Finanzbeamte sind auch Menschen
Mir ist jetzt alles Wurscht!« sagt Johannes Klinkewitz, Inhaber von Keßlers Wurstfabrik. Laut Zahlungsbescheid des Oberfinanzpräsidenten Hamburg soll er 28000 DM an Steuern nachzahlen. »Wenn sich die Herren vom OFP das nicht anders überlegen, hat's mal Keßlers Würstchen gegeben«, prophezeit er mißmutig.
Die Schuld hat er Regierungsdirektor Ferdinand Heider zugedacht, dem Leiter der meist gehaßten Abteilung Steuern beim Oberfinanzpräsidium Hamburg. Durch seinen Dezember-Erlaß hat der sich den Kollektiv-Zorn der westdeutschen Wirtschaft zugezogen. Im Namen des gutmütigen Oberfinanzpräsidenten Walter Münch ("auf mich fällt immer alles zurück") verfügte Heider, daß jede ungenügend belegte Ausgabe »als Privatentnahme zu behandeln« ist.
Dieser vielversprechenden Methode gegen die Otto-Reuter-(ohne-Rechnung)-Geschäfte gewannen die übrigen britischbesetzten Oberfinanzpräsidenten Geschmack ab und folgten dem Hamburger Beispiel. Sie konnten sich allerdings nicht entschließen, wie in Hamburg, den Erlaß rückwirkend ab 21. Juni 1948 mit voller Schärfe in Kraft zu setzen.
»Wir sind in Hamburg keine Steuersadisten«, versichert Walter Münch, »aber wir haben nun mal diesen unsympathischen Beruf«. »Und man sollte uns keinesfalls Bluthunde nennen«, pflichtet Steuerfahndungsleiter Bremer ihm bei. Finanzbeamte sind auch Menschen. Erst auf der Toilette entdeckte einer der Steuer-Detektive die vergeblich gesuchten O. R.-Papiere fein säuberlich auf einen Haken gespießt (s. Hohlspiegel).
Die hannoverschen Steuerfahnder hatten weniger Glück. Sie mußten das Schlafzimmer eines steuersündigen Bürgers, in das sie eine Anzeige gerufen hatte, wieder mit leeren Händen verlassen. Dort hütete die Ehefrau das Wochenbett und die versteckten Hinterziehungsbelege. »Wer wollte da wohl suchen«, murrten sie verdrießlich.
Würstchen-Klinkewitz hat eine schlechte Meinung von den Zahlenmenschen. Nach dem Tage X konnte er seine Wurstfabrik finanziell mit dem bewirtschafteten Fleisch nicht über Wasser halten. »Von dem wenigen zugeteilten Fleisch ließen sich nur geringe Mengen Würstchen herstellen. Ich hätte 80 Prozent meines Personals entlassen müssen.« Da hatte er eine Idee: Pilzragout.
Für Tausende von DM ließ er rund um Hamburg Pilze sammeln. Auf den Wochenmärkten kaufte er von Privatpersonen unbewirtschaftetes Kleinvieh wie Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen und Ziegen. Aus dem Ganzen stellte er Konserven her. »Dieser Artikel schlug wie eine Bombe ein«, erinnert sich Klinkewitz. Die Umsätze schnellten in die Höhe. Zufrieden strich das OFP die Umsatzsteuern ein.
Alles, was Klinkewitz an unbewirtschaftetem Fleisch aus Privatbesitz kaufte, erhielt er gegen Quittungen oder solche Belege, mit denen Heiders Finanzansichten nicht konform gingen. Johannes Klinkewitz hatte schon eine Vorahnung davon.
Vorsorglich teilte er dem Finanzamt seine Ragoutsorgen mit, um im Vorwege die Anerkennung seiner Käufe zu erreichen. Das war am 4. Oktober 1948. Das Finanzamt schwieg. Klinkewitz schrieb einen zweiten Brief. Das Finanzamt schwieg.
Klinkewitz wollte mit dem Verkauf seiner Würstchen nicht länger warten. Hühner, Enten, Gänse und Ziegen bevölkerten meckernd und gackernd seinen Schlachthof. Es störte sie wenig, ohne Rechnung gekauft zu sein. Sie wollten fressen. Klinkewitz begann zu schlachten.
Nach drei Monaten kam das Finanzamt: »Ihre Schreiben liegen dem Herrn OFP vor. Auch in Ihrem Fall kann keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß ordnungsgemäße Rechnungen vorliegen müssen, zugelassen werden. Sie können demnach nur da einkaufen, wo Sie vollgültige Belege erhalten«.
»Betriebsprüfung«, sagten zwei Beamte wenige Tage später und machten sich über Klinkewitz's Bücher her. Nach Heider-Grundsatz hakten sie alle von Klinkewitz sorgfältig verbuchten Pilz- und Kleinviehausgaben als »Privatentnahmen« ab. Steuernachzahlung: 28000 DM.
»Wenn mir das Finanzamt die Einkäufe ohne vorschriftsmäßige Rechnungsbelege als Privatentnahmen anrechnet, müßte folgerichtig der Verkauf der daraus hergestellten Erzeugnisse ein Privatverkauf und somit steuerfrei sein«, argumentierte der angehakte Fleischer. Steuer-Heider blieb ungerührt: »Der Keßler-Entscheid ist endgültig«. Klinkewitz legte Beschwerde ein. Er ist damit nicht der erste.
Im hübschen Waldörfer Restaurant »Zur Schleuse« mußte Wilhelm Timmermann noch Stühle aus der Nachbarschaft herbeiholen, um die versammelten aufgeregten Steuerberater zu placieren. »Ich kann den Namen Heider nicht mehr hören« und »er soll endlich abtreten«, tönte es deutlich aus dem Stimmengewirr heraus.
»Unser Berufsstand bedauert, daß die grundsätzlichen demokratischen. Rechtsarten von dem Herrn Oberfinanzpräsidenten offensichtlich noch nicht angewandt werden«, heißt es in der einmütigen Resolution der Buchsachverständigen. Anlaß dazu gab eine Heider-Warnung an die Steuerberater: »Sie lassen es an der erforderlichen Sorgfalt bei Ihrer Tätigkeit fehlen«, schrieb Heider.
Und dann legte er den erbosten Steuerberatern acht Punkte vor: »Zukünftig werde ich Sie in verstärktem Maße für Steuervergehen der von Ihnen betreuten Steuerpflichtigen verantwortlich machen«. Und: »Sie haben mit der Einziehung der Zulassung zu rechnen«, stand in zwei Punkten. Auch Heiders Kollegen in den anderen westdeutschen Ländern sind bei den in der Welt am höchsten besteuerten Geschäftsleuten nicht sonderlich beliebt.
Südhannovers Industrie- und Handelskammer hat »ernste Bedenken gegen die geübte Handhabung der Betriebsprüfung und Steuerfahndung« bei den Direktoren der VfW und der Verwaltung für Finanzen erhoben. Das scharfe Vorgehen der Steufa-Beamten sei geeignet, den gesamten deutschen Kaufmannsstand zu diskriminieren. Die Behauptung, der größere Teil der Betriebe sei steuerunehrlich, wurde in der Eingabe scharf zurückgewiesen.
In Braunschweig sprachen die Geschäftsleute von »Terror« gegen die Bevölkerung, als bei einer in Normalverbraucher-Verhältnissen lebenden Familie ohne Angabe von Verdachtsgründen eine Haussuchung durchgeführt wurde. Außer Schreibtisch und Papierkorb seien dabei auch die Betten, Kleiderschränke, Vorratskammern und Wäschetruhen ergebnislos durchwühlt worden. Westdeutschlands Steuerfahndungsleiter wissen, daß sie noch unbeliebter sind, als ihre Kollegen mit dem Kuckuck. Sie wissen aber auch, daß sie zumindest ebenso wichtig sind. Es sei doch alles festgelegt, meinen sie.
»Unsere Beamten haben das Recht, bei Gefahr im Verzuge Betriebsräume, Wohnungen und Zimmer anderer Personen zu durchsuchen, sowie Leibesvisitationen durchzuführen«, erklärt Hamburgs Steufa-Chef Bremer. »Verdächtige dürfen sogar festgenommen werden. Als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft haben sie die Befugnisse eines Kriminalbeamten.«
Die Oberfinanzpräsidenten der britischen Zone lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. »Mit dem Entrüstungsgeschrei in der Oeffentlichkeit und in der Presse ist es wie mit dem Theater« philosophiert Hamburgs OFP-Münch. »Beide sind nach bestimmter Zeit zu Ende. Darum ist Schweigen das Beste.«
Aber auch Johannes Klinkewitz läßt sich nicht einschüchtern. »Ich will mit dem OFP bis zum bitteren Ende kämpfen« meint er mit leichtem Seitenblick auf seine wurstgeschwellten Muskeln.
Wirtschaftsexperten haben lange gesucht. Jetzt glauben sie, die westdeutschen Steuermänner beim Abkommen vom Gesetzeskurs erwischt zu haben. »Die Oberfinanzpräsidenten«, so argumentieren sie, »überschreiten mit dem Erlaß über Belegzwang ihre Befugnisse, weil sie neues materielles Recht schaffen.« Den Erlaß wollen sie vor die Finanzgerichte bringen.
»Im Grunde schädigen sich die Oberfinanzpräsidenten nur selbst mit ihrem Erlaß« schmunzeln sie listig. »Wenn man beispielsweise einen Fuhrunternehmer zwingt, seinen schwarzen Benzinkauf als Privatentnahme zu behandeln, so wird er gar nicht daran denken, seine Fuhrerlöse zu verbuchen, sondern wird mit dem schwarz erworbenen Benzin Schwarzfahrten machen. Der Erlaß fordert geradezu zu Steuerhinterziehungen heraus.«
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Von der Erwerbsarbeit eines Monats beansprucht die Steuer:
bei 1000 DM Einkommen | bei 500 DM Einkommen | |
IN DEUTSCHLAND: | den Arbeitsertrag von: 8 Tagen + 6 Stunden | 5 Tagen + 27 Min |
IN ENGLAND: | den Arbeitsertrag von: 3 Tagen | ... 3 Tagen |
IN USA: | den Arbeitsertrag von: 2 Tagen + 4 Stunden | ... 1 Tag + 4 Stunden |
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