Endlich verständlich G20 in Hamburg - alle Fakten über den Klub der Mächtigen

Die Bundesregierung nennt zwei Gründe, warum die Wahl auf Hamburg gefallen ist. Die Hafen- und Handelsstadt habe als "Tor zur Welt" einen Symbolwert. Angela Merkel (CDU) wolle den G20-Gipfel als Geste gegen protektionistische Tendenzen. Mitten in Zeiten, in denen Politiker wie US-Präsident Donald Trump auf nationale Alleingänge setzen, bleibe Deutschland Absprachen mit den anderen G20-Partnern treu, soll das heißen. Der Gipfel passe prima zur "Weltoffenheit Hamburgs", hat Merkel im Februar 2016 beim traditionellen Matthiae-Mahl verkündet.
Für Hamburg spricht außerdem die Logistik: Während sich die kleine Gruppe der Vertreter der sieben führenden westlichen Industrienationen bei G7-Treffen gern an möglichst abgelegene Orte zurückzieht (etwa 2007 noch als G8 mit Russland ins Ostseebad Heiligendamm oder 2015 nach Schloss Elmau), ist das bei G20-Treffen nicht möglich. Die Teilnehmerzahlen sind zu groß. Mehr als 30 offizielle Delegationen müssen in Hamburger Hotels untergebracht werden, hinzu kommen bis zu 4000 Journalisten.

Polizei an der Elbphilharmonie in Hamburg
Foto: Daniel Reinhardt/ dpaDer G20-Vorsitz wechselt jedes Jahr und damit auch der Gastgeber des jährlichen Gipfels, allerdings nach einem etwas komplizierten System: Die G20-Staaten teilen sich in fünf Gruppen auf, die den Vorsitz jeweils unter sich ausmachen. 2017 war turnusgemäß Gruppe vier an der Reihe. Die Bundesregierung hat sich mit den drei anderen Gruppenmitgliedern Italien, Frankreich und Großbritannien abgestimmt. Damit übernimmt Deutschland nach 1999 und 2004 zum dritten Mal den Vorsitz des Klubs - allerdings tagten damals noch ausschließlich die Finanzminister untereinander. Die Staats- und Regierungschefs kommen erst seit 2008 zusammen.
Aufgepasst! Mitglied der G20 sind - sortiert nach Wirtschaftskraft: die USA, China, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Indien, Brasilien, Italien, Kanada, Südkorea, Russland, Australien, Mexiko, Indonesien, die Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien und Südafrika.
Sofern Sie mitgezählt haben und stutzig geworden sind: Stimmt, das sind gar nicht 20 Staaten. Die "Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer" besteht in Wahrheit nur aus 19 Ländern. Mitglied Nummer 20 ist die Europäische Union, vertreten durch die EU-Kommission.

EU-Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker
Foto: JOHANNES EISELE/ AFPDamit sind aber längst nicht alle Teilnehmer der Gipfeltagungen genannt. Zahlreiche internationale Organisationen nehmen ebenfalls an den Gesprächen teil, etwa der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder die Welthandelsorganisation (WTO). Auch der neue Generalsekretär der Uno, António Guterres, wird erwartet. Darüber hinaus werden zu jedem Gipfel zahlreiche Gastländer - ohne Stimmrecht - eingeladen, etwa aus Afrika.
Um die Verwirrung zu komplettieren: Spanien sitzt ebenfalls mit am Tisch, obwohl es gar kein Mitglied ist. Es ist permanentes Gastland. "Das Treffen der G20 in Hamburg wird in Wahrheit zur G35", konstatiert deshalb das "Hamburger Abendblatt".
Jede einzelne der Delegationen umfasst zum Teil mehrere Hundert Mitglieder. Die Zahl der Gipfelteilnehmer könnte insgesamt 20.000 erreichen. Allein aus den USA werden bis zu 800 Männer und Frauen erwartet.
Genau genommen: keine. "Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer" - das klingt viel eindeutiger, als es ist. Der Kreis der Mitglieder ist seit der Gründung der G20 1999 festgelegt. Verschiebungen der Wirtschaftsleistung haben keinen Einfluss auf die Mitgliedschaft.
Auch sind heute gar nicht ausschließlich die wirtschaftlich stärksten Länder vertreten: 2016 hatten die Nichtmitglieder Spanien, die Niederlande und die Schweiz ein höheres Bruttoinlandsprodukt als die Mitglieder Saudi-Arabien, Argentinien und Südafrika.
Dieser Mitgliederkreis wurde schon bei der Gründung der G20 im Jahr 1999 so festgelegt. Laut dem Politologen John Kirton von der G20-Forschergruppe der Universität Toronto einigten sich der damalige US-Finanzminister Lawrence Summers und sein kanadischer Kollege Paul Martin auf eine Länderliste und legten damit fest, wer reindurfte in den Klub - und wer nicht.
Versuche, weitere Mitglieder aufzunehmen, werden von vielen Ländern kritisch gesehen, weil damit entweder der Westen oder die Schwellenländer mehr Gewicht bekommen würden. Als bei einem Treffen in Washington ein Vertreter Spaniens am Tisch auftauchte, empörte sich etwa Manmohan Singh, damals Ministerpräsident Indiens: "Was hat eigentlich Spanien hier zu suchen?"
Caio Koch-Weser, damals deutscher Finanzstaatssekretär und an der Gründung der G20 beteiligt, war sich dieser Spannungen durchaus bewusst. Das Forum lebe davon "dass die, die drin sind, den Klub lieben, und die, die draußen sind, ihn hassen", hat er einmal gesagt.

Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser, Finanzminister Hans Eichel
Foto: Michael UrbanDer Klub hat zwei Geburtsstunden. Die erste schlug 1999, die zweite 2008. Beide Daten stehen in engem Zusammenhang zu schweren Wirtschaftskrisen. Vertreter der G20 kamen im Dezember 1999 zum ersten Mal in Berlin zusammen. Das Treffen ging zurück auf eine Initiative des kanadischen und des amerikanischen Finanzministers, im Verbund mit den Deutschen.
Das neue Dialogforum war eine Reaktion der sieben führenden Industrienationen (G7) auf die Finanzkrise Ende der Neunzigerjahre in Asien. Diese hatte heftige Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten ausgelöst - und gezeigt, dass längst nicht mehr nur die Ereignisse in den G7-Staaten über das Auf und Ab der Weltwirtschaft bestimmen.
Die Kanadier und Amerikaner machten sich dafür stark, die wichtigsten Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien einzubinden. Anfangs trafen sich allerdings ausschließlich die Finanzminister und Notenbankchefs der 19 Mitgliedstaaten sowie der EU.
Das änderte sich ein Jahrzehnt nach der Gründung der G20 mit dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Weltwirtschaft stand vor dem Abgrund. Im Herbst 2008 kamen zum ersten Mal auch die Staats- und Regierungschefs zusammen. Seitdem tagen die G20-Staaten in diesem Format.

G20-Krisen-Sitzung 2009 in London
Foto: A3116 Tim Brakemeier/ dpaDas Ziel war damals, mit vereinten Kräften die Schwächen des Weltfinanzsystems zu beseitigen, die Folgen der Krise für die Realwirtschaft abzumildern - und zu verhindern, dass die Länder ihre Märkte untereinander abschotten. Beim darauffolgenden Treffen in London 2009 einigten sich die G20-Mitglieder unter anderem darauf, im Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht kooperierende Staaten auf schwarze Listen zu setzen. Seit 2009 ist die G20 auch das zentrale informelle Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit.
In den vergangenen Jahren hat die G20 ihre Agenda ausgeweitet. Nun tauschen sich die Staats- und Regierungschefs auch verstärkt über globale Themen jenseits des Finanzsektors aus: von Klimawandel und Energiepolitik über Welthandel und Koordination der Arbeitsmarktpolitik bis hin zu Ernährungssicherheit oder Entwicklungszusammenarbeit. Die G20 vereint etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung, drei Viertel des globalen Handels und mehr als vier Fünftel der Wirtschaftsleistung.
Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat angesichts der wachsenden Zahl von G-Gruppen spöttisch von einem "Hochgebirgspanorama von Gipfeln" gesprochen. Selbst hochrangige Vertreter der Teilnehmerländer verlieren da gelegentlich den Überblick. So wie der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der flugs aus der "Gruppe der 20" die G25 machte.
Die G7 wurde fast ein Vierteljahrhundert vor der G20 gegründet: 1975 kamen im französischen Rambouillet die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien zusammen. Sie nannten sich damals noch G6. Kurz darauf stieß Kanada als siebtes Mitglied hinzu. Wieder spielten gemeinsame Wirtschaftsinteressen eine Rolle: Die Industrieländer hatten 1973/74 unter dem ersten Ölpreisschock gelitten.
1998 wurde aus der G7 die G8, die Gruppe wurde um Russland erweitert. 2014 wurde Moskau nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim wieder ausgeschlossen. Die G7 ist eine Art Mutter der G20: Alle G7-Staaten sind auch Mitglied der G20, die Zusammenarbeit im kleineren Kreis ist aber traditionell enger.
Bei der G33 handelt es sich um eine Gruppe von Schwellenländern. Diese schlossen sich 2006 unter der Führung von China und Indien zusammen, um ihre Interessen bei Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO zu koordinieren und insbesondere ihre heimischen Agrarmärkte zu schützen. Ende der Neunzigerjahre gab es auch kurzzeitig mal eine G33 von Industrie- und Schwellenländern. Sie war ein Vorläufer der G20.
Die G77 wiederum ist ein loser Zusammenschluss von Schwellenländern vor allem aus Lateinamerika, Afrika, Asien und dem Pazifik - mit dem Ziel, die Interessen dieser Nationen in internationalen Verhandlungen zu bündeln und Verhandlungsmacht aufzubauen. Sie wurden 1964 von 77 Staaten gegründet; mittlerweile gehören dieser Gruppe mehr als 130 Staaten an.
Oft sind die Interessen innerhalb der G77 aber zu unterschiedlich, um Beschlüsse zu fassen. Von sich reden machte die Gruppe zuletzt vor allem bei den internationalen Klimaverhandlungen, bei denen sie sich für Ausgleichszahlungen für die ärmeren und vom Klimawandel am meisten betroffenen Staaten starkmachte.
Deutschland hat für seine G20-Präsidentschaft in einem Grundsatzpapier drei übergeordnete Ziele formuliert: Stabilität sicherstellen, Zukunftsfähigkeit verbessern und Verantwortung übernehmen.
Zum ersten Ziel gehört es, das Finanzsystem widerstandsfähiger gegen künftige Krisen zu machen - etwa durch die Überwachung sogenannter Schattenbanken. Gemeint sind damit mächtige Finanzunternehmen, die sich allerdings außerhalb der Kontrolle klassischer Banken bewegen. Hedgefonds sind ein Beispiel dafür.
Die Bundesregierung setzt sich auch für die Förderung von Klimaschutzprojekten ein und für einen besseren Zugang zu Finanzdienstleistungen für möglichst breite Bevölkerungsschichten.
Auch den freien Handel will Deutschland fördern: "Die Wohlstandsgewinne der Globalisierung dürfen nicht durch Abschottung und Protektionismus zurückgedreht werden", heißt es in dem Ende November 2016 verabschiedeten Papier.
Als Beitrag zur Zukunftsfähigkeit versteht die deutsche Präsidentschaft auch den Klimaschutz. Über die Ratifizierung des Pariser Abkommens hinaus wolle die G20 "bei der ambitionierten Umsetzung vorangehen und Dritte dabei unterstützen". Dazu gehört etwa der weltweite Abbauvon Subventionen für fossile Energien. Solche Ziele erscheinen aber spätestens seit dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Vertrag reichlich ambitioniert (siehe Punkt 14).
Außerdem sollen die Chancen der Digitalisierung besser genutzt werden, unter anderem durch den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur und mehr digitale Bildung. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wollen die G20 fördern, indem sie bis 2025 die Lücke in der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen um 25 Prozent reduzieren.
Verantwortung übernehmen sollen die G20-Staaten nach deutscher Vorstellung beim Umgang mit Flucht und Migration. Dazu gehört neben einer Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit auch die Verbesserung der Lage in den Herkunftsländern von Flüchtlingen: Über die Initiative "Compact with Africa" soll zunächst fünf afrikanische Ländern der Zugang zu Investitionen erleichtert werden. Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche will Deutschland unter anderem bekämpfen, indem Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten von Briefkastenfirmen und ähnlichen Konstrukten ausgetauscht werden.
Der eigentliche Gipfel der Staats- und Regierungschefs dauert nur zwei Tage: Er wird in diesem Jahr am 7. und 8. Juli in Hamburg stattfinden. Die Präsidentschaft dafür hat Deutschland aber schon im Dezember vergangenen Jahres übernommen - und seitdem läuft das Nebenprogramm dieser zwei Tage.
In den ersten Wochen des Jahres haben sich bereits unterschiedliche Arbeitsgruppen getroffen, deren Themen etwa Digitale Wirtschaft, Nachhaltigkeit oder Entwicklung sind. Experten diskutieren dabei über Fachfragen und stoßen konkrete Projekte an.

US-Außenminister Tillerson in Bonn
Foto: Oliver Berg/ picture alliance / Oliver Berg/dpaNoch wichtiger aber sind die Ministertreffen im Vorfeld des Gipfels. Im Januar kamen bereits die Agrarminister zusammen, die Außenminister trafen sich Mitte Februar in Bonn - das Treffen war Anlass für die erste Auslandsreise von Trumps Außenminister Rex Tillerson. Die Finanzminister der G20 sowie die Zentralbankchefs saßen im März in Baden-Baden zusammen. Das Treffen verlief allerdings wenig zufriedenstellend für den Gastgeber Deutschland: Die Amerikaner setzten sich bei der Abschlusserklärung durch, die dann nur noch das vage Bekenntnis erhielt, "den Beitrag von Handel zu unseren Volkswirtschaften zu stärken".
Der Begriff bezeichnet ein Bergvolk im Himalaya, das vor 500 Jahren aus weiter östlich gelegenen Gebieten Tibets einwanderte. In der neueren Zeit sind Sherpas vor allem als Träger und Bergführer bei Expeditionen bekannt, die westlichen Bergsteigern beim Ersteigen der Gipfel des Himalaya helfen.
Die Hauptlast bei den G20-Gipfeln ruht ebenfalls auf den Schultern von sogenannten Sherpas. Der Begriff hat sich eingebürgert als Bezeichnung für die jeweiligen Chefunterhändler, die vor und während der Tagungen die Strippen ziehen - und im besten Falle dafür sorgen, dass die meisten Probleme längst gelöst sind, wenn die Staats- und Regierungschefs selbst zum Treffen einfliegen.
Im Falle von Angela Merkel heißt der Sherpa Lars-Hendrik Röller. Der Wirtschaftsprofessor ist wirtschafts- und finanzpolitischer Berater der Kanzlerin und Leiter der Abteilung 4 im Kanzleramt (Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik). Die G20-Sherpas treffen sich ebenfalls im Vorfeld des Gipfels. Die Tätigkeit als Sherpa ist oft ein Sprungbrett für die weitere Karriere: Bundesbank-Chef Jens Weidmann war bis 2011 ebenfalls Sherpa.

Deutscher Chefunterhändler Lars-Hendrik Röller
Foto: Kay Nietfeld/ picture alliance / dpaJa und nein. Die Treffen sind ebenso wie die Beschlüsse informeller Natur, also anders als etwa Entscheidungen des Uno-Sicherheitsrats, dessen Beschlüsse für alle Uno-Mitgliedstaaten Geltung haben. In den Abschlusserklärungen der G20-Teilnehmer finden sich deshalb oftmals Selbstverpflichtungen, viele weiche Formulierungen wie: Man sei "sich einig", habe "sich verständigt", "strebe an".
Was hier vereinbart wird, obliegt dem guten Willen der Teilnehmer, es auch umzusetzen. Es gibt kein Kontrollorgan, das über die Einhaltung wacht. Deswegen gibt es auch nur wenige Übersichten, was von den Gipfeln am Ende auch in nationales Recht umgesetzt wurde. Oftmals wird dies durch unabhängige Forscher geleistet, die sich kritisch mit der Rolle der G20 beschäftigen.
Dennoch ist die Runde kein Papiertiger. Sie bietet eine wichtige Plattform für direkte Kontakte der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder. Die G20 ist deshalb so etwas wie eine "Weltregierung in Reserve": In Krisenzeiten wächst ihre Bedeutung sprunghaft an.
Ein Beispiel ist die Rolle des Klubs während der weltweiten Finanzkrise 2007 bis 2009. Die Bewältigung der höchst komplexen Lage war nur auf der Ebene der höchsten Entscheidungsträger möglich. Auch hier galt die frühere Maxime, dass nichts von dem, was verabredet wurde, rechtlich verbindlich war. Dennoch wurde damals eine Reihe von Maßnahmen in nationales Recht - insbesondere in der EU und in den USA - umgesetzt.
So finden sich viele Versprechen der G20-Runde zur Finanzregulierung in einem wichtigen Reformwerk der US-Regierung, dem fast 1400-Seiten umfassenden Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act. Auch weitere Verabredungen der G20 wurden Realität: Die US-Finanzaufsicht wurde umgebaut und mehrere neue US-Behörden gegründet, Hedgefonds mussten sich registrieren lassen und werden seitdem strenger überwacht, systemrelevante Banken identifiziert, die Regeln für Verbriefungen verschärft, ebenso auch für Ratingagenturen.
Zudem hatten sich die G20-Mitglieder darauf geeinigt, die Mittel für den Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzustocken. Um die Aufsichtsbehörden für Banken und Finanzinstitute weltweit zu koordinieren, wurde zudem das Financial Stability Forum in das Financial Stabilty Board (FSB) umgewandelt - mit mehr Geld und mehr Mitgliedern. Dies war eine direkte Folge der beim G20-Treffen 2009 getroffenen Verabredungen. Zum FSB gehören seitdem nicht nur Institutionen der G20, sondern unter anderem auch die Europäische Zentralbank, die Weltbank und die EU-Kommission.
Ein Jahr darauf wurde beim G20-Treffen im südkoreanischen Seoul vereinbart, dass Banken weltweit eine höhere Eigenkapitalquote für Krisenzeiten aufzubauen haben. Diese Regulierung fand schließlich ihren Niederschlag in dem Finanzabkommen Basel III, das seitdem sukzessive die frühere Vereinbarung Basel II ersetzt.
Die G20 wird angeführt von einem Dreierteam - unter Vorsitz des aktuellen Gastgeberlands. Diese Troika besteht derzeit neben dem aktuellen Gipfelgastgeber Deutschland aus dem vorangehenden (China 2016) und dem künftigen Gastgeber (Argentinien 2018). Das soll die Kontinuität stärken.
Ein Problem der G20-Treffen (und des kleineren Bruders, der G7) ist aus Sicht ihrer Kritiker ihre Intransparenz. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, daher sind die Entscheidungsprozesse - etwa wie einzelne Passagen in die Abschlusserklärung hineinkommen, und wer sie durchgesetzt hat - oft unklar.
Manchmal aber wird das Feilschen der Staats- und Regierungschefs im Detail öffentlich, so wie im Falle des London-Gipfels im April 2009. Darum ging es damals: Alle Länder wollten eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte erreichen. Bundeskanzlerin Merkel und einige andere wollten die Gelegenheit nutzen und zahlreiche Steueroasen ächten. Deren Namen sollten auf einer Art schwarzen Liste veröffentlicht werden. US-Präsident Barack Obama und der britische Premierminister Gordon Brown stellten sich quer. Beide Länder betreiben selbst Steueroasen.
Bei der Abschlussrunde kam es zum Showdown. China schlug sich auf Merkels Seite, Japan war dagegen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy redete sich in Rage ("Wenn es keine Liste gibt, sind alles nur leere Worte. Das ist ein Desaster."). Sarkozy drohte, die Abschlusserklärung nicht zu unterzeichnen. Am Ende einigte sich die Runde darauf, dass die G20 selbst keine Liste veröffentlicht - dafür aber ausdrücklich auf die kurz darauf von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) publizierte Aufstellung von Steueroasen hinweist.
So ein offener Schlagabtausch ist aber die Ausnahme. Vieles, was die G20 verabschieden, ist weit im Voraus erarbeitet worden. Die Vorabsprachen erfolgen durch Sherpas, die direkt den Staats- und Regierungschefs zugeordnet sind. Sie verhandeln über das, was das Gastgeberland als Schwerpunkt seiner Präsidentschaft ansetzt. Was die Sherpas verhandeln, kommt meist auch ins Abschlussdokument (siehe Antwort 8).
Oftmals wird schon beim vorangeschalteten G20-Treffen der Finanzminister deutlich, worauf sich alle einigen können und worauf nicht. So taucht die wiederholt von deutscher Seite erhobene Forderung nach einer Steuer auf Transaktionen am Finanzmarkt in keinem Dokument auf - seit rund 20 Jahren gibt es dazu auf internationaler Ebene der G7/G8- und späteren G20-Treffen keine Einigkeit.
Für den G20-Gipfel sind zahlreiche Proteste angekündigt, darunter eine Demonstration mit 50.000 bis 100.000 Teilnehmern. Dazu aufgerufen haben unter anderem das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Kampagnenplattform Campact und die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Auch die in Hamburg verwurzelte linksautonome Szene hat Widerstand gegen das Treffen angekündigt. Schon vor Beginn des Gipfels kam es zu ersten Auseinandersetzungen, als die Polizei ein Protestcamp auf der Elbhalbinsel Entenwerder räumte.

Was die meisten G20-Kritiker eint: Sie zweifeln die Legitimation der Staatengruppe an. Schließlich wurden die Mitglieder vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgewählt, wobei nicht einmal dieses Kriterium konsequent angewendet wird (siehe Frage 2). Obwohl sie ein informelles Forum ohne eigene Verwaltung und dauerhafte Vertretung sind, diskutieren die G20 regelmäßig über Fragen von globaler Bedeutung.
Zu den G20-Mitgliedern gehören autoritär regierte Länder wie Saudi-Arabien und China. Die schärfsten Proteste in Hamburg aber könnten sich gegen die Teilnahme dreier gewählter Präsidenten richten: Donald Trump (USA), Recep Tayyip Erdogan (Türkei) und Wladimir Putin (Russland).
Viele Kritiker werfen den G20 zudem vor, eine neoliberale Agenda zu verfolgen. Nach Ansicht von Attac stehen die Staaten "für eine Politik, die auf Wirtschaftswachstum, Profitmaximierung und Konkurrenz ausgerichtet ist und globale Konzerne, große Vermögensbesitzer und Finanzmärkte begünstigt".
So gebe es noch immer keine entschiedene Verbesserung der Bankenkontrolle - obwohl die G20 als Reaktion auf die Finanzkrise entstanden (siehe Frage 3). Inkonsequenz wird den G20-Staaten auch beim Klima- und Umweltschutz vorgeworfen. Bereits 2009 versprach die Gruppe, "ineffiziente Subventionen" für fossile Brennstoffe abzubauen. Bis heute aber hätten sich die Mitglieder nicht einmal auf eine Definition solcher Subventionen geeinigt, kritisiert die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. Stattdessen würden sie fossile Energieträger mit jährlich 444 Milliarden Dollar subventionieren.
Für radikale G20-Gegner schließlich sind die Proteste in Hamburg Teil eines Kampfes gegen die Staatsgewalt,der schon bei früheren Gipfeltreffen geführt wurde. Mitte März gingen in der Nähe der Wohnung von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz zwei Autos in Brand auf. In einem Bekennerschreiben erinnerten die mutmaßlichen Täter an Ian Tomlinson sowie Carlo Giuliani. Der Zeitungsverkäufer Tomlinson war 2009 am Rande des G20-Gipfels von London gestorben, nachdem ihn ein Polizist geschlagen und zu Boden geworfen hatte. Giuliani starb während des G8-Gipfels in Genua durch die Kugel eines Polizisten, auf den er mit einem Feuerlöscher zugerannt war.
Die deutsche G20-Präsidentschaft versucht, solche Eskalationen auch durch eine verstärkte Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu verhindern. Sieben verschiedene Gruppen - darunter Arbeitnehmer, Jugendliche und Wissenschaftler - erarbeiteten eigenverantwortlich Positionen zu den Themen der G20-Agenda. Sie sollten bei der Gipfelvorbereitung berücksichtigt werden.
Wer Treffen der G20 verfolgt, kann Anzeichen für die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse entdecken. Nicht immer können die westlichen Industrienationen ihre Agenda durchsetzen.
Ein Beispiel ist Russland: Beim G20-Gipfel 2014 in Brisbane hätten Australien und viele westliche Staaten Moskau gern kurzfristig ausgeladen, wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krimim März desselben Jahres. Der australische Vorstoß scheiterte aber. Vor allem die Brics-Staaten (neben Russland Brasilien, Indien, China und Südafrika) stellten sich quer. Und deren wirtschaftliche Bedeutung ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen.

Putin in Brisbane
Foto: Kay Nietfeld/ dpaIn der Öffentlichkeit der G20-Länder wurde der Brisbane-Gipfel sehr unterschiedlich wahrgenommen: In Deutschland etwa zeigte das Fernsehen Aufnahmen, die Russlands Präsident Wladimir Putin isoliert von den anderen Teilnehmern erscheinen ließen. In Indien und China dagegen druckten die Zeitungen Bilder, die den Kreml-Chef lachend in Musketierpose zeigten, Schulter an Schulter mit den Staats- und Regierungschefs von China, Indien, Brasilien und Südafrika.

BRICS-Gruppe beim G20-Treffen 2014
Foto: Alexei Druzhinin/ dpaFür das G20-Treffen wird immenser Aufwand betrieben. Geplant ist der Einsatz von 20.000 Polizisten, Tausende Hotelübernachtungen müssen für Beamte aus anderen Bundesländern in Hamburg reserviert werden. In Hamburg-Harburg wird ein Behelfsgefängnis in einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft errichtet - nebst Außenstelle des Amtsgerichts Hamburg. "Uns erwartet der größte Einsatz seit der großen Sturmflut 1962", sagt Gerhard Kirsch, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei.
Die Gesamtkosten stehen noch nicht fest, auch zu einer ungefähren Summe will sich der Hamburger Senat nicht äußern. Bestätigt ist bislang nur eine Zahl: 50 Millionen Euro. So viel überweist der Bund pauschal an die Hansestadt als Beitrag für die zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen für das Treffen des OSZE-Ministerrats im Dezember 2016 und den anstehenden G20-Gipfel.
Die außerplanmäßige Ausgabe sei vor dem Hintergrund der von extremistischen Gefahren geprägten Sicherheitslage unabweisbar, heißt es in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Jens Spahn, an die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestags, Gesine Lötzsch. Der Bund trägt als Veranstalter des Treffens zusätzlich die Kosten etwa für Unterbringung, Verpflegung und Transport der Gäste.
Auf die Stadt Hamburg kommen jedoch noch eine Reihe weiterer Ausgaben hinzu. Kritiker fürchten, dass der Pauschalbetrag des Bundes nur einen Bruchteil der tatsächlichen Ausgaben deckt. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der G7 im Juni 2015 im bayerischen Schloss Elmau bilanzierte das Land die Kosten auf 116 Millionen Euro. Knapp 40 Millionen Euro davon bekam der Freistaat durch den Bund erstattet, also gut ein Drittel. Allerdings hatte Bayern auch Posten aufgelistet, die ohnehin angefallen wären. Darauf soll Hamburg verzichtet haben.
Der Senat jedenfalls zeigt sich zufrieden mit der Einigung. Sie decke nahezu die gesamten einmaligen Sicherheitskosten ab, teilt Senatssprecher Sebastian Schaffer mit. "Diese Art der Kostenbeteiligung ist ein Novum." Als der bislang teuerste Gipfel dieser Art gilt das kombinierte G8/G20-Treffen in Kanada 2010. Es soll rund 870 Millionen Euro gekostet haben.
Zwar hat die Bundesregierung ihre G20-Präsidentschaft mit vielen ambitionierten Zielen verbunden (siehe Punkt 6). Bei den meisten davon handelt es sich zunächst aber um reine Absichtserklärungen. Zudem ist selbst das Bekenntnis zu bisher selbstverständlichen Werten der G20 keine Selbstverständlichkeit mehr, seitdem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. So steht wegen Trumps Widerstand das bislang übliche Bekenntnis der G20 zum Freihandel infrage. Auch Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen sabotiert ein zentrales Anliegen der deutschen Präsidentschaft.
Vor diesem Hintergrund sähe man es im Kanzleramt inzwischen schon als Erfolg, wenn in Hamburg der Status Quo verteidigt wird. Das bedeutet vor allem, dass die Abschlusserklärung nicht hinter die Kommuniqués früherer Gipfel zurückfallen soll. Auch will die Bundesregierung den Wert von internationaler Kooperation betonen, die beispielsweise im Welthandel Mehrwert für alle Beteiligten schaffe. Ein kaum versteckter Widerspruch zu Trump, der Handel als Nullsummenspiel mit Gewinnern und Verlieren sieht.
Klar scheint aber auch, dass die Bundesregierung in Hamburg einen offenen Bruch vermeiden will. So soll es etwa in der Klimapolitik keine klare Positionierung der übrigen G20-Staaten gegen die USA geben. Trotz aller Konflikte sei es immer besser miteinander zu reden, lautet die Botschaft. Am Rande des Gipfels wird es zahlreiche Zweiergespräche geben, zu denen auch das erste persönliche Treffen zwischen Trump und dem russischen Präsident Wladimir Putin gehören soll.
Fortschritte erhofft sich die Bundesregierung auch beim Thema Gesundheit, das erstmals so prominent auf der Tagesordnung steht. So sollen Antibiotika-Resistenzen bekämpft werden, indem die Medikamente seltener verschrieben werden und Anreize für die Forschung an Alternativen geschaffen werden. Auch die weltweite Koordination zur Bekämpfung extrem ansteckender Krankheiten (Pandemien) soll verbessert werden. Der Ebola-Ausbruch im Jahr 2014 und die schleppende Reaktion der Weltgemeinschaft darauf haben die Bundesregierung aufgeschreckt.
Eine Erfolgsmeldung könnte es schließlich auch bei der Teilhabe von Frauen geben. Zu diesem Zweck hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem sogenannten W20-Gipfel im April die Gründung eines Fonds zur Frauenförderung in Entwicklungsländern gefordert. Zumindest in diesem Fall ist sogar die Unterstützung der USA sicher. Denn das Projekt wird von Präsidententochter Ivanka Trump mitgetragen.
Autoren: Benjamin Bidder, David Böcking, Vanessa Steinmetz, Severin Weiland und Claus Hecking
Dokumentation: Almut Cieschinger, Johannes Eltzschig, Mara Küpper, Rainer Lübbert und Claudia Niesen
Redaktion: Yasmin El-Sharif
Schlussredaktion: Thomas Fuchs, Dörte Karsten und Christine Sommerschuh
Grafiken: Frank Kalinowski