MINISTER Ganz konkret
Otto Graf Lambsdorff war stets stolz darauf, daß er sich nicht nur mit dem ererbten Adelsprädikat, sondern auch mit einem beruflich erworbenen Titel schmücken kann. Gern ließ er sich von den Tugendwächtern der reinen Lehre als »Marktgraf« feiern; und mit Vergnügen nahm er zur Kenntnis, daß ihn sein Vorsitzender Hans-Dietrich Genscher als »Erhard der 80er Jahre« anpries.
In dieser Rolle will ihn sein Nachfolger offenkundig nicht übertreffen. Zwar sei er gewiß auch ein guter Marktwirtschaftler, schätzt der designierte FDP-Vorsitzende Martin Bangemann sich selber ein. Man könne aber auch eine gute Sache überdrehen. »Ich habe nicht die Absicht«, blockt er ideologische Erwartungen der Lambsdorff-Fans ab, »der Ajatollah der Marktwirtschaft zu sein.«
Der Neuling im Wirtschaftsministerium gibt sich Mühe, dieser Standortbestimmung gerecht zu werden. Schon in den ersten Amtswochen deckte er die Beamten des Wirtschaftsministeriums, die sich selbst als Gralshüter der Marktwirtschaft einschätzen, mit ungewohnten Aufträgen ein.
Bangemann wies seine Untergebenen an, im Detail zu untersuchen, wer eigentlich arbeitslos sei. Für möglichst viele Untergruppen sollten die Beamten Konzepte entwickeln, wie den Empfängern von Arbeitslosengeld wieder zu bezahlten Jobs zu verhelfen sei. Bangemann über die Reaktion seiner Helfer: »Die haben etwas erschrocken geguckt.«
Behutsam begründete Bangemann seinen Ministeriellen den Auftrag. Natürlich sei es richtig, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern, die Kosten zu senken, so die Wettbewerbsposition zu verbessern und auf dem Weg über mehr Wachstum für mehr Beschäftigung zu sorgen. Das sei, wie bei seinem Vorgänger, oberste Aufgabe. Nur seien so allein die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht zu lösen.
Bangemann erteilte diese Anweisung nicht nur, weil er alle Möglichkeiten zur Linderung der Arbeitslosigkeit ausschöpfen will. Er ist auch in seinen ersten Amtswochen darauf bedacht, mit den Gewerkschaften, mit denen sich der Vorgänger total verkracht hatte, einen neuen Anfang zu machen. In der Nachfolge der 1977 eingestellten »Konzertierten Aktion« möchte der Neue im Wirtschaftsressort Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder zusammenbringen, in welcher Form auch immer.
Gemeinsam mit Arbeitsminister Norbert Blüm entwarf Martin Bangemann einen Plan, wie Gewerkschafter, Arbeitgeber und Regierung wieder in einem Raum zur gleichen Zeit zusammentreffen könnten.
Erste Voraussetzung laut Blüm: »Keine Gespräche über Gott und die Welt.« Damit das Unternehmen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, dürften die verzankten Parteien den Neubeginn nur ja nicht »auf der Höhe der abstrakten Ordnungspolitik« (Blüm) beginnen. Es müsse ganz konkret über politische Vorhaben geredet werden.
Bangemann und Blüm wollen mit der Arbeitsmarktpolitik beginnen. Der erste Einfall des Gespanns für eine Konzertierte Aktion von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist die sogenannte Berufsausbildung im Verbund.
Weil die Großindustrie die benötigten 50 000 bis 100 000 zusätzlichen Lehrstellen nicht schafft und weil das Handwerk offenkundig nicht mehr Lehrlinge ausbilden kann, wollen Bangemann und Blüm eine Ausbildungsreserve mobilisieren: kleine Betriebe aus dem Dienstleistungsgewerbe, die eigentlich ausbilden möchten, aber nicht können, weil kein Meister da ist oder andere Voraussetzungen fehlen.
Ausbilder aus anderen Betrieben können in solchen Geschäften - etwa Gaststätten oder Reinigungen - die Verantwortung für die Lehrlinge mit übernehmen. Diese Ausbilder müßten dann Zugang zu den Betrieben haben.
Eine andere Idee: Arbeitslose Lehrer sollen eingespannt werden, um mit Jugendlichen, die keine Stelle gefunden haben, Fortbildung zu betreiben. Wer beispielsweise keine Azubi-Stelle als Hotelkaufmann gefunden habe, könne in der Wartezeit Englisch und Französisch pauken.
»Wir werden uns Gruppe für Gruppe der Arbeitslosen vornehmen«, verspricht Bangemann. Sein Ziel ist es, zusätzlich bis zu 200 000 Arbeitsplätze zu schaffen. Der Minister, getragen vom Optimismus des Anfängers: »Vielleicht wäre so während der kommenden schwierigen Jahre die Arbeitslosenzahl unter zwei Millionen zu drücken.«
Gelänge es Bangemann dabei tatsächlich, mit dem Arbeitsminister zusammenzuarbeiten, so wäre das ein Bonner Novum. In der sozialliberalen Ära wie unter der Herrschaft der christlich-liberalen Koalition herrschte zwischen dem Arbeits- und dem Wirtschaftsministerium meist Feindseligkeit. Was die jeweiligen Arbeitsminister beabsichtigten, erschien den Freidemokraten Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff im Wirtschaftsressort meist als höchst sozialismusverdächtig.
Ideologische Gefechte müssen Blüm und Bangemann nicht mehr austragen - die beiden kennen sich ganz gut. Vor langen Jahren mauschelten der Liberale und der Christdemokrat gemeinsam, um Mitbestimmungsideen durchzusetzen. Seither steht Blüms Urteil über Bangemann fest: »Ein undogmatischer Geist.«