Arbeitskampf der Eisenbahner Machtprobe für Macron
Chaos auf den Bahnhöfen, Verwirrung auf den Flughäfen, Warteschlangen bei Fernbussen, Staus auf den Autobahnen: Seit Ostermontag geht in Frankreichs Verkehrswesen so gut wie nichts mehr. Der Streik von Eisenbahnern und Air-France-Personal legt das Land lahm. Zwischen Lille und Marseille, Bordeaux und Lyon fährt nur noch einer von acht Schnellzügen, auch TGV-Linien nach Deutschland sind von dem Ausstand betroffen.
Bei der "beispiellosen Schlacht um die Schiene", so die kommunistische Tageszeitung "Humanité", geht es vordergründig um die Reform des Eisenbahnunternehmens SNCF. Präsident Emmanuel Macron will das Staatsunternehmen modernisieren - und stößt damit auf massiven Widerstand. Die Eisenbahner kämpfen für den Erhalt sozialer Errungenschaften und öffentlicher Dienstleistungen.
Denn die Eskalation nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierung spiegelt nicht nur den Konflikt um die Runderneuerung der Eisenbahn; der möglicherweise wochenlange Arbeitskampf dreht sich auch um den Erhalt des französischen Sozialmodells.
Schuldenberg von fast 53 Milliarden Euro

Für Macron und seinen Premier Édouard Philippe ist der Umbau der SNCF überfällig. Das Unternehmen, aufgegliedert in "Mobilité" (Transport) und seinen Ableger "Réseau" (Schienennetz), hat einen Schuldenberg von insgesamt 52,8 Milliarden Euro aufgetürmt. Die Eisenbahn hat seit 2006 mehr als 55 Prozent ihres Frachtaufkommens verloren, viele Strecken sind unrentabel, an 265 Bahnhöfen steigen im Schnitt nicht mehr als drei Kunden täglich ein. Im europäischen Vergleich liegt die SNCF bei der Pünktlichkeit auf Platz 21.
Die Radikalkur der Regierung sieht daher sechs Maßnahmen vor, um die SNCF-Misere zu beenden:
- Privatisierung des Unternehmens,
- teilweise Schuldenübernahme durch den Staat,
- Stilllegung von unprofitablen Bahnstrecken,
- Ausbaustopp der Hochgeschwindigkeitsstrecken,
- Stellenabbau durch freiwilliges Ausscheiden,
- Ende des Eisenbahnerstatus' bei Neuanstellungen.
Unkündbar, Rente mit 57 und günstige Fahrten
Vor allem der letzte Punkt hat die Eisenbahner auf die Barrikaden gebracht. Denn von den rund 150.000 SNCF-Angestellten verfügen 92 Prozent über alte Rechte: Zwar verdienen 60 Prozent unter 3000 Euro brutto, aber die Beschäftigten sind nach einer (teils langen) Probezeit unkündbar. Die Bahner gehen im Schnitt mit 57 Jahren in Rente, rund sechs Jahre früher als der Durchschnittsangestellte. Ihre Bezüge berechnen sich nach den letzten sechs Monaten Berufstätigkeit - sonst werden 25 Jahre zugrunde gelegt. Obendrein gibt es Vergünstigungen wie kostenfreies Bahnfahren und Gratistickets für Angehörige, sowie 100.000 Werkswohnungen.
Unfaire Privilegien, wettern Politiker der konservativen Opposition und beklagen Macrons Pläne noch als Minimalreform. "Die Gewerkschaften geben vor, die Nutzer der Bahn zu verteidigen", schimpft Éric Woerth, ehemaliger Haushaltsminister und Abgeordneter der Republikaner. "In Wahrheit gehen sie den Kunden gehörig auf den Sack."
Die Regierung argumentiert moderater, spricht von einer überholten Streikkultur, verspricht Dialogbereitschaft, aber bleibt im Kern auf Kurs. "Wir erwarten einen harten Arbeitskampf mit erheblichen Konsequenzen für die Bahnkunden", so Jean-Baptiste Djebbari, in der Regierungsfraktion verantwortlich für die SNCF-Reform. "Wir stehen aber zu unserem Ziel, die Regierung und das Parlament sind entschlossen, die nötigen Reformen durchzuziehen."
Auf Wochen angesetzte Zermürbungstaktik
Der Einsatz ist hoch - für beide Seiten. Die Eisenbahner verzeichnen zwar zunächst einen willkommenen Solidareffekt: Gestreikt wird auch bei Air France und den Pariser Müllwerkern, ebenso sind Angestellte der Elektrizitätswerke und Studenten im Ausstand. Fraglich ist, ob die auf Wochen angesetzte Zermürbungstaktik nicht die Öffentlichkeit verprellt: Denn bis zum Beginn der Feriensaison Ende Juni sind Arbeitsniederlegungen geplant und zwar erstmals als sogenannter Perlenstreik - jeweils zwei Tage Ausstand, dann drei Tage Arbeit.

Im Quadrat die angekündigten Streiktage, Punkte für die Feiertage (aus "Le Point")
Foto: Le PointAuch für Frankreichs Präsident ist es ein Vabanquespiel. Für Macron, der sich im vergangenen Jahr bei der umstrittenen Verfügung des Arbeitsrechts gegen eine zersplitterte Gewerkschaftsfront durchsetzen konnte, steht die politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. "Sollten Macron und die Regierung nachgeben", kommentiert die Tageszeitung "Le Figaro", "können sie sich eigentlich von den Reformen an anderen Fronten verabschieden."