Unternehmen Ganz miserabel
Es war wie immer, wenn sich der Vorstand im Stuttgarter Mercedes-Benz-Hochhaus am Montag routinemäßig zusammensetzt, um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu besprechen. Und doch markiert die Sitzung von Montag vergangener Woche eine Wende bei Mercedes-Benz: Die Herren debattierten über Entlassungen.
Nach mehr als einer Stunde war sich die Runde unter Führung von Mercedes-Chef Helmut Werner einig. Angesichts anhaltender Absatzprobleme müssen die Stuttgarter bis Ende 1994 noch 14 000 Arbeitsplätze streichen.
So viele Mitarbeiter werden aber nicht pensioniert, und so viele verlassen auch nicht freiwillig das Unternehmen. Mercedes wird deshalb einige tausend Beschäftigte entlassen - zum erstenmal seit mehr als drei Jahrzehnten.
Mit diesem Beschluß zerstört der Vorstand einen Mythos, der die Firma stets umgab. Mercedes-Benz ist kein besonderes Unternehmen mehr, das sich den Regeln der Branche entziehen kann. Es ist nun ein ganz gewöhnlicher Konzern wie Ford oder Fiat.
Lieferzeiten von mehr als einem Jahr sind längst Geschichte. Inzwischen müssen die Mercedes-Verkäufer kräftige Rabatte geben, um die Fahrzeuge loszuwerden. Und jetzt garantiert ein Arbeitsvertrag bei Mercedes auch nicht mehr eine Beschäftigung bis zur Rente. Massenentlassungen gehören ab sofort zum Alltag der Stuttgarter.
Helmut Werner, 56, seit drei Monaten an der Spitze des Unternehmens, ließ sich nicht umstimmen. Einige Manager wollten Entlassungen unbedingt vermeiden, sie verwiesen auf gute Auftragseingänge für die neue C-Klasse. Auch Betriebsratschef Karl Feuerstein ("Wir werden Widerstand leisten") kann Werner kaum bremsen.
Der neue Vorstandsvorsitzende weiß, wie schlimm es um das Unternehmen steht. Der allzu optimistische Fünfjahresplan, den der Vorstand noch Anfang des Jahres vorgelegt hatte, wurde vom Aufsichtsrat abgelehnt. Er sah für 1997 bereits eine Pkw-Produktion von 700 000 vor. Tatsächlich muß sie in diesem Jahr auf das niedrigste Niveau seit 1984 zurückgefahren werden (siehe Grafik).
Gleichzeitig läuft das Geschäft mit Lastwagen, Omnibussen und dem Unimog ganz miserabel. Der Absatz der Nutzfahrzeuge bricht ein; den verbliebenen Kunden muß Mercedes hohe Rabatte gewähren.
Zudem wächst der Druck auf Mercedes-Benz auch noch aus einer ganz anderen Richtung: Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter ("Entgegen manchen Erwartungen bin ich noch nicht entlassen") wird zunehmend nervös. Er wollte die Automobilfirma in einen Technologie- und Rüstungskonzern verwandeln.
Wenn das Fahrzeuggeschäft einmal schlecht läuft, so Reuters Strategie, sollten die für viele Milliarden eingekauften Firmen AEG, Dornier, MBB und Focker für einen Ausgleich sorgen. Doch die Neuerwerbungen bringen nur zusätzliche Probleme und Verluste.
Reuter, der gescheiterte Stratege, braucht nun dringend Gewinne aus dem Automobilgeschäft, um die mißratenen Konzerntöchter zu alimentieren. Seine Vorgabe an die Manager ist eindeutig: Sie sollen »knallhart Kosten senken«.
Beim Tochterunternehmen Mercedes sorgt die Reuter-Forderung für viel Verdruß. Ein Vorstand des Unternehmens schimpft über den obersten Konzernlenker: »Die Zeit der Weltverbesserer ist vorbei.«
Das Stuttgarter Management hat längst eingesehen, daß die Kosten drastisch runter müssen. Von Reuter, dem sie die Milliardenverluste der AEG anlasten, wollen sich die Autobauer diese Marschrichtung allerdings nicht vorschreiben lassen.
Besonders viele Probleme bereitet das Omnibus-Geschäft. Die beiden Großkunden, Reiseveranstalter und Stadtverwaltungen, leiden unter Geldnot und bestellen kaum noch Busse. Im Mannheimer Mercedes-Werk, in dem die Fahrzeuge hