Finanzkrise Ifo-Chef vergleicht Kritik an Managern mit Antisemitismus

Ifo-Präsident Sinn hält Manager für unschuldig: Er macht einen Systemfehler verantwortlich für die Finanzkrise. In einem Zeitungsinterview sagte Sinn, in der Weltwirtschaftskrise 1929 hat es "die Juden getroffen, heute sind es die Manager". Der Zentralrat der Juden reagiert empört.

Haben sie nun Milliarden verpulvert, oder sind sie Opfer des Systems? Bank-Manager mussten ob der Finanzkrise in den vergangenen Wochen viel Kritik einstecken. Doch Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), nimmt sie in Schutz. Er vergleicht die Kritik an Managern in einem Zeitungsinterview mit dem Antisemitismus der dreißiger Jahre.

"In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken", sagte Sinn dem Tagesspiegel (Montagsausgabe). In der Weltwirtschaftskrise von 1929 "hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager". Niemand habe damals an einen "anonymen Systemfehler" glauben wollen, der die Krise ausgelöst habe, befand Sinn.

Er habe als Volkswirt falsche Anreize und fehlende Regeln als Ursache der Krise ausgemacht, sagte Sinn. Große Krisen könne man heute vermeiden. So werde es dank der milliardenschweren Rettungspakete, mit denen Industriestaaten ihre Banken stützten, keine größeren Bankenpleiten mehr geben.

Der Rettungsplan der Bundesregierung sei alternativlos, fuhr Sinn fort. "Hätte man nichts getan, wie 1929, wären die Folgen dramatisch gewesen: eine Kernschmelze im Finanzsystem, Massenarbeitslosigkeit, die Radikalisierung der westlichen Welt, am Ende eine Systemkrise der Marktwirtschaft." Die deutsche Geschichte sei hier klar, fügte Sinn hinzu: "Der Nationalsozialismus ist aus der Krise zwischen 1929 und 1931 entstanden. Auch heute stehen Rattenfänger wieder parat."

Entsetzen beim Zentralrat der Juden

Der Zentralrat der Juden ist empört über die Äußerungen Sinns und fordert eine Entschuldigung. Der Ifo-Präsident solle seine Aussagen "so schnell wie möglich ohne Wenn und Aber zurücknehmen und sich entschuldigen", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer. Der Vergleich sei "empörend, absurd und absolut deplatziert, eine Beleidigung der Opfer", so Kramer zur "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung" (Montag). "Mir wäre neu, dass Manager geschlagen, ermordet oder ins Konzentrationslager gesperrt würden."

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen- Bundestagsfraktion, Volker Beck, sprach in Berlin von einer "beispiellosen Geschmacklosigkeit". Er forderte Sinn auf, seine Äußerung zurückzunehmen. "Die Wirtschaftskompetenz von Herrn Sinn mag in der Fachwelt strittig sein. Seine Geschichtsvergessenheit ist ab heute unumstritten", sagte Beck. "Der Vergleich zwischen Juden und Managern von Sinn ist zynisch und total daneben."

Ende der Finanzkrise nicht in Sicht

Sinn sprach sich in dem Zeitungsinterview zudem dagegen aus, angesichts der Wirtschaftsschwäche schon jetzt ein Konjunkturprogramm aufzulegen: "Noch haben die Firmen gut zu tun." Wenn der Staat etwas tun wolle, dann bei den Steuern. "Die Steuerquote ist die höchste seit langem." Der Vorteil sei, dass die Bürger entscheiden könnten, was mit dem Geld geschehe.

Nach Sinns Einschätzung ist ein Ende der Finanzkrise noch nicht in Sicht. Die nächsten Probleme bei Kreditkartenfirmen und Autobanken seien absehbar. Allerdings sei das Szenario aus dem Herbstgutachten, dass die Wirtschaft 2009 um 0,8 Prozent schrumpfen werde, mit dem Rettungspaket "weniger wahrscheinlich geworden".

hei/AFP/AP/rtr

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