Folgen der Finanzkrise Griechenland droht die Schuldenfalle
Athen - Von der Krise ist im Athener Schickeria-Viertel Kolonaki nicht viel zu spüren: Milde 17 Grad zeigt das Thermometer, die Straßencafés sind bis auf den letzten Platz besetzt, klaglos zahlt die Kundschaft vier Euro für den wässrigen Espresso. Auch in den Boutiquen scheinen die Kassen noch zu klingeln, die Damen eilen mit Einkaufstüten von Gucci, Hermès und Escada über die Tsakalof-Straße.

Schiffe im Hafen von Piräus: Jeder fünfte Auftrag wird storniert
Foto: REUTERSUnd doch: Ein paar hundert Meter weiter ist die Krise bereits angekommen. Ob im ehrwürdigen Hotel Grande Bretagne, im Athens Plaza oder im King George II - nur wenige Gäste verlieren sich in den Lobbys der Luxusherbergen am Athener Syntagmaplatz. Die Buchungen für Januar und Februar liegen nach Angaben der Athener Hotelierkammer bis zu 70 Prozent unter den Vorjahreswerten. Nachdem im Dezember die schweren Unruhen in zahlreichen griechischen Städten Touristen und Geschäftsreisende vertrieben, schlägt nun die Weltwirtschaftskrise durch.
"Wir können uns glücklich schätzen, wenn der Rückgang im Tourismus in diesem Jahr nicht größer wird als zehn Prozent", sagt Nikos Angelopoulos, Präsident des Verbandes der Touristikunternehmen. Der Fremdenverkehr war in den vergangenen Jahren einer der stärksten Wachstumsmotoren der griechischen Volkswirtschaft. Knapp 18 Prozent trägt er zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei und beschäftigt rund 800.000 Menschen. Mit höheren Ausgaben für Tourismuswerbung im Ausland will die Regierung jetzt den Fremdenverkehr ankurbeln und der Branche mit Steuererleichterungen und Kreditbürgschaften unter die Arme greifen.
Griechische Reeder im Abwärtssog
Auch ein anderer traditionell starker Wirtschaftssektor bekommt den Abschwung zu spüren: die griechische Handelsschifffahrt. Deren Einnahmen machen einen wichtigen Posten in der Leistungsbilanz des Landes aus, die griechischen Reeder gebieten über ein Fünftel der globalen Tonnage und kontrollieren damit die weltweit größte Handelsflotte. Der hohe Ölpreis sorgte für Rekordgewinne im Tankergeschäft, der Boom in der Containerschifffahrt und die wachsende Nachfrage nach Spezialschiffen für die Ölsuche ließ die Kassen klingen.
"Vorbei", sagt der griechische Reeder Ted Petropoulos. "Der Traum ist zu Ende, der Alptraum hat begonnen." Hunderte Frachter liegen bereits unbeschäftigt auf der Reede vor Piräus. Die Finanzkrise hat die Zahlungsströme versiegen lassen und damit den Welthandel, vor allem mit Rohstoffen, weitgehend zum Erliegen gebracht. Abzulesen ist das am Baltic Dry Index (BDI). Er bildet die Preise ab, die für den Schüttguttransport gezahlt werden. Von Mai bis Dezember 2008 brach der BDI von 11.793 auf 663 Punkte ein.
"Diese Krise übersteigt alles, was wir bisher erlebt haben"
Inzwischen steht der BDI zwar wieder bei 908 Punkten, aber das bedeutet in der Praxis, dass die Frachtraten immer noch unter den Kosten liegen. "Diese Krise übersteigt alles, was wir bisher erlebt haben", sagt Giorgos Xiridakis, Chef des Schifffahrts-Consultingunternehmens XRTC in Piräus. Die Flaute trifft auch die Werften: Zurzeit haben griechische Reeder 836 Neubauten in Arbeit oder in Auftrag. Branchenkenner rechnen damit, dass mindestens jeder fünfte Auftrag storniert wird.
Auch Giannis Papathanassiou bereitet die Krise in den Schlüsselbranchen Handelschifffahrt und Tourismus Kopfschmerzen. Der 54-jährige Elektroingenieur ist seit Anfang Januar griechischer Wirtschafts- und Finanzminister. Wenn den Hoteliers und Reedern die Einnahmen wegbrechen, drückt das die griechische Leistungsbilanz noch weiter ins Minus. Mit einem Fehlbetrag in Höhe von bis zu 14 Prozent des BIP verzeichnen die Griechen ohnehin schon das höchste Leistungsbilanzdefizit in der Euro-Zone - ein Indiz für die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft.
