Unternehmen Futter für Bullen
»Industriellen Erpressungsversuchen«, verteidigte sich Hans-Otto Schwarz, 42, SPD-Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg, »haben wir immer die nackte, kalte Schulter gezeigt.«
Doch »in diesem Fall«, argumentiert der Schwabe, »liegen die Dinge anders«. Der Fall: eine Bürgschaft über 70 Millionen Mark für die Ulmer Lastwagenfabrik Magirus, die das Bundesland den Lkw-Managern in der vorletzten Woche großzügig einräumte.
Mit dieser staatlichen Zuchthilfe für die »Deutschen Bullen« (Werbeslogan von Magirus) unterstützt eine Landesregierung erstmals einen Großkonzern, der nicht etwa vor dem finanziellen Kollaps bewahrt werden muß, wie beispielsweise vor Jahren die Essener Eisenschmiede Krupp oder die bayrische Automobilmanufaktur BMW. Die Stuttgarter Zusage soll vielmehr Millionenkredite bei deutschen Banken für den Neubau einer Lastwagenfabrik absichern, obwohl der Kredit des Konzerns alles andere als gefährdet ist.
Hinter dem Namen Magirus verbirgt sich nämlich eine der mächtigsten Industrie-Gruppen in Deutschland: Die Ulmer Magirus-Fabrik ist ein Zweigwerk der renommierten Kölner Maschinenfabrik Klöckner-Humboldt- Deutz (KHD), an der die Stahlhandelsgesellschaft Klöckner & Co. in Duisburg maßgeblich beteiligt ist. Jahresumsatz der Gruppe: über 8,3 Milliarden Mark.
Der Bund der Steuerzahler in Stuttgart kommentierte deshalb in der vorletzten Woche das Millionengeschäft mit dem Staat: »Eine ausgesprochen bedenkliche Sache.« Mit dem Jawort von Minister Schwarz und dem Plazet des Finanzausschusses im Stuttgarter Parlament kann KHD-Chef Karl-Heinz Sonne jedes finanzielle Risiko für sein Ausbau-Projekt -- noch dazu in der hart umkämpften Lkw-Branche -- auf die Steuerzahler abwälzen. Verärgert meinte ein Daimler-Benz-Manager: »Oberkapazitäten, die auch noch mit Landesmitteln finanziert werden.«
In der Tat klagen Deutschlands Lkw-Manager seit Jahren über stockenden Absatz und zu hohe Produktionskapazitäten. Sogar der Branchen-Primus in Deutschland, die Stuttgarter Daimler-» Benz AG (Marktanteil im Inland bei Lastkraftwagen über sechs Tannen: rund SO Prozent), hat seine Bänder nicht voll ausgelastet und erwägt eine Produktionsdrosselung im Kasseler Hanomag-Henschel-Werk. Auch die Schwerlastwagen-Fabrik MAN quält sich seit dem Kauf der maroden Büssing-Werke vom bundeseigenen Salzgitter-Konzern mit der verlustbringenden Produktion dieser Tochterfirma.
Sonnen Deutsche Bullen schließlich gerieten im vergangenen Herbst so stark in den Konjunkturschatten, daß 4500 Arbeiter in Ulm mehrere Monate kurzarbeiten mußten. Heute klagt MAN-Vorstandsmitglied Hans Moll: »Der Wettbewerb ist härter denn je, und die Preiskonditionen sind verfallen.«
Bei dieser Marktlage will Deutschlands kleinste Lastwagenfabrik Magirus mit Hilfe der Landesbürgschaft neue Fertigungsstraßen und größere Produktionskapazitäten errichten, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Allein 1971 schrumpfte die Magirus-Produktion um 24 Prozent, bei Daimler-Benz rollten 6,8 Prozent weniger Lastwagen von den Bändern, und nur die MAN verkaufte 6,5 Prozent mehr.
Automobil-Experten prophezeien angesichts der bestehenden Überkapazität eine weitere Konzentration der Lkw-Pirmen in Europa, deren Opfer bereits die Lastwagen-Sparten von Krupp und Rheinstahl wurden, die beide Daimler-Benz zufielen. Wenn Großbritannien 1973 Mitglied der EWG wird, drängen zudem die englischen Marktgiganten British Leyland und Bedford auf den zum größten Teil von Fiat und Daimler-Benz beherrschten kontinentalen Markt. Nach Meinung der Branche werden dann neue Opfer unvermeidlich sein.
Ungeachtet dieser Entwicklung setzt KHD-Chef Sonne auf den Ausbau der Magirus-Fabrikation. Das erst vor sechs Jahren errichtete Ulmer Motorenwerk soll nun mit Bürgschaftshilfe des Landes um ein neues Montagewerk erweitert werden. Die Hoffnungen des Managements zielen auf das Jahr 1974. Dann will die Bundeswehr ihren veralteten Lkw-Park modernisieren. Und die Militärs haben sich für den luftgekühlten Dieselmotor aus Sonnes Ulmer Bullenstall entschieden. Bis dahin muß Magirus weiter gegen übermächtige Konkurrenz kämpfen. Stuttgarts Wirtschaftsminister Schwarz: »Maßgebend für uns war die Strukturpolitik.
Die Struktursorgen des schwäbischen SPD-Politikers nutzten die KHD-Manager rigoros aus. Aus Angst davor, Magirus könne mit dem Neubau in ein anderes Bundesland abwandern, zeigte sich Schwarz »in diesem Fall« schon zu Beginn der Bürgschaftsverhandlungen kompromißbereit. Der Druck Ulmer Lokalpolitiker, die dem größten Arbeitgeber der Stadt (Magirus-Beschäftigte: 10 000) verpflichtet sind, machte den Minister und seinen Finanzausschuß vollends weich. CDU-Abgeordneter Hans Lorenser aus Ulm: »Wir hätten eine Schrumpfung des Werkes nicht verkraftet. Es geht dabei schließlich um die zukünftige Existenz von Magirus.«
Zumindest die Sorge vor Abwanderung war kaum begründet. Denn schon vor Jahren hatten sich die Lkw-Manager aus Ulm, denen die alte Fabrik in der Stadt zu eng wurde und zu wenig Rationalisierungschancen bot, in einem neuen Industrieansiedlungsgebiet an der Donau genügend Gelände für den Neubau preisgünstig gesichert. Ein Umzug der Lkw-Produktion weg vom Motorenwerk erschien somit wenig wahrscheinlich.
Doch der Wink mit dem möglichen Auszug der Bullen genügte. Mit der Zusage des Landes mi Rücken kann Sonne nun günstigere Kredite erhalten, als das Unternehmen KHD sonst bekommen würde. Sollte sich der Kapitaleinsatz dennoch als Fehlschlag erweisen, müssen die Steuerzahler für das Bullen-Futter aufkommen.