Abgang von Julia Jäkel bei Gruner + Jahr Raus aus dem Dschungelcamp

Vor einer möglichen Zusammenlegung von Gruner + Jahr mit RTL verlässt die Chefin das Verlagshaus. Ist der Abgang von Julia Jäkel eine Vorschau auf die längst geplante Fusion?
Noch-Gruner-+-Jahr-Chefin Jäkel, Nachfolger Schäfer

Noch-Gruner-+-Jahr-Chefin Jäkel, Nachfolger Schäfer

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Jörg Carstensen / dpa

Bevor Stephan Schäfer an die Spitze des Verlagshauses Gruner + Jahr (G+J) aufstieg, musste er noch einen starken Mann loswerden – einen Titanen: Dieter Bohlen. Dem Bertelsmann-Konzern, zu dem neben G+J auch der Fernsehsender RTL gehört, war Bohlen schon länger ein Dorn im Auge. Dennoch war die Vertragsverlängerung des »Deutschland-sucht-den-Superstar«-Chefjurors bisher immer eine reine Formsache. Bohlen war »DSDS«, da wollte niemand dran rütteln.

Das änderte sich vor rund drei Wochen: Schäfer war es, der Bohlen in den Räumlichkeiten des Hamburger Verlags mitteilte, dass man künftig auf ihn verzichten wolle. Schäfer habe das Gespräch geleitet und die Botschaft überbracht, heißt es aus seinem Umfeld, er wünschte sich mehr Familienfernsehen, weniger Demütigungen, wie sie bei »DSDS« an der Tagesordnung waren. Bohlen schied aus – und ist seitdem sauer auf seinen früheren Sender.

Schäfer, so viel ist klar, wird in Zukunft noch einige entscheidende Weichen bei Bertelsmann stellen. Schon seit Längerem ist der G+J-Vorstand auch für die Inhalte von RTL Deutschland verantwortlich. Er sitzt zudem im »Content Alliance Board« von Bertelsmann, das dafür sorgen soll, dass die Konzerntöchter inhaltlich zusammenrücken, vom »Stern« über n-tv bis zum Buchverlag Random House. Nun löst Schäfer Julia Jäkel an der Spitze von G+J ab. Wenig verwunderlich, dass viele Kenner des Hauses darin ein Vorzeichen für eine mögliche Fusion der beiden Häuser sehen.

Der Traum von einem Champion

In der Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh denkt man schon länger darüber nach, die vielen Marken unter einem Dach zu vereinen. Konzernchef Thomas Rabe glaubt an die Schaffung »crossmedialer, nationaler Champions« , um Digitalriesen wie Netflix und Amazon entgegenzutreten. Lange war das ein Wunschtraum – auch weil der Hamburger Verlag auf seine historisch gewachsene Unabhängigkeit pochte. Seit diesem Jahr ist das anders: Bertelsmann spricht – angeblich »ergebnisoffen« – darüber, wie eine künftige Zusammenarbeit zwischen G+J und RTL aussehen kann, doch die Richtung ist klar. Alles andere als eine Fusion der beiden Häuser wäre eine Überraschung. Der Abgang von Jäkel stellt in dieser Frage einen Einschnitt dar.

Jäkel, seit knapp 25 Jahren im Verlag und im zehnten Jahr Vorstandschefin, war für viele Redakteure und Redakteurinnen ein Garant dafür, dass die G+J-Redaktionen in einer Fusion nicht zu Anhängseln von Dschungelcamp und Supertalent verkommen. Dass Jäkel nun das Haus verlässt, kam für einen Großteil des Verlags überraschend, auch wenn der Abgang »freundschaftlich« und auf eigenen Wunsch erfolgte, wie es in der Pressemitteilung heißt, weil Jäkel in ihrem Leben ein neues Kapitel aufschlagen wolle. Zwar hatten sich einige daran gestört, dass die Chefin in letzter Zeit eher wie eine Außenministerin des Verlags wahrgenommen wurde, die lange Beiträge auf LinkedIn veröffentlichte oder auf der Bilderberg-Konferenz netzwerkte. Auch war sie in ihrer G+J-Karriere nie zimperlich, wenn es darum ging, Sparpläne umzusetzen: Den Deutschland-Ableger der »Financial Times« sperrte sie ebenso zu wie das Hipster-Magazin Neon. Aber immerhin galt sie als echtes Gruner-Gewächs. Man habe mit ihr immer über Recherchen und journalistische Ideen sprechen können, erzählen Redakteure. Bei Schäfer gibt es da größere Zweifel.

Der Verlag als gigantisches Mischpult

Schäfer steht intern nicht im Ruf, sich sonderlich für Qualitätsjournalismus zu interessieren, sondern eher dafür, welche Redaktionen sich möglichst gewinnbringend zusammenlegen lassen, um die Rendite zu heben. Das Verlagshaus ist für ihn ein gigantisches Mischpult, bei dem sich Inhalte über alle Zeitschriften des Hauses nach Belieben verteilen lassen. Die Rezeptetruppe bestückt neben »Essen & Trinken« längst auch »Living at Home«, Reportagen über Patchworkfamilien werden von der »Brigitte« über allerhand andere Titel gestreut.

Mit dieser Haltung hat sich Schäfer in der Gunst von Bertelsmann-Chef Rabe weit vorgearbeitet. Er gilt als geländegängig in einem Konzern, der in den vergangenen Jahren die Autonomie seiner ehemals selbstbewussten Spartenchefs geschleift hat. Die pochten bisweilen starrsinnig darauf, dass bei Bertelsmann das Prinzip der Dezentralität gelte. Selbst wenn es stimmen sollte, dass die Idee für ein Zusammengehen mit RTL von Jäkel selbst bei Bertelsmann vorgetragen wurde – dass Schäfer der starke Mann darin werden würde, zeichnete sich ab.

Vorbote der Fusion

Offiziell heißt es zwar, der Wechsel an der Spitze sei keine Vorentscheidung für die Fusion mit RTL, dennoch dürfte die Sache grundsätzlich entschieden sein. Dafür spricht auch ein weiteres Indiz. In der Einladung der RTL Group zur Hauptversammlung am 28. April werden die Mitglieder des Aufsichtsrats für weitere drei Jahre zur Wiederwahl vorgeschlagen. Nicht mehr auf der Liste stehen zwei Namen, die schon aus alter Verbundenheit sehr wahrscheinlich gegen ein Aufgehen von G+J im RTL-Kosmos votiert hätten: der frühere G+J-Chef Bernd Kundrun und Rolf Schmidt-Holtz, ehedem »Stern«-Chefredakteur und in den Neunzigerjahren G+J-Vorstand.

Entsprechend gemischt sind nun die Gefühle: Bei RTL regierte nach der Ankündigung die Vorfreude: »Gut, heiter und gelöst«, sei die Stimmung, berichtet eine Führungskraft, man sehe in einer Videokonferenz mit Schäfer »nur lachende Gesichter«. Sorgen findet man dagegen bei den Redakteuren und Redakteurinnen des Hamburger Verlags. Der Abgang Jäkels sein ein »riesiger Einschnitt«, seufzt ein Mitarbeiter.

Für Jäkel wären die kommenden Wochen und Monate durchaus schwierig geworden. Um auch den Minderheitsaktionären der RTL Group eine Gruner-Übernahme schmackhaft zu machen, muss Bertelsmann derzeit Interesse daran haben, dass der Verlag in Hamburg wie ein Schnäppchen daherkommt. Der geplante Verkauf des Frankreich-Geschäfts passt dazu gut: Obwohl die Zeitschriften eine stabile Rendite abwerfen, sollen nun 300 Millionen Euro Umsatz abgestoßen werden. Jäkel hätte im kommenden halben Jahr zusehen müssen, wie Gütersloh den Laden kleinredet und -rechnet. Für Bertelsmann hat der Inhouse-Deal dagegen Charme: Der Verkauf von G+J an RTL würde Cash einbringen, das der Konzern beispielsweise in das gut gehende Buchgeschäft investieren könnte.

Der Abschied fällt ihr leicht – und brutal schwer

Problematisch ist der Abgang Jäkels dafür in der Außenwirkung: Erst vor zwei Jahren gab sich Bertelsmann das Ziel, bis 2021 »mindestens 33 Prozent der Positionen im Top- und Senior-Management aller Unternehmensbereiche« mit Frauen zu besetzen. Davon dürfte der Konzern im Moment weit entfernt sein. Gerade in den höchsten Führungsebenen regieren Männer. Bernd Reichart, der bereits 2019 von Anke Schäferkordt die RTL-Deutschland-Geschäftsführung übernahm, wird künftig Jäkel als Vorsitzender der Content Alliance ablösen. Damit ist Julia Reuter als RTL-Verantwortliche für Personal, Kultur und Strategie die letzte weibliche Führungskraft in höheren Ämtern. Bei Bertelsmann verweist man immerhin auf die wachsende Zahl der Frauen im Group Management Committee. Bei einer internen Veranstaltung witzelte Schäfer darüber, dass er immerhin mal Chefredakteur von »Brigitte« gewesen sei. Frauen im Topmanagement ersetzt das eher nicht.

Jäkel selbst verabschiedete sich mit einer Videobotschaft von ihrer Belegschaft, sie ist über acht Minuten lang und sehr emotional. Der Abschied von G+J falle ihr gleichzeitig »leicht und natürlich brutal schwer«, sagt Jäkel darin. Leicht, weil sie stolz sei auf das, was sie bei Bertelsmann geschafft habe, und weil sie sich »keinen schöneren und besseren und eleganteren Übergang wünschen« könne. Brutal schwer, weil ihr der Verlag so ans Herz gewachsen sei, es habe eine Art »Identitätsverschwimmung« gegeben, zwischen ihr und dem großen Haus. Als das neue Führungsteam wenige Stunden später Fragen zur Ausrichtung von G+J beantwortete, saß Jäkel schon nicht mehr auf dem Podium.

Transparenzhinweis: G+J ist mit 25,25 Prozent am SPIEGEL-Verlag beteiligt.

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