Folgen der Finanzkrise Kreditklemme bedroht deutsche Unternehmen

Die Finanzkrise hat die Bankenbranche ins Chaos gestürzt, jetzt treffen die Turbulenzen auch andere Wirtschaftszweige. Autobauer und Stahlkonzerne kämpfen mit mauer Nachfrage - und knauserigen Kreditgebern.

Hamburg - Deutschland ist im Drei-Millionen-Fieber. Schon im Oktober könnte die Zahl der Arbeitslosen unter diese magische Grenze fallen, stellt der Chef der Arbeitsagentur, Frank-Jürgen Weise, angesichts guter September-Werte in Aussicht. Ein paar Jobs weniger bei Banken und Versicherungen, ansonsten würden die Unternehmen trotz Finanzmarktkrise auch künftig kräftig einstellen. Landespolitiker stimmen ein und stellen fest, die positive Entwicklung gewinne "an Stetigkeit".

Doch der Jubel übertönt die Tatsache, dass die Finanzkrise längst nicht mehr nur Banken trifft. Auch Industriekonzerne, Handelsunternehmen und Dienstleister spüren langsam aber sicher: Die Umsatz- und Gewinnziele der vergangenen Jahre lassen sich nicht einfach fortschreiben.

Weil der US-Kongress das Rettungspaket für die Banken durchfallen ließ, bleibt das Chaos an den Finanzmärkten zunächst ungelöst. Kredite verteuern sich, Wirtschaft und Konsumenten fragen weniger nach - angesichts solch trüber Aussichten für die Konjunktur erscheinen Stellenstreichungen auf breiter Front nur eine Frage der Zeit zu sein.

"Wir müssen fest davon ausgehen, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt bis Mitte 2009 deutlich verschärft", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. Auch Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise rechnet mit steigender Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr.

Die größte Sorge vieler Unternehmen sind die derzeit immer schlechteren Konditionen für ihre Finanzierung. Banken versuchen mit aller Macht die Risiken in ihren Bilanzen zu minimieren und geben sich restriktiv. Am größten ist das Misstrauen unter den Geldhäusern selbst, wie die auf Rekordniveau steigenden Zinssätze am Geldmarkt zeigen. "Und wenn die Banken so sehr darunter leiden, hat das ultimativ dieselben Folgen für Unternehmen", sagt Hellmeyer. "Die Kreditklemme ist da, und sie belastet jetzt die Konjunktur."

Andere Volkswirte gehen nicht so weit, doch schwieriger wird die Finanzierung in jedem Fall. Auch die Emission von Anleihen wird teurer und damit unattraktiver für die Unternehmen. Investoren wollen die Risiken trotz hoher Zinsaufschläge nicht tragen.

Kreditklemme bremst Autokonzerne

Prominentestes Krisenopfer war zuletzt der Handels- und Reisekonzern Arcandor  . Vergangene Woche hat sich Unternehmenschef Thomas Middelhoff nach langem Tauziehen mit den Banken über eine Refinanzierung geeinigt. Die Finanzkrise hatte die Bedingungen dabei erschwert.

Andere Unternehmen bremsen aufgrund der Kreditprobleme die Produktion. Wegen mauer Nachfrage will Volvo   seine Lkw-Herstellung zurückfahren und rund 1400 Arbeitsplätzen abbauen. Für den Nachfragerückgang auf Volvos wichtigstem Markt Europa seien die Probleme im Finanzsektor mitverantwortlich, erklärten die Schweden. Viele Kunden hätten Probleme, Kredite zu bekommen, und blickten skeptisch in die Zukunft.

Automobilkonzerne trifft es besonders hart. Die Hersteller sind in einer äußerst prekären Lage, weil sich ihre Finanzierungstöchter selbst an den Kreditmärkten mit Geld versorgen müssen. Steigende Kosten sind Gift für den Absatz der Modelle. In Westeuropa werden bis zu 30 Prozent der Neuwagenkäufe durch Kredite oder Leasing finanziert. "Wenn der Kreditmarkt zusammenbricht, wird das ein großes Problem für die Autobanken", sagte Analyst Emmanuel Bulle von der Ratingagentur Fitch der Nachrichtenagentur Reuters.

