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LANDSCHAFTSSCHUTZ Für Hohlköpfe

An der deutschen Nord. und Ostseeküste mehren sich Bürgerproteste gegen die Verschandelung der Strandzonen durch riesige Apartmenthochhäuser und Luxushotels.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Der Lübecker Rechtsanwalt Klaus Brock will in dieser Woche »eine gefährliche Zusammenarbeit zwischen dem Senat der Thomas-Mann-Stadt und der Maritim-Hotelgesellschaft« stoppen. Der Beauftragte der Notgemeinschaft »Gestaltetes Lübeck« hat im von zehntausend Bürgern unterzeichnetes Papier vorbereitet. mit dem beim Stadtoberhaupt gegen das geplante Kurzentrum Maritim im Ostseebad Travemünde Protest eingelegt werden soll.

Mit der Bürgerinitiative, an der sich unter anderem 30 Richter und zehn Architekten beteiligten, wehren sich die Bewohner der deutschen Wasserkante gegen »die Verplanung ihrer Strände mit protzigen Betonhochhäusern«. Das bisher größte Bettensilo. ein 104 Meter hoher Wolkenkratzer der Maritim-Hotelgesellschaft, soll im Travemünder Kurzentrum entstehen.

Den Unwillen der Lübecker forderten die Stadtväter erstmals im März dieses Jahres heraus. Damals beschlossen die Gemeindevertreter, Grünanlagen und Sportplätze in unmittelbarer Strandnähe einzuebnen und an ihrer Stelle das neue Kurzentrum zu errichten. Über die mit 500 Hotelbetten. 320 Apartments. Kongreßräumen, Bädern und Gaststätten bestückte Anlage hagelte es in der Lokal presse zornige Leserbriefe.

Leserin Ursula Kliese zum Beispiel erinnerte die Stadtoberen an die Tatsache, daß der Travemünder Strand bereits mi letzten Jahr so überfüllt war, »daß es nur einem Hürdenläufer mit viel Geschicklichkeit gelang, überhaupt ans Wasser zu kommen. Ein Herr Illing warnte, der »riesige Betonfinger werde »die Atmosphäre des Ostseeheilbades auf immer zerstören«, und Leser Sübeck protestierte sarkastisch: »Es wird etwas los sein. Erholung für Hohlköpfe. Weltduft in Travemouth Beach.«

Rechtsanwalt Brock und ein Dutzend Bürger der Stadt wollten es bei solchen Zeitungs-Protesten aber nicht bewenden lassen. Anfang April gründeten sie die Notgemeinschaft »Gestaltetes Lübeck« und ließen in der ganzen Stadt Unterschriftslisten gegen das Maritim-Projekt kursieren. Text eines Begleit-Flugblattes an die »nicht gefragten Einwohner Lübecks und Travemündes": »Der Maritim-Koloß engt die Erholungsmöglichkeiten der Normalverdiener weiter ein zugunsten einer kleinen Geldprominenz Schicht.«

Tatsächlich hat es die expandierende Maritim-Hotelkette. hinter der die mit 30 Millionen Eigenkapital ausgestattete »Finanz- Batt- und Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG« in Bad Salzuflen steht, in erster Linie auf die Brieftaschen wohlhabender Bundesbürger abgesehen. Denn die Preise im Travemünder Hochhotel sollen eben -- so gepfeffert sein wie im benachbarten Maritim in Timmendorf. Der Tagespensionspreis für ein Doppelzimmer beträgt dort bis zu 178 Mark.

in ihrem Eifer. in Travemünde ebenfalls eine Maritim-Nobelherberge vorweisen zu können, zeigten sich die Senatoren gegenüber den Hotelbossen als äußerst kulant. So ließen sie einen Plan der Bauverwaltung kurzerhand in der Schublade verschwinden. Nach der Planung der Stadtarchitekten sollte ein neues Großhotel einige hundert Meter vom Strand entfernt auf dem Kalvarienberg entstehen. Bausenator Werner Kresse: »Ich habe für die Lösung gekämpft wie ein Fighter.«

Zudem unterließen es die Stadtväter, für das Maritim-Projekt einen in solchen Fällen üblichen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Auch eine beim Amt für Entwicklungsplanung in Auftrag gegebene Fremdenverkehrsstudie warteten sie gar nicht erst ab.

Im Eiltempo wurde das Maritim-Projekt von der Bürgerschaft abgesegnet. Die Stadtväter verhalfen der Hotelgesellschaft damit zu ihrem bisher günstigsten Abschluß. Von 80 Millionen Mark Gesamtkosten des Projekts brauchen die Maritim-Gruppe und ihre Kommanditisten nur 65 Millionen Mark selbst aufzubringen, wovon sie über die Zonenrandabschreibung 30 Prozent der Kosten für Gebäude und 50 Prozent für Einrichtungen von der Steuer absetzen können. Für den Rest von 15 Millionen Mark steht die Stadt Lübeck gerade. Allerdings kann die Lübecker Obrigkeit hoffen, diesen Betrag aus Förderungsprogrammen von Bund und Land ersetzt zu bekommen.

Um das Hotelprojekt im letzten Augenblick doch noch zu Fall zu bringen. will die Notgemeinschaft das Projekt »mit allen gesetzlichen Mitteln« bekämpfen. Eine wirksame Waffe glaubt Rechtsanwalt Brock im Bundesbaugesetz gefunden zu haben. Unter Paragraph 1 heißt es dort nämlich: »Die Bauleitpläne haben sich nach den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung, ihrer Sicherheit und Gesundheit zu richten ... und der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes zu dienen.«

Inzwischen machen auch andere deutsche Küstenbewohner Front gegen Hotel- und Apartmenthochhäuser. So etablierte sich auf der Nordseeinsel Sylt die »Bürger-Initiative Apartment-Baustopp«. In einer Postwurfsendung forderte Initiator Gerd Werner seine Mitbürger auf, sich mit einer Unterschriftensammlung gegen das Großprojekt »Atlantis« und andere Westerländer Apartmentbauten zu beteiligen. Bauherr der »Atlantis«-Anlage, in der bis 1973 über 700 »exklusive Luxus-Apartibents in einmaliger Lage« entstehen sollen, ist die Firma Bense Bau in Stuttgart. Das Unternehmen baute im Westerländer Kurzentrum bereits drei Hochbauten.

Mit den Unterschriftslisten will die Initiativ-Gemeinschaft von der Landesregierung »den sofortigen Baustopp« für weitere Apartmenthäuser erreichen. Apartment-Großprojekte beschwören nach Meinung der Notgemeinschaft die Gefahr von »Verstädterung, Verkehrschaos, Überfüllung des Badestrandes und untragbarer Luftverschmutzung durch Autoabgase herauf.

Werner zur Westerländer »Hochhaus-Gigantomanie": »An der englischen Atlantikküste gibt es heute Orte, wo nach einem plötzlichen Bau-Boom die Gäste fernblieben. Heute sind es leere Geisterstädte.«

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