Firmenlegende widerlegt Bertelsmann profitierte vom Nazi-Regime
Gütersloh/München - Es war das Jahr 1943, der Zweite Weltkrieg dauerte schon vier Jahre. Damals geriet der Bertelsmann-Verlag in den Verdacht, illegal Papier beschafft und gehortet zu haben. Das Nazi-Regime strengte ein Verfahren an, das wesentlich zur Schließung des Verlages im Jahr 1944 beitrug. Nach Kriegsende nutzte Bertelsmann diese Schließung, um eine Legende vom "Widerstandsverlag" zu stricken. Das half dabei, von den Besatzungsmächten schnell eine neue Verlagslizenz zu erhalten.
Nach neuesten Erkenntnissen von Historikern und entgegen der eigenen Darstellung stand der Medienriese aber während des Nazi-Regimes keineswegs auf Seiten der Regimegegner. Firmenchef Heinrich Mohn habe aus ökonomischen Motiven antisemitische und regimefreundliche Werke gedruckt, sagte Saul Friedländer von der Unabhängigen Historischen Kommission am Montag in München. Der Medienkonzern hatte die Kommission unter Leitung des israelischen Historikers Anfang 1999 selbst ins Leben gerufen, nachdem in der Öffentlichkeit Vorwürfe über die Rolle des Verlags im NS-Regime laut geworden waren.
Zwangsarbeiter habe der Verlag selbst nicht beschäftigt, heißt es im Abschlussbericht zur Firmengeschichte während der NS-Zeit. Am Sitz in Gütersloh seien holländische Zivilarbeiter beschäftigt worden. Allerdings hätten mehrere Druckereien in Wilna in Litauen, die im Auftrag von Bertelsmann arbeiteten, Juden aus dem örtlichen Getto zur Arbeit gezwungen. Möglicherweise seien auch im lettischen Riga Zwangsarbeiter eingesetzt worden, vermutete die Kommission.
Wie Friedländer weiter sagte, erzielte Heinrich Mohn durch seine Anpassung an das NS-Regime große wirtschaftliche Erfolge. Der damalige Firmenchef war der Studie zufolge nicht bei der NSDAP, aber Fördermitglied der SS. In seinem Unternehmen, das im Jahr 1835 als christlicher Verlag in Gütersloh gegründet worden war, habe Mohn zwar Bücher publiziert, die sich mit der Nazi-Weltanschauung kritisch auseinander setzten; in vielen Texten, auch aus dem belletristischen Programm, fanden die Wissenschaftler jedoch antisemitische Stereotype und Polemik.
Das 1928 begonnene belletristische Programm sei "geprägt von nationalistischen Tönen und Parteinahme gegen die Moderne", heißt es im Abschlussbericht weiter. Dank intensiver Werbung hätten sich vor allem Kriegsbücher gut verkauft, die in unterhaltsamer Form Kriegsszenen schilderten.
Verlags-Chef Gunter Thielen bedauerte, "dass wir im Zweiten Weltkrieg Geschäfte gemacht haben, die mit den Werten des Hauses Bertelsmann völlig unvereinbar waren". Der Studie zufolge stieg Bertelsmann im Zweiten Weltkrieg mit 19 Millionen Exemplaren zum größten Buchproduzenten für die Wehrmacht auf. Zahlreiche Druckaufträge seien damals ins besetzte Ausland vergeben worden.
Der Abschlussbericht skizziert auf fast 800 Seiten die Geschichte des Verlagshauses von 1933 bis zu den ersten Nachkriegsjahren. Bertelsmann-Chef Thielen sagte, die Kommission habe Bertelsmann einen großen Dienst erwiesen und die historische Wahrheit aufgedeckt. Bertelsmann ist nach eigenen Angaben das erste deutsche Medienunternehmen, das seine Archive für die Geschichtswissenschaft öffnete.