FlowTex-Skandal Finanzbeamter wegen Betrugs angeklagt
Karlsruhe - Die vergangenen sechs Jahre haben Manfred S. schwer zugesetzt. Doch was die Hauptangeklagten längst hinter sich haben, steht S. jetzt erst bevor: Die Staatsanwaltschaft Mannheim wirft dem Finanzbeamten vor, von dem groß angelegten Betrug der FlowTex-Manager bereits zu einem frühen Zeitpunkt gewusst zu haben. Am 2. November beginnt der Prozess. Im Einzelnen muss sich der 56-Jährige wegen Beihilfe zum Betrug, Bestechlichkeit und der Verletzung des Dienstgeheimnisses verantworten.
S., so lautet der Vorwurf, habe das System FlowTex bei seinen Prüfungen schnell durchschaut, die tatsächliche Sachlage aber aufgrund einer persönlichen Beziehung zu FlowTex-Chef Manfred Schmider vor seiner Behörde verschwiegen. Er soll sogar selbst Horizontalbohrsysteme abgenommen haben, "obwohl er gewusst habe, dass diese Maschinen mit Typenschildern präpariert gewesen seien". Die Anklage bezieht sich dabei auf die Aussagen von Kleiser, die dieser bei einer Vernehmung am 27. Juni 2000 gemacht haben soll. Dort ist von einem "konstruktiven Theaterspiel" die Rede.
Als Gegenleistung soll Schmider dem Betriebsprüfer im August 1998 einen neuen VW-Golf vermittelt haben lediglich gegen Inzahlungnahme des alten Wagens. Der Restbetrag, rund 11.000 Euro, soll von Schmider beglichen worden sein. Des Weiteren geht es um einen Laptop, den der Beamte zu einem "symbolischen Preis" von umgerechnet 500 Euro weit unter dem tatsächlichen Wert erhalten haben soll.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm außerdem vor, Schmider am 31. Januar 2000 in einem Telefonat vor dessen drohender Verhaftung in "ein bis eineinhalb Wochen" gewarnt zu haben. Der Beamte soll dem FlowTex-Chef in dem Gespräch geraten haben, seinen "Urlaub vorzuverlegen".
Nachlese eines filmreifen Wirtschaftsskandals
Das Verfahren gegen S. ist eine Art Nachlese eines filmreifen Wirtschafts-Skandals, der im Jahr 2000 bundesweit für Aufsehen sorgte. Damals war er als Betriebsprüfer des Finanzamts Karlsruhe für die Überprüfung der Ettlinger Firma FlowTex zuständig, das sich im Nachhinein als ungewöhnlich dreistes Betrugssystem entpuppte. Über Jahre hinweg hatten die beiden dortigen Geschäftsführer Manfred Schmider und Klaus Kleiser systematisch Banken, Leasinggesellschaften und Steuerbehörden getäuscht. Dem Anschein nach hatten sie Horizontalbohrmaschinen an Leasingunternehmen verkauft und diese dann zurückgemietet, um sie später über angebliche Servicegesellschaften einzusetzen. Die allermeisten dieser Maschinen hat es jedoch nie gegeben.
Um die Leasingraten finanzieren zu können wurden immer neue "virtuelle" Maschinen verkauft. Mit hoher krimineller Energie und buchhalterischen Tricks gaukelten die beiden Geschäftsführer der Öffentlichkeit über Jahre ein prosperierendes Unternehmen mit Millionenumsätzen vor und leisteten sich einen verschwenderischen Lebensstil mit teuren Yachten, Villen, Nobelkarossen. Auch der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel zeigte sich gern mit den Machern des Vorzeigeprojekts FlowTex.
Die Spirale drehte sich immer weiter. Ein finanzieller Schaden in Höhe von 1,5 Milliarden Euro war es am Ende, als das System kollabierte. Schmider und Kleiser wurden deshalb zu elfeinhalb und neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Gleichwohl ist der Prozess gegen S. von hoher Brisanz. Parallel zu dem Verfahren in Mannheim prüft nämlich der 12. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe in einem Zivilprozess eine Amtshaftungsklage gegen den Karlsruher Finanzbeamten. Hierbei geht es insbesondere um mögliche Ansprüche der FlowTex-Gläubiger gegen das Land Baden-Württemberg. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Land schadensersatzpflichtig ist, wenn die behördliche Betriebsprüfung detaillierte Kenntnisse über einen Betrug hat, diese aber verheimlicht.
Gläubiger klagen gegen das Land
Die 113 Gläubiger, die sich zu einer Rechtsverfolgungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, um ihre Ansprüche durchzusetzen, fordern eine Summe von 1,1 Milliarden Euro. Im Finanzministerium Baden-Württemberg äußert man sich zurückhaltend über mögliche Regresszahlungen. "Gelassen sieht man so etwas nie. Unsere Juristen sind aber zuversichtlich, dass keine Ansprüche gegen das Land geltend gemacht werden können", erklärt Finanzminister Gerhard Stratthaus gegenüber SPIEGEL ONLNE. Aber auch der Minister weiß: Sollte S. vom Landgericht Mannheim strafrechtlich verurteilt werden, lieferte dies den Klägern in Karlsruhe neue Munition.
"Dann müsste am Ende der Bundesgerichtshof entscheiden, ob ein Bundesland für eine nicht ordnungsgemäße Prüfung durch das Finanzamt haftbar gemacht werden kann", sagt Christiane Oehler, Richterin am Oberlandesgericht. Manfred S.' Verteidiger Eddo Compart hält die Anklage der Staatsanwaltschaft Mannheim jedoch für "von A bis Z falsch". Die Anschuldigungen gegen seinen Mandanten beruhten im Wesentlichen auf den Erklärungen der beiden FlowTex-Chefs, Schmider und Kleiser. Diese hätten ihre belastenden Aussagen über den Karlsruher Betriebsprüfer jedoch schon im Zwischenverfahren widerrufen.
Schmider ist bei dem Verfahren in Mannheim als Zeuge geladen. Von seinen Aussagen hängt vieles ab. Wenn er nicht bereit ist, die Vorwürfe zu bestätigen, dürfte es für die Staatsanwaltschaft schwierig werden, dem Angeklagten etwas nachzuweisen.
Dass er sich äußert, darf zumindest bezweifelt werden. Denn auch gegen ihn läuft noch ein Verfahren wegen Bestechung eines Amtsträgers. "Es spricht vieles dafür, dass mein Mandant von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen wird, so lange ein Verfahren gegen ihn läuft", erklärt Schmiders Anwalt Axel Keller.