AUTOMOBILE Feuern und heuern
Eine Hundertschaft Journalisten war geladen, Fernsehkameras surrten. und Interviews gab es von der Stange, als VW-Chef Toni Schmücker -- gerade zwei Monate im Amt -- im April sein Crash-Programm für die Sanierung des VW-Konzerns verkündete.
Kein Journalist war mehr geladen und kein Schmücker zu hören, als in der vergangenen Woche die Kehrtwendung des Jahres publik gemacht wurde: Gerade sechs Monate nach seiner Katastrophen-Show beschloß Schmückers VW-Vorstand, rund 5000 Autowerker neu einzustellen. Das Heuer-Büro des Konzerns bekam solche Order, kurze Zeit nachdem die letzten freiwilligen Abgänger gegen eine Abschiedsprämie von 9000 bis 15 000 Mark das Werk verlassen hatten.
»Um die Kapazitäten des Konzerns den langfristig realistischen Absatzerwartungen anzupassen«, so hatte Schmücker im April Aktionären, Arbeitnehmern, Gewerkschaftern und Politikern verkündet, müßten 25 000 VW-Beschäftigte bis Ende 1976 für immer fort. Schmücker: »Wir müssen schrumpfen, schrumpfen, schrumpfen.«
VW-Aufsichtsrat Eugen Loderer, Vorsitzender der mächtigen IG Metall, war schon damals sicher, daß »Toni der Schrumpfer« (Werks-Jargon) von »einer viel zu pessimistischen Absatzprognose ausgegangen war. Der Gewerkschaftsboß und seine Mannen im Aufsichtsrat stimmten denn auch gegen Schmückers historischen Schrumpf-Beschluß.
Um mehr als 20 Prozent, so hieß es damals bei VW, werde die VW-Produktion 1977 unter den Stand von 1973 sinken. Den Gewerkschaftsmannen waren solche Zahlen zu unrealistisch -- allenfalls noch wollten sie einsehen, daß Schmücker vor der Horror-Zahl von 800 Millionen Mark Jahresverlust kapitulierte und kein Risiko mehr eingehen wollte.
Doch schneller noch, als selbst Loderer erwarten mochte. überschwemmte eine Nachfrageflut nach Golf, Passat und Audi den Konzern. Einen Nachfrageüberhang von rund 100 000 Volkswagen hat das Wolfsburger Verkaufsressort jetzt ermittelt. Bis zum Jahresende ist die Produktion ausverkauft; im Inland und auf den europäischen Nachbarmärkten, vor allem aber in den USA kann Schmückers Schrumpf-Konzern nun nicht mehr soviel liefern, wie die Kundschaft verlangt -- und von betriebswirtschaftlichen Verlusten ist plötzlich nicht mehr die Rede: VW verdient Geld, auf allen Märkten.
Zur Fehleinschätzung der Binnenkonjunktur -- Schmücker-Vorgänger Leiding hatte den nahen Boom prophezeit, weil nach den Krisenmonaten ein hoher Ersatzbedarf an Automobilen aufgestaut war -- kam die unvorhersehbare Kurserholung des Dollar. Von der Marke 2,60 an lohnte das vorher mit 300 Millionen Mark defizitäre Geschäft wieder -- nur: Nun konnte Wolfsburg nicht genug liefern.
Noch zu Beginn des Jahres nämlich standen rund um die Welt 580 000 VWs auf Halde -- 40 Prozent mehr als normal. Um zeitweise bis zu ein Viertel drosselte Schmückers Crew die Fertigung -- und erreichte einen Overkill: Die Barprämien, mit denen VW seine Leute fortlobte, wurden besonders gern von qualifizierten Fließbandarbeitern genommen -- die schon am nächsten Tag woanders anfangen konnten. Sie fehlten dem Konzern sofort -- VW geriet in Lieferverzug.
Während die Neuzulassungen in Deutschland bis Ende September um gut 20 Prozent kletterten, verkaufte der VW-Konzern gerade 14,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei bestimmten Passat- oder Golf-Modellen dehnen sich die Lieferzeiten inzwischen so, wie die Kundschaft es sonst nur bei Lieferzeiten-Weltmeister Daimler-Benz gewohnt war: auf ein Vierteljahr und länger.
Solcher Wandel der Dinge brachte Schmückers Crash-Mannschaft bereits im August dazu, trotz noch laufender Entlassungsaktion die Produktion wieder auszuweiten -- mit Sonderschichten in Emden und Wolfsburg. Inzwischen beschloß das Management für beide Werke zumindest bis Jahresende Zusatzschichten am Wochenende.
Finanzchef Friedrich Thomée, der lange Zeit Führer der US-Markt-Pessimisten im Unternehmen war, wurde nun wieder Deutschlands größter Dollarspekulant. Der einstige Leiding-Kritiker hat bereits Devisentermingeschäfte abgeschlossen, so weiß ein VW-Direktor, die »uns den lukrativen Kurs bis weit ins nächste Jahr hinein« sichern. Die Kasse stimmt also wieder.
Der Marktanteil dagegen -- der stimmt noch immer nicht. Während der VW-Konzern dank der Austreibung qualifizierter Arbeiter nur mühsam liefert, können Opel und Ford noch einmal zusätzlich aufdrehen. In der Wolfsburger Chefetage gilt es deshalb schon als ausgemacht, daß Opel den gegenwärtigen Marktführer VW in Deutschland wieder überholen wird wie schon einmal 1972 und 1973 und daß der Marktanteil von Volkswagen noch unter die 20-Prozent-Marke sinkt.
Und auch im kommenden Jahr werden die Wolfsburger bei vermutlich anhaltender Autokonjunktur weiter verlieren: Die Konkurrenz nämlich kann längst mit voller Kraft produzieren, VW dagegen muß dann mit dem Personal-Wiederaufbau in Ingolstadt. Wolfsburg und Emden erst noch fertigwerden.
Denn im Gegensatz zu VW hatte den Branchenzweiten Opel der plötzliche Autofrühling nicht mehr überrascht. Zwar dünnten auch die Rüsselsheimer seit 1973 ihre Belegschaft um 25 Prozent auf 45 000 Mann aus, aber damit waren sie bereits Ende 1974 fertig -- als VW noch gar nicht recht begonnen hatte.
Als Schmücker im April 1975 dann die große Massenentlassung durchsetzte, waren Opel und auch Ford bereits dabei, ein paar hundert Bandarbeiter neu zu heuern. Und auch diesmal hatten die beiden Amerikaner schneller geschaltet. VW wird die großen Lücken an den Bändern in Wolfsburg und Ingolstadt erst ab Januar stopfen, in den Opel-Werken Rüsselsheim und Bochum werden ab sofort 2700 Mann zusätzlich einrücken, und auch Ford ging etwa 1000 Leute anschaffen.
Wenn Schmücker Pech hat, wird es 1976 sogar Zeiten geben, wo außer Opel auch Ford an VW heranrückt. Kritiker des neuen VW-Chefs kreiden dem Leiding-Nachfolger nun an, er habe aus Prestigegründen mit den Neueinstellungen gezögert. »Leute einstellen?«, so kolportieren sie den Spruch eines Wolfsburger Bandarbeiters, »das hätte der Leiding auch gekonnt.