Flutkatastrophe Islamisten nutzen Fluthilfe für ihre Ziele
Berlin - Das schlechte Gewissen regte sich bereits wenige Tage nach der Katastrophe. "Schande", hieß es sinngemäß in verschiedenen Foren: "Ein Land, das sich mehr als 90 Millionen Dollar an Steuergeschenken für seine Einwohner leistet und gleichzeitig nur zwei Millionen Dollar für die Flutopfer spendet, widerspricht dem Geist unserer Religion" - gleich Hunderte von Internetnutzern schlossen sich der vernichtenden Kritik an.
Doch es waren keineswegs Kritiker aus Europa oder den USA, die sich empörten. Sie kamen vielmehr aus Bahrain, Kuweit oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Denn ihre Regierungen tauchten in der Liste der Geberländer für die Opfer der Flutkatastrophe in Südostasien zunächst ganz hinten auf. Am vergangenen Dienstag, noch - neun Tage nach der Flutwelle - standen die reichen Ölstaaten Saudi-Arabien, Katar und Kuweit mit zehn Millionen Dollar auf den Plätzen 20 bis 22.
Auch die Kommentatoren verschiedener arabischer Zeitungen griffen die Kritik auf. "Es gibt keine überzeugende Antwort auf die Frage, warum nicht mehr gespendet wird", schrieb der Kolumnist der saudischen Zeitung al-Watan, Mohammed Ali al-Harfi. Die geringe Unterstützung sei umso weniger erklärlich, als die Golfstaaten ihren Reichtum nicht zuletzt der Hilfe der unzähligen asiatischstämmigen Arbeiter verdankten.
Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung
Diesmal jedoch bewiesen die Herrscherhäuser ein feines Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung. Das saudische Königshaus machte weitere 20 Millionen Dollar aus dem Staatshaushalt locker und rief über Fernsehen und Hörfunk die Bevölkerung zu Spenden auf. Unterstützt wurden sie dabei von zahlreichen islamischen Religionsgelehrten, die betonten, dass es die Pflicht jeden Muslims sei, den Flutopfern zu helfen.
Das Echo war überwältigend: Insgesamt kamen bei dem vom nationalen Fernsehsender organisierten, drei Tage dauernden Spendenmarathon rund 82 Millionen Dollar zusammen. Acht Millionen überwies allein die saudische Herrscherfamilie, der saudische Prinz al-Walid Ibn Talal, der die Finanzgeschäfte der Familie kontrolliert, spendete 19 Millionen.
Auch in den anderen Golfstaaten kamen Spendenaktionen in Gang: Katar stockte seinen Beitrag auf 25 Millionen auf, die Vereinigten Arabischen Emirate wollen 20 Millionen überweisen. Kuweit verzehnfachte gar die ursprünglich zugesagte Summe auf 100 Millionen Dollar. In Relation zum Bruttosozialprodukt spendet der Wüstenstaat damit sogar mehr als Deutschland.
"Wir müssen mehr geben, wir sind reich"
Doch die öffentlichen Mahner geben sich selbst mit solchen Summen noch nicht zufrieden. "Wir müssen mehr geben, wir sind reich", sagte Walid al-Nusif, Herausgeber der kuweitischen Tageszeitung al-Qabas der New York Times. In einem Leitartikel schrieb al-Watan-Redakteur Qinan al-Ghamdi: "Wir haben noch nicht genug getan." Die Hilfe, die Saudi-Arabien bislang bereitgestellt habe, entspreche nicht seinem Status als "Führungsmacht in der islamischen Welt".
Nach Einschätzung von Experten machen die offiziell verkündeten Summen aber nur einen Teil der Gesamtspenden aus. "In fast allen Golfstaaten laufen viele Aktionen über private Organisationen, Vereine oder religiöse Gruppen. Die Höhe dieser Spenden lassen sich aber kaum abschätzen", sagt die Nahost-Expertin Katja Niethammer von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Solche informellen Geldflüsse sind es aber auch, die den Experten Sorgen bereiten. Denn nicht selten, so die Vermutung, sind radikalislamische Gruppen die Absender. Besonders in Sumatra registrierte die Regierung Aktivitäten von stark islamistisch geprägten Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel die "Mudschahidin"-Hilfe, die ihren Einfluss auszubauen versuchen. Seit 1976 kämpfen die Rebellen um die Errichtung eines Islamischen Staates Nordsumatra. Die Regierung hingegen mag die Kontrolle über die rohstoffreiche Region nicht verlieren.
Katastrophe als Gottesfluch
Welches Gedankengut mit den Aktivitäten der islamistischen Gruppen möglicherweise Verbreitung finden könnte, belegen die Predigten einiger islamischer Religionsgelehrter - eine Reihe von ihnen wertet die Flutkatastrophe gar als Strafe Gottes für menschliches Fehlverhalten wie Ungläubigkeit, Unzucht oder Homosexualität.
"Es gibt einen Grund: Sie logen, sie sündigten, und sie waren Ungläubige", sagte Ibrahim al-Bashar, ein Berater des saudischen Justizministers, dem arabischen Fernsehsender al-Madschd. Der saudische Professor Fawzan al-Fawzan von der Universität Riad sagte in einem Interview mit demselben Sender, dass der Tsunami "Gottes kollektive Strafe" für die Betroffenen gewesen sei. Diese "Hurenböcke, Wüstlinge und korrupten Menschen aus der ganzen Welt" hätten sich zu Weihnachten in der Region versammelt, um der "Hurerei und sexueller Perversion" zu frönen.
Ähnlich äußerte sich Jussuf al-Qaradawi. Der überall in der islamischen Welt bekannte Geistliche sagte in einer Predigt, die auf dem Fernsehsender Qatar-TV ausgestrahlt wurde, dass der Tsunami nicht zufällig zu dieser Zeit in eben dieser Region stattgefunden habe. Schließlich seien in den von der Flut betroffenen Gebieten verbotene Handlungen wie Alkohol- und Drogenkonsum weit verbreitet. Sogar Sextourismus, auch mit Kindern, gebe es dort.
Erbärmliches Maß an Schadenfreude
Derartige Sprüche werden jedoch auch von arabischer Seite kritisiert. In den Äußerungen, die den Tsunami als Gottes Strafe werteten, liege ein "erbärmliches Maß an Schadenfreude", schrieb der palästinensische Journalist Khaled Hroub in einem Artikel, der auf dem vom Auswärtigen Amt geförderten Internetportal Qantara veröffentlicht wurde. "Mit dieser kranken Logik werden unsere menschlichen Gefühle eingefroren und in rassistische Bahnen gelenkt."
Auch die in der arabischen Welt beliebten Verschwörungstheorien haben nach der Flutkatastrophe wieder Hochkonjunktur. Dabei werden hinter Ereignissen von internationaler Bedeutung häufig Machenschaften von Großmächten vermutet. Vor allem die USA werden verdächtigt, heimlich gegen die arabisch-islamische Welt zu intrigieren.
Eine dieser kruden Theorien war Anfang Januar in der ägyptischen Wochenzeitung al-Usbu' zu lesen. Der Autor, Mahmoud Bakri, vertrat dort die These, dass der Tsunami das Ergebnis eines heimlichen Atomtests der USA, Israel und Indiens in Südostasien sei. Das Ziel dieser Kooperation: einen Weg zur Liquidierung der Menschheit finden.