PORNOGRAPHIE Flotter Stich
Gestreng wacht Rudolf Stefen, 61, seit 18 Jahren über die Sitte in der Republik. Er hat bisher 1357 Videos indiziert, dazu einige hundert Bücher und Zeitschriften. Doch was der Freistaat Bayern nun plant, ist nach Ansicht des Chefs der »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften« einfach »ein Witz«.
Den Bayern reicht es nicht, daß die Jugendschutzgesetze erst vor zwei Jahren schärfer gefaßt wurden. Die Christsozialen wollen sich einen langgehegten Wunsch erfüllen, der bisher am Widerstand des liberalen Koalitionspartners gescheitert ist: ein Totalverbot der, »Vermietung pornographischer, indizierter und sonstiger schwer jugendgefährdender« Produkte.
Einen entsprechenden Entwurf brachten die Bayern Mitte Mai im Bundesrat durch, »im Interesse«, so der Münchner Staatskanzleichef Edmund Stoiber, »der gesunden seelischen und geistigen Entwicklung unserer Kinder«.
Seitdem eifern Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) und Innenressortchef Friedrich Zimmermann (CSU) um die Formulierung der Regierungsstellungnahme. Am Donnerstag vorletzter Woche beschloß das Bundeskabinett, den Gesetzentwurf erst einmal auf seine Zweckmäßigkeit abklopfen zu lassen - ein Etappensieg für Engelhard.
Doch Zimmermann erreichte, daß der Vorschlag auf dem Tisch bleibt, der Streit geht weiter. Die bayrische CSU-Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner erklärte letzte Woche, Bayern bleibe »nach wie vor bei seiner Forderung«. »Die Bayern«, weiß ein Engelhard-Vertrauter, »geben nie nach.«
Wenn es nach der FDP gehe, versichert der liberale Bundestagsabgeordnete Norbert Eimer, stünden die Chancen, daß auch der Bundestag ein Veto gegen den Video-Verleih einlegt, »gleich Null«. Der Gesetzentwurf sei ein »absoluter Schmarrn«. Schon die letzte Novellierung der Jugendschutzgesetze die ebenfalls auf die »grandiose Klugheit der Bayern« (Eimer) zurückgeht, hat nett, den Gesetzentwurf erst einmal auf seine Zweckmäßigkeit abklopfen zu lassen - ein Etappensieg für Engelhard.
Doch Zimmermann erreichte, daß der Vorschlag auf dem Tisch bleibt, der Streit geht weiter. Die bayrische CSU-Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner erklärte letzte Woche, Bayern bleibe »nach wie vor bei seiner Forderung«. »Die Bayern«, weiß ein Engelhard-Vertrauter, »geben nie nach.«
Wenn es nach der FDP gehe, versichert der liberale Bundestagsabgeordnete Norbert Eimer, stünden die Chancen daß auch der Bundestag ein Veto gegen den Video-Verleih einlegt, »gleich Null«. Der Gesetzentwurf sei ein »absoluter Schmarrn«. Schon die letzte Novellierung der Jugendschutzgesetze die ebenfalls auf die »grandiose Klugheit der Bayern« (Eimer) zurückgeht, hat nur eines bewirkt: daß es mehr Schund gibt als je zuvor.
Seit zwei Jahren nämlich dürfen Horror- und Porno-Videos in offenen Videotheken nicht mehr feilgeboten werden - auch nicht in Separees. Neunzig Prozent der rund 4500 Verleiher hätten daraufhin, weiß Eimer, ihre Läden für Jugendliche dichtgemacht und die Schaufensterscheiben verklebt. Die »ordentliche Kundschaft« meide deshalb zunehmend die Videotheken mit dem Schmuddelimage von billigen Sex-Shops, Folge: Die Verleiher müßten noch mehr Pornos anbieten, um im Geschäft zu bleiben.
Die Jugendlichen aber kommen trotz allem leicht in den fragwürdigen Genuß von Brutalo-Thrillern und fleischlichen Verrenkungen - bei größerer Auswahl als zuvor. Unbedarfte Eltern werden losgeschickt, volljährige Freunde eingesetzt, die Leihgebühren für die begehrten Videos betragen oft nur eine Mark _(Die Hannoveraner »Queen of Porno«, ) _(Teresa Orlowski, auf einem Video-Ball im ) _(Mai in Düsseldorf. )
pro Tag. Sittenwächter Stefen klagt, die Reform sei »nicht nur zu hundert Prozent gescheitert, sondern in das Gegenteil umgeschlagen«.
Eine Verschärfung dieser Entwicklung erwarten Kritiker wie Stefen und Eimer, falls der bayrische Entwurf Gesetz werden sollte. Ein generelles Verleihverbot führe dazu, daß die Nachfrage jenseits der Schamgrenze durch spottbillige Kaufkassetten und Raubkopien befriedigt werde. Da entstünden, sorgt sich Eimer, in den Schlafzimmern der Republik Depots mit »billigem Schrott«, nicht nur für ein oder zwei Tage, sondern, da persönliches Eigentum, jederzeit verfügbar. Der Freidemokrat: »Vom Jugendschutz her ist das noch schlimmer.«
Tatsächlich ist die Vorliebe für harte Videos beängstigend gewachsen. Vor allem Jugendliche aus der unteren Mittelschicht, so haben Jugendforscher ermittelt, fiebern nach der »Angst-Lust-Erregung«, hervorgekitzelt durch möglichst haarsträubende Filme. Wenn auf der Mattscheibe Menschen gemeuchelt, vergewaltigt und zerstückelt werden, schwindet daheim die Langeweile.
Rund tausend Hauptschüler, im pfälzischen Frankenthal befragt, stellten eine Video-Hitliste zusammen, die Eltern und Pädagogen das Fürchten lehrte: Die 13 Spitzenreiter waren durchweg indizierte Filme. Besonders 13- bis 15jährige zeigten sich vom Anblick blutiger Gedärme oder jungfrauenverzehrender Kannibalen schwer begeistert.
Entsprechend spukt es in den Hirnen. Jugendliche »Vielseher«, fand die Hildesheimer Erziehungswissenschaftlerin Luise Wagner-Winterhager heraus, träumen besonders gern von Bettszenen (über neunzig Prozent) und Verfolgungsjagden (82,3 Prozent), von Folterkammern (56,9 Prozent) und Menschenfressern (knapp 44 Prozent). Die Forscherin vermutet, daß die jungen Video-Fans mit Hilfe von Rambo- und Kung-Fu-Greueln »ihren Haß auf alle, die ihr Selbstwertgefühl gekränkt und angegriffen haben, durch einen grandiosen Lebensentwurf vom Typus des blutigen Rächers loswerden wollen«.
Mit Verboten aber, urteilen Experten und Lobbyisten einmütig, sei dem nicht beizukommen. Besonders lautstark protestieren die Videotheken-Besitzer, denen ein Vermietverbot hart ans Geld ginge. Rund ein Viertel ihres Umsatzes (1986: rund 850 Millionen Mark) machen die Kassettenkrämer mit indizierten Filmen und Pornos.
»Mit Jugendschutz hat das nichts zu tun«, kritisiert Hans-Peter Lackhoff, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands (IVD). Durch ein »zwielichtiges Vermietverbot« werde das Leihgeschäft mit Erwachsenen-Filmen nur »in den Untergrund abgedrängt«. Und das IVD-Verbandsorgan »Der Ikarus« mutmaßt, daß die Video-Vermieter nur geschwächt werden sollen, um »den Kabelanbietern Vorteile zuzuschanzen«.
Auch die Buchhändler wehren sich. Denn ganz nebenbei will die CSU den Verkauf indizierter Schriften, die bislang unterm Ladentisch feilgeboten wurden in die Porno-Shops verbannen. Dann müßten nicht nur die gängige Fleischbeschau und allerlei Kriegshetzerisches aus den Buchläden verschwinden, sondern etwa auch Nancy Fridays »Sexuelle Phantasien der Frauen« oder die heftig diskutierte »Gebrauchsanleitung zum Selbstmord« des französischen Autorenduos Claude Guillon und Yves Le Boniec. Franz-Wilhelm Peter vom Börsenverein des deutschen Buchhandels über den Gesetzentwurf: »Völlig idiotisch.«
Schwerwiegender jedoch schätzt Bundesprüfer Stefen die Folgen für die Video-Branche ein. »Mit Gewalt«, so der Jugendschützer, »verdrängen die Politiker die Tatsache, daß 98 Prozent der Video-Filme Kinospielfilme sind.« Die Videothekare, die »armen Schweine«, seien schließlich nicht schuld an den Entgleisungen auf der Kinoleinwand. Die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der mächtigen Filmbranche, so Stefen, sei beim Jugendschutz viel zu lasch: »Für die ist jedes kritische Wort gegen die eigene Arbeit ein Sakrileg.«
Gegen ein Verleihverbot für Horror- und Sex-Videos wendet sich auch Beate Rotermund vulgo Uhse, 67 - aus grundsätzlichen Erwägungen. Das sei »von der Liberalität her nicht witzig«, so die Chefin des größten deutschen Sex-Unternehmens mit einem Jahresumsatz von 80 Millionen Mark. Und der Kölner Video-Großhändler Gerd Wasmund, der aus Protest gegen den »Polizeistaat« zum Grün-Wähler wurde, wittert »Zensur«.
Bei den Porno-Produzenten aber ist auch Vorfreude im Spiel: Wo es nichts mehr zu leihen gibt, wird mehr gekauft. _(Bei ihrer Party im Hamburger »Beverly ) _(Life-Club« Ende Juni; Werner ) _(Ritterbusch, Gerd Wasmund, Beate Uhse, ) _(Sohn Ulli Rotermund. )
Ohnehin geht der Trend, frohlocken die Hersteller, zur Kaufkassette. In den rund fünfzig Beate-Uhse-Filialen etwa werden abendfüllende Streifen wie »Ein flotter Stich« oder »Die lüsterne Jungfrau« für nur dreißig Mark verhökert. Halbstunden-Pornos aus Wasmunds Mike-Hunter-Serie gehen schon für 19,90 Mark über den Tresen.
Die Größen des Sex-Geschäfts feierten deshalb Ende Juni in der Hamburger Schickimicki-Schenke »Beverly Life-Club« mit Champagner und Kaviar den bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und seinen Gesetzentwurf. Frau Uhse hob bei der Jux-Fete das Glas darauf, »daß wir noch lange gute Geschäfte machen werden«.
Der geladene Ehrengast Strauß konnte es nicht hören, obwohl er den Kreis der Sex-Händler schmückte: in Gestalt einer lebensgroßen Pappfigur.
Die Hannoveraner »Queen of Porno«, Teresa Orlowski, auf einemVideo-Ball im Mai in Düsseldorf.Bei ihrer Party im Hamburger »Beverly Life-Club« Ende Juni; WernerRitterbusch, Gerd Wasmund, Beate Uhse, Sohn Ulli Rotermund.