"Kein Unternehmen ist immun"

Die Finanzkrise werde sowohl die Ausgaben der Firmen als auch die Kauflust der Verbraucher dämpfen, sagt auch Microsoft-Chef   Steve Ballmer voraus. "Ich denke, man muss davon ausgehen, dass kein Unternehmen immun dagegen ist." Die Märkte bräuchten dringend ein Zeichen, dass sich die Lage stabilisiere, warnte Ballmer und machte sich für einen neuen Anlauf für das Banken-Rettungspaket der US-Regierung stark.

An den Aktienmärkten scheint eine Rezession teilweise bereits eingepreist. Zu den größten Verlierern der vergangenen Wochen im Dax gehört mit ThyssenKrupp   auch ein Wert, der lange als beispielhaft für die Solidität des Aufschwungs an den Märkten galt.

Doch nun schwächelt die Nachfrage, verstärkt durch die Finanzkrise. Wegen der Konjunkturschwäche senken Analysten jetzt ihre mittelfristigen Stahlpreisschätzungen und in der Folge auch die Gewinnschätzungen für die Unternehmen der Branche. Seit Herbst 2007 hat ThyssenKrupp etwa 50 Prozent an Wert verloren. Auch bei Börsenstars der vergangenen Jahre wie MAN   reduzieren Analysten die Gewinnerwartungen bereits deutlich.

Am stärksten leiden klassischerweise Unternehmen, die sich zuletzt im großen Stil mit Fremdkapital eingedeckt hatten, um ihre Expansion zu finanzieren und das Eigenkapital der Investoren zu schonen. "Der Hebel war oft viel zu groß", sagt Hellmeyer. Betroffen sind vor allem von Private-Equity-Investoren übernommene Firmen, die tief in den Schulden stecken, die nun immer teurer werden.

Finanzinvestoren unter Druck

So setzt die Krise die Finanzinvestoren KKR und Permira bei ProSiebenSat.1 zusätzlich unter Druck. Die Eigner haben den Medienkonzern hoch verschuldet, um die Übernahme der TV-Gruppe SBS zu finanzieren und sind gleichzeitig auf eine hohe Dividende angewiesen, um eigene Verbindlichkeiten zu bedienen. Ob die weiter fließt, ist angesichts zuletzt schwacher Erlöse bei ProSiebenSat.1 fraglich. Die Folgen: Es wird im Programm und bei den Jobs gekürzt.

KKR gerät mit seinen deutschen Aktivitäten auch an anderer Stelle ins Schlingern. Der Wert der vom Finanzinvestor erworbenen Werkstattkette ATU sinkt rapide. Das Unternehmen hat wegen der hohen Verschuldung und der schwierigen Marktbedingungen bei Ratingagenturen keinen guten Stand. KKR musste Geld nachschießen und handelte damit gegen seine sonst gültigen Prinzipien.

Und auch ein Teil der jüngsten Abschläge bei der Commerzbank   erklären sich offenbar mit den als hoch eingeschätzten Kosten durch die Übernahme der Dresdner Bank. Immerhin liege die Marktkapitalisierung der Commerzbank mittlerweile rund ein Drittel unter der für die Dresdner Bank zu stemmenden Summe. Die Bank betont derweil, die Finanzierung stehe.

Doch es gibt auch Gewinner: Konzerne, die in der Aufschwungphase moderat gewirtschaftet haben, könnten nun profitieren. Gut möglich, dass deutsche Firmen aus den Bereichen Lebensmittel oder Chemie belohnt werden. Angesichts immer billiger werdender Börsenkonzerne haben sie plötzlich Spielraum für Zukäufe. Das hieße in diesen turbulenten Zeiten aber, dass die Aufkäufer selbst genügend Bares in der Kasse hätten, sagt Hellmeyer. "Die müssten das mit eigenen Mitteln machen, weil die Banken mit dem Rücken zur Wand stehen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren