Computer Fast ausgereizt
Hartmut Hellweg war überzeugt, einen absoluten Bestseller im Sortiment zu haben. »Die Idee war gut, der Preis stimmte, und die meisten Konkurrenten haben nichts dergleichen zu bieten«, lobte der Computerfabrikant aus Paderborn seinen neuen PC mit dem griffigen Namen »All in one«.
Das war vor einem Jahr. Inzwischen weiß der Gründer und Mitinhaber der Peacock AG, daß er sich gründlich verkalkuliert hat. »Das Ding war ein absoluter Reinfall«, klagt Hellweg über seine Kombination aus Fernseher, Online-Terminal und Computer.
Nicht nur der ehrgeizige Unternehmer aus Westfalen hat sich verschätzt. Auch die Siemens-Tochter SNI scheiterte mit dem Versuch, dem Publikum einen Personalcomputer fürs Wohnzimmer schmackhaft zu machen. »Die Kisten lagen wie Blei in den Regalen«, klagt ein Verkäufer der Hamburger Elektronikmarktkette Hot.
Bislang waren solche Flops leicht zu verschmerzen. Computerfreaks sorgten mit dem Kauf hochwertig ausgestatteter Personalcomputer ständig für weiteres Wachstum in der EDV-Branche.
Voller Zuversicht glaubten die Hersteller, der PC werde bald genauso verbreitet sein wie Fernseher und Telefon.
Doch das, so scheint es, wird wohl vorerst ein Traum bleiben. Seit Monaten schon halten sich die privaten Haushalte beim Computerkauf auffällig zurück. Trotz des Internet-Booms und des neuen Betriebssystems Windows 95, das die Bedienung eines Personalcomputers einfacher denn je macht, gehen die Verkaufszahlen zurück. Compaq-Manager Kurt Dobitsch fürchtet schon, daß 1996 zu einem »Katastrophenjahr« für die PC-Hersteller werden könnte.
Die Zahlen sind alarmierend: So verkaufte die EDV-Brache in den ersten drei Monaten dieses Jahres in Deutschland rund 410 000 Personalcomputer an Privatkunden. Im zweiten Quartal orderten die Privatkäufer nach Berechnungen des Marktforschungsinstituts IDC nur noch knapp 330 000 Rechner.
Besserung ist nicht in Sicht, aufs Jahr gesehen rechnen Experten mit einem Absatzrückgang um bis zu 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. »Das Internet ist für keinen Privatmann ein Grund, sich einen PC anzuschaffen«, ahnt Vobis-Chef Theo Lieven. Allein das konstante Geschäft mit den Firmenkunden sorgt dafür, daß die High-Tech-Branche nicht schon jetzt in eine schwere Krise rutscht.
Lange Zeit hatten die renommierten Computerfirmen mit den Privatkunden nichts im Sinn. Das Geschäft mit den sogenannten Homecomputern überließen sie Spezialisten wie Atari und Commodore. Als sich Ende der achtziger Jahre der PC-Standard durchsetzte, gaben Atari und Commodore auf. Fortan bedienten sich die Privatkunden bei Discountern wie Vobis und Escom.
Der gewaltige Erfolg der Newcomer lockte immer mehr Firmen an. Trotz jährlicher Wachstumsraten von 50 Prozent und mehr schien der Consumer-Markt noch längst nicht ausgeschöpft zu sein. »Da wurden gewaltige Kapazitäten aufgebaut, die jetzt zu einer ernsten Gefahr werden können«, fürchtet Frank Sempert von der Beratungsfirma Gartner Group.
So setzten selbst reine Büroausrüster wie IBM, AT&T, Digital Equipment oder Hewlett-Packard auf die Privatkundschaft und kreierten speziell ausgestattete Rechner. Schickes Design und klangvolle Markennamen wie »Aptiva« oder »Pavillon« sollten den Computerneulingen die Scheu vor der Technik nehmen.
Erste Anzeichen des Umschwungs zeigten sich schon Ende vergangenen Jahres. Im Weihnachtsgeschäft blieb der erhoffte Run auf die Computer aus. Die Händler blieben auf vollen Lagern sitzen.