Dabei ist das ausufernde Leistungsbilanzdefizit nicht das einzige Problem des neuen Ressortchefs im Athener Wirtschafts- und Finanzministerium. Papathanassiou amtierte dort bisher als Vizeminister. Er ist also mit den Schwierigkeiten nicht nur bestens vertraut, sondern hat sie auch zu einem guten Teil mitzuverantworten: So ist der Haushaltsplan 2009 nur fünf Wochen nach der Verabschiedung im Parlament bereits Makulatur. Er setzt das Wirtschaftswachstum bei 2,7 Prozent an - die EU-Kommission prognostiziert Griechenland dagegen nur einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 0,2 Prozent.
Entsprechend niedriger dürften auch die Steuereinnahmen ausfallen. Papathanassious Vorgänger Giorgos Alogoskoufis hatte für 2009 noch eine Steigerung des Steueraufkommens um 13 Prozent angesetzt - eine unrealistische Größenordnung, wie unabhängige Volkswirte meinen.
Misstrauen von Seiten der Finanzmärkte
Vor allem aber hat der neue Minister mit dem Misstrauen der Finanzmärkte zu kämpfen. Wie groß das ist, zeigte sich vergangene Woche, als Griechenland eine fünfjährige Staatsanleihe im Volumen von 5,5 Milliarden Euro ausgab: Mit einem Coupon von 5,5 Prozent lag die Rendite des Papiers um 325 Basispunkte über der vergleichbaren deutschen Bundesanleihe - der Athener Finanzminister muss damit für seine Papiere rund drei Prozent mehr Zinsen zahlen als sein deutscher Kollege Peer Steinbrück. Der Schuldendienst verteuert sich, die Staatsverschuldung wächst noch schneller - ein Teufelskreis.
Die hohen Risikozuschläge spiegeln die Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Schuldners Griechenland. Sie sind noch gewachsen, seit die Ratingagentur Standard & Poors Mitte Januar die Bonität griechischer Staatsanleihen auf A herabstufte - das niedrigste Ranking aller Euro-Länder. Die schlechte Bewertung gründet sich nicht nur auf die hohe Staatsverschuldung, die in diesem Jahr auf 96,2 Prozent vom BIP steigen dürfte. Marko Mrsnik, Kreditanalyst bei S&P, sieht auch "wachsende Ungleichgewichte". Er vermisst "strukturelle Verbesserungen der öffentlichen Finanzen sowie einen glaubwürdigen Konsolidierungspfad".
Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisiert, Griechenland habe es versäumt, in Jahren hohen Wirtschaftswachstums strukturelle Defizite zu reduzieren und Schulden abzubauen. Weil in guten Jahren nicht gespart wurde, fehlt jetzt das Geld für Konjunkturspritzen. Tatsächlich deckt die Krise die chronischen Schwächen der griechischen Volkswirtschaft schonungslos auf. Dazu gehören eine lähmende Staatsbürokratie, die grassierende Korruption, ein willkürliches Steuersystem und ein verkrustetes Arbeitsrecht.
Zwar versprach der konservative Premier Kostas Karamanlis bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren einen Bürokratieabbau; doch stattdessen schleuste er Zehntausende Beschäftigte zusätzlich in den Staatsdienst. Öffentliche Unternehmen wie die Staatsbahnen OSE oder die Fluggesellschaft Olympic Airlines erwirtschaften ständig steigende Verluste. Weil Karamanlis die politischen Kosten einer grundlegenden Reform des Sozialversicherungssystems scheute, werden auch die Rentenzahlungen zu einer immer größeren Bürde für den Staatshaushalt: 22 Prozent der Haushaltseinnahmen gehen für die Rentenkassen drauf, 20 Prozent für den Schuldendienst und 40 Prozent für Gehälter.
Weitere Wahlversprechen kosten Millionen Euro
Angesichts dieser strukturellen Probleme im Budget ist es kaum ein Wunder, dass Griechenland seit dem Beitritt zur Euro-Zone erst in einem einzigen Haushaltsjahr, nämlich 2006, das Budgetdefizit unter drei Prozent drücken konnte. Kein anderer Euro-Staat ignoriert die Vorgaben des Stabilitätspaktes so nachhaltig wie Griechenland.
Dass sich der Athener Premier Karamanlis nun auf die Tugend der Sparsamkeit besinnt, ist allerdings nicht sicher. Schon jetzt regiert er im Parlament nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 151 der 300 Mandate. Viele Beobachter erwarten, dass Karamanlis in diesem Frühjahr Neuwahlen herbeiführt, bevor die Krise mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt durchschlägt und auch den Mittelstand in Kolonaki, einem noblen Wohn- und Einkaufsviertel in Athen, erreicht - eine Kernwählerschaft der Konservativen.
Eine wichtige Klientel der Karamanlis-Partei sind allerdings auch die Landwirte, die derzeit mit Straßenblockaden gegen den Verfall der Erzeugerpreise protestieren. Der Premier ließ sich nicht lumpen und versprach den Bauern am Wochenende Subventionen von 500 Millionen Euro. Auch sozial schwachen Familien verspricht die Regierung Geld in Form von Heizkostenzuschüssen. Finanziert wird das - wen wundert es - mal wieder mit neuen Schulden.