeweils etwa 1000 der 6000 südafrikanischen Mitarbeiter in wechselnden Produktionsbereichen kurzarbeiten. Zuletzt standen die Bänder für den Passat und den Audi 100 zwei Wochen still.
Wie bei allen Auto-Firmen an der Südspitze Afrikas sind auch bei Volkswagen die großen Modelle nur noch schwer verkäuflich. Mehr Glück hat VW mit seinem erst vor einigen Monaten am Kap eingeführten neuen Golf. Durch den Neuheitseffekt des Modells und durch den Trend zu kleineren Wagen konnten die Wolfsburger bis Ende Oktober acht Prozent mehr Autos verkaufen als im Vorjahr. Gleichzeitig gingen jedoch die Verkäufe der VW-Tochter Audi um 53 Prozent zurück.
Die deutschen Auto-Manager, so räumen manche inzwischen ein, haben immer damit gerechnet, daß ihnen in Südafrika nicht nur die Sonne scheinen wird. Doch daß es so schlimm kommen würde, ist für viele eine Überraschung.
Verlockt von prächtigen Gewinn-Aussichten haben sich zu viele Auto-Hersteller am Kap niedergelassen. Die Regierung förderte diese Tendenz nach Kräften. Sie schrieb vor, daß Autos, die in Südafrika verkauft werden, zu zwei Dritteln des Gewichts aus im Lande gefertigten Teilen hergestellt sein müssen.
Zwölf Pkw-Hersteller aus den USA, Europa und Japan lassen vor Ort in Südafrika bauen. Die Serien-Größe der einzelnen Hersteller ist lächerlich klein. Selbst in ihrem besten Jahr, 1981, verkaufte die ganze Branche nur etwas über 300 000 Autos; das ist weniger, als in
diesem Jahr in Deutschland allein Audi fertigt. Inzwischen sind die südafrikanischen Auto-Fabriken nur noch gut zur Hälfte ausgelastet.
Was vor wenigen Jahren keiner glauben wollte: Das reiche Land am Kap ist in eine tiefe Rezession gerutscht. Sinkende Rohstoff- und Goldpreise haben Südafrikas Einnahmequellen drastisch reduziert. Die daraus folgenden Gegenmaßnahmen der Regierung trafen die Auto-Hersteller hart: höhere Verkaufsteuern; geringere Möglichkeiten, Pkw geschäftlich abzusetzen; steigende Benzinpreise.
Die Inflationsrate von 16 Prozent und Zinsen bis zu 25 Prozent schränkten selbst bei wohlhabenden Weißen das verfügbare Einkommen und den Kreditspielraum ein. Die unsichere politische Lage verschlug den Konsumenten vollends die Lust an der kostspieligen Anschaffung eines neuen Autos. Die deutschen Auto-Fabrikanten steckten dennoch immer weiter Geld in ihre südafrikanischen Besitzungen. BMW verdoppelte noch im vergangenen Jahr die Produktions-Kapazität, VW ließ sich die Anlagen für die neuen Golf- und Jetta-Modelle 300 Millionen Mark kosten.
Daimler-Benz bediente nicht erst in diesem Jahr den Ableger am Kap. Nach Kapitalerhöhungen in den Jahren 1983 und 1984 war der Anteil, den das Stuttgarter Unternehmen an der südafrikanischen Tochter hält, von 36,7 auf 50,1 Prozent gestiegen.
Ob das Geld je wieder den Weg zurück nach Deutschland finden wird, ob es je Gewinn abwirft, scheint auch den Mercedes-Oberen zweifelhaft. Ein Stuttgarter Vorstandsmitglied: »Unter den augenblicklichen politischen Gegebenheiten haben alle Planwerte einen hohen Unsicherheitsfaktor.«