Escom-Chef Manfred Schmitt, der sich ohnehin schon mit dem Kauf einer englischen Ladenkette übernommen hatte, mußte kurz darauf Konkurs anmelden. Die meisten Filialen in Deutschland wurden von der Handelsgruppe Comtech aus Waiblingen übernommen.
Andere Firmen wie die US-Hersteller AST und Digital stürzten tief in die Verlustzone. Hewlett-Packard zog die Notbremse und stellte den Verkauf seiner Consumer-Linie »Pavillon« wenige Monate nach dem Start wieder ein.
Noch rätseln die Marketingexperten über die Gründe für die plötzliche Kaufzurückhaltung der Privatkunden. Vobis-Chef Lieven kann eine Trendwende nicht erkennen. »Die schwierige wirtschaftliche Lage hat die Kunden verunsichert, die drehen jetzt jede Mark fünfmal um«, begründet der Discounter aus Aachen die Flaute.
Für Theo Merkert von der Münchener Großhandelsfirma Computer 2000 spielen vor allem hausgemachte Gründe der Computerbranche eine Rolle: »Beim Auto würde kein Käufer diese wahnsinnig schnellen Innovationszyklen mitmachen.« Wenn alle 80 bis 100 Tage ein neues Modell mit doppelter Leistung zum gleichen Preis auf den Markt komme, »dann mutet die Industrie den Kunden einfach zuviel zu«, meint Merkert.
Auch IDC-Analyst Heinz Unland mag an eine vorübergehende Flaute nicht glauben. Für ihn ist der Konsumentenmarkt jetzt »fast ausgereizt«, nachdem inzwischen in fast jedem dritten Haushalt in Deutschland ein PC installiert ist.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Steve Brazier von der Marktforschungsfirma Dataquest. »Der Traum vom PC für jeden Haushalt bleibt ein Traum. Die Zahl der Kunden, die einen PC kaufen wollen und ihn sich auch leisten können, schrumpft in Deutschland rapide«, sagt der EDV-Experte.
Seit 1994, so das Ergebnis von IDC-Umfragen in Deutschland und Amerika, sinkt die Zahl der Erstkäufer unter den PC-Kunden kontinuierlich ab. Immer mehr Kunden hätten nur ihren alten PC gegen ein leistungsstärkeres Modell ausgetauscht. Die Branche habe sich »von hohen Wachstumsraten verwöhnen lassen«, meint Unland, »und dabei versäumt, neue Käuferschichten zu erschließen«.
Schon haben die ersten PC-Hersteller auf die ernüchternden Analysen reagiert. Statt sich auf den Massenmarkt zu stürzen, konzentrieren sie sich lieber erst mal auf den Mittelstand und die Freiberufler. Siemens Nixdorf und Compaq wollen mit speziellen Vertriebstruppen diese Zielgruppen erschließen.
Immer mehr Firmen gehen dazu über, die Geräte erst dann zu produzieren, wenn der Auftrag vorliegt. Denn »wer bei der Lagerhaltung Fehler macht«, meint Karola Bode, Deutschland-Chefin des US-Herstellers Gateway 2000, »reduziert seine Überlebenschance«.
Der tiefe Fall des Steilaufsteigers Escom hat die Branche aufgeschreckt. »Das stürmische Wachstum vergangener Jahre ist erst mal vorbei,« ahnt Peacock-Chef Hellweg. Schon zweimal hat er in den vergangenen Monaten seine Umsatzprognosen nach unten korrigiert. Statt der ursprünglich angepeilten zwei Milliarden Mark soll der Umsatz im Geschäftsjahr 1995/96 nun auf 1,6 Milliarden sinken, und erstmals seit langem wird die Bilanz mit einem Verlust abschließen.
Vobis-Chef Lieven sieht in der Krise auch eine Chance. Der Markt, meint der Handelsmanager, sei ohnehin zu klein für so viele Anbieter, und Escom »wird nicht das einzige Unternehmen sein, das auf der Strecke bleibt«.
»Wir haben eine Epidemie«, sagt Lieven, »und da ist es doch ganz natürlich, daß am Ende nur die widerstandsfähigsten Exemplare überleben.«
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Preisverfall auf dem PC-Markt
Absatzschwund bei den größten PC-Anbietern in Deutschland
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