ARBEITSZEIT Frevler oder Killer
Seit einigen Wochen quält sich Hermann Heinemann, der Düsseldorfer Arbeitsminister, mit der Beantwortung eines Briefs. Absender des zweieinhalbseitigen Schreibens ist der Aachener Reifenhersteller Uniroyal.
Geschäftsführung und Betriebsrat des Unternehmens bitten den Minister, ein in der Bundesrepublik bislang einmaliges Arbeitszeit-Modell zu genehmigen.
Bei Uniroyal, einem Tochter-Unternehmen des Conti-Konzerns, soll ein Teil der Belegschaft künftig nur noch 32 Stunden pro Woche an den Pressen stehen, davon allerdings samstags und sonntags je zwölf Stunden. An einem weiteren Tag werden acht Stunden abgearbeitet. Die Firma will den gleichen Lohn zahlen wie für jene, die normale 39 Stunden in der Woche arbeiten.
Die Wochenendschicht soll der Firma helfen, im boomenden Reifengeschäft mithalten zu können. Für die 32-Stunden-Jobs sollen daher neue Leute eingestellt werden: 400 zusätzliche Jobs brächte die Wochenendschicht.
Betriebsrat und Geschäftsführung sind von ihrer Idee begeistert. Uniroyal-Betriebsratschef Ferdinand Etschenberg sieht vor allem die Vorteile für die bisherige Belegschaft, der Wochenendarbeit erspart bliebe. Uniroyal-Geschäftsführer Hermann Hagelskamp hat sich ausgerechnet, daß er künftig bis zu 30 Prozent mehr Reifen ausliefern kann.
Die »hervorragende Vereinbarung« (IG-Chemie-Tarifexperte Horst Mettke) hat ihre Tücken. Nach dem Gesetz darf in der Bundesrepublik nicht ununterbrochen zwölf Stunden gearbeitet werden, nach zehn Stunden am Tag muß Schluß sein.
Probleme gibt es auch mit der Gewerbeordnung. Die teilweise aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Vorschriften erlauben Sonntagsarbeit nur in ausgewählten Branchen, wie zum Beispiel der Gastronomie, der Stahlindustrie oder in bestimmten Bereichen der chemischen Industrie. Die Reifenhersteller zählen nicht zu diesen Wirtschaftszweigen.
Weitere Ausnahmen sind nur aus technischen Gründen möglich, etwa wenn beim Anfahren der Maschinen zuviel Ausschuß entsteht. Aus diesem Grund gestattete das Stuttgarter Regierungspräsidium dem Chip-Hersteller IBM, ohne Unterbrechung zu produzieren. Bei der Reifenproduktion gibt es solche technischen Zwänge nicht.
Zu verwirklichen wäre das ausgefallene Modell nur, wenn der Arbeitsminister eine Sondererlaubnis erteilt. Doch Heinemann zögert, und dies aus gutem Grund. Durch das Ansinnen der Aachener ist der Sozialdemokrat in eine verzwickte Lage geraten.
Genehmigt er die Sonntagsarbeit und den Zwölfstundentag, dann schafft er einen Präzedenzfall. Andere Reifenhersteller würden wohl bald nachziehen. Unternehmen anderer Wirtschaftszweige, fürchtet Heinemann, könnten ebenfalls folgen und längere Maschinenlaufzeiten, auch am Samstag und Sonntag, fordern. Heinemann: »Dann hätten wir keine Handhabe mehr, Wochenendarbeit überhaupt zu untersagen«.
Lehnt Heinemann den Uniroyal-Antrag ab, kommt er ebenfalls in Argumentationsnot. Die in Aussicht gestellten 400 Arbeitsplätze würden gar nicht oder woanders entstehen. Betriebsratschef Etschenberg fürchtet gar, daß die Mutterfirma Conti zusätzliche Arbeitsplätze künftig nur noch in Schwesterwerken, etwa in Belgien oder Frankreich, schafft. Dort wird schon heute fast rund um die Uhr gearbeitet.
»Egal, wie ich mich entscheide«, stöhnt Heinemann, »ich werde entweder als Sonntagsfrevler oder als Jobkiller abgestempelt.«
Zusätzlich unter Druck gesetzt fühlt sich das ÖTV-Mitglied Heinemann durch die Gewerkschaften. Er hat entweder die IG Chemie oder die IG Metall gegen sich.
Die beiden Arbeitnehmerorganisationen führen zwei feindlich gesonnene Lager im Deutschen Gewerkschaftsbund an. Schon seit Jahren wirbt die industriefreundliche IG Chemie zusammen mit den Arbeitgebern für flexiblere Arbeitszeiten. Sie ist grundsätzlich nicht gegen Arbeit am Wochenende. Nur so, argumentiert IG-Chemie-Chef Hermann Rappe, blieben die teuren bundesdeutschen Arbeitsplätze gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig.
Die IG Metall dagegen will bei der Tarifrunde im kommenden Frühjahr für das freie Wochenende fechten. Den Verlust von Arbeitsplätzen, die dann womöglich anderen EG-Ländern zufallen, will IG-Metall-Chef Franz Steinkühler notfalls in Kauf nehmen.
Heinemann sieht nach wochenlangem Grübeln inzwischen etwas klarer. Der altgediente SPD-Taktiker will versuchen, sich zwischen den Fronten hindurchzumogeln. Er will das Experiment, wenn überhaupt, nur unter strengen Auflagen genehmigen. Vielleicht, so spekulieren Heinemann und seine Helfer, zieht der Reifenbauer seinen Antrag dann freiwillig zurück. So will der Arbeitsminister die geplanten Wochenendschichten nur für ein bis zwei Jahre dulden. Außerdem sollen sich die Uniroyal-Manager verpflichten, die neu eingestellten Mitarbeiter später weiterzubeschäftigen.
Der Plan des SPD-Mannes könnte aufgehen. Uniroyal-Geschäftsführer Hagelskamp: »Unter diesen Umständen rechnet sich das Modell für uns nicht mehr. Schließlich dauert allein die Anlaufphase ein bis zwei Jahre.« #
Reifenproduktion*, Minister Heinemann: Zwischen den Fronten durchmogeln