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Landwirtschaft Freier Fall

Weil die Verbraucher immer weniger Rindfleisch essen, fordern die Bauern mehr Hilfe vom Staat.
aus DER SPIEGEL 40/1996

Es ist nicht belegt, wo ganz genau Theo Waigel den Ochsen traf. Fest steht: Es handelte sich um einen deutschen Ochsen im Allgäu, und dessen Besitzer war mit denen da oben in Bonn und Brüssel ganz und gar nicht zufrieden.

Ganze 14,40 Mark bekomme er pro Rind von Brüssel als Ausgleich für den Preisverfall, den die BSE-Krise auf dem Rindfleischmarkt ausgelöst habe, klagte der Allgäuer dem urlaubenden Finanzminister sein Leid. Eine Sauerei sei das, weil er bei jedem Ochsen mehrere hundert Mark verliere.

Als Theo Waigel ins Salzburger Land weiterwanderte, traf er dort auch einen Ochsen, einen österreichischen. Anders als sein deutscher Kollege war der Salzburger Bauer durchaus zufrieden. Er bekomme für den Wertverlust seines Ochsen umgerechnet rund hundert Mark, erfuhr der Gast aus Bonn.

Im Urlaub, auf der Höh', fand Waigel bestätigt, was in Deutschland längst Gemeinplatz ist: Die Deutschen zahlen am meisten in die EU-Kasse. Aber wenn es ans Verteilen geht, schneiden sie am schlechtesten ab.

So scheint es nicht verwunderlich, daß Deutschlands Bauern, deren 16 Millionen Rinder offensichtlich mit einem Almosen abgespeist werden, wieder einmal ihren Mist vor die Rathäuser karren möchten.

Aber der Schein, ein deutscher Ochse sei den Brüsseler Bürokraten weniger wert als ein österreichischer, trügt. Wie alle anderen hat auch Deutschland von der rund eine Milliarde Mark, die von der EU als Soforthilfe für die bedrängten europäischen Rindfleischproduzenten ausgeschüttet wurde, seinen Anteil nach einem für alle gleichen Schlüssel bekommen. Die Verteilung des Geldes auf die Rindviecher wurde den Mitgliedstaaten überlassen. Man pflegt ja die Subsidiarität.

Doch anders als zum Beispiel die Österreicher, die ihre 50 Millionen Mark gezielt jenen Bauern zuwiesen, die unter dem Preisverfall am stärksten leiden, nämlich die Bullen- und Ochsenmäster, konnte sich die deutsche Bauernlobby nicht auf die Bevorzugung einiger unter ihnen einigen.

Also schüttete Landwirtschaftsminister Jochen Borchert den deutschen Anteil von 223 Millionen Mark gleichmäßig über Deutschlands 16 Millionen Rinder - egal, ob Milch- oder Masttier.

Angesichts unverändert flauer Nachfrage und weiter fallender Preise ist die Entrüstung der Waigelschen Urlaubsbekanntschaft im Allgäu verständlich. Gerade mal 4,79 Mark pro Kilogramm Schlachtgewicht bekommen die Bauern derzeit für ihre Jungbullen, die jetzt im Herbst von der Weide in die Schlacht-höfe müssen. Vor einem Jahr waren es noch 5,26 Mark.

Pro Mastrind verlieren die Landwirte zwischen 200 und 300 Mark. Und die Preise sind noch nicht auf dem Tiefststand angelangt.

Der freie Fall hält an, obwohl die EU ihre verstaubten Instrumente der Marktregulierung wieder hervorgeholt hat. Rund 320 000 Tonnen Rindfleisch hat Brüssel in diesem Jahr bereits zu garantierten Preisen aufgekauft und in die Kühlhäuser gesteckt.

Das ist das Fleisch von rund einer Million Rindviechern, die wegen der BSE-Angst nicht verzehrt worden sind. Weitere 100 000 Tonnen sind für dieses Jahr schon genehmigt, das Kontingent für 1997 soll auf über 500 000 Tonnen aufgestockt werden.

Geschieht nicht ein Wunder, dann erreicht der Rindfleischberg der EU im nächsten Jahr wie zuletzt Anfang der neunziger Jahre wieder die Rekordhöhe von über einer Million Tonnen.

Europa halst sich damit ein teures Problem auf, das überdies noch schwerer zu lösen ist als früher. Während sonst Zehntausende von Tonnen hochsubventioniert in die Sowjetunion und den Nahen Osten verkauft werden konnten, ist diese Schleuse jetzt verschlossen. Handelsabkommen in der Welthandelsorganisation WTO erlauben der EU seit Anfang vergangenen Jahres nur noch ein festes Kontingent subventionierten Exports von Rindfleisch, und das ist bereits ausgeschöpft.

Die teuerste Lösung sei dies, mäkelte auf dem jüngsten Treffen der EU-Agrarminister Borcherts Staatssekretär Franz-Josef Feiter, und das eingelagerte Fleisch belaste obendrein den Markt in den nächsten Jahren.

Was freilich die Deutschen anstreben, ist auch nicht gerade billig und erst recht keine Dauerlösung. Bonn möchte Prämien an Mäster zahlen, die ihre Tiere 30 bis 40 Kilogramm leichter als bisher üblich in die Schlachthäuser geben.

Das würde zwar das Angebot kurzfristig senken. Aber was passiert, wenn die Verbraucher sich weiterhin zurückhalten und die Nachfrage nach Rindfleisch auf lange Sicht im Keller bleibt? Feiter gibt zu, daß ein solches neues Prämiensystem allenfalls ein Jahr zu finanzieren ist.

So hängt denn alles davon ab, ob und wann die Europäer wieder wie früher nach dem Rindsbraten greifen. Alle Planungen in Brüssel und Bonn gehen davon aus, daß sich spätestens von 1998 an der Verbrauch von Rindfleisch in Europa wieder normalisiert.

»Wenn das nicht geschieht«, so befürchtet ein Brüsseler Agrarexperte, »dann gehen die Mäster und Europa gemeinsam pleite.«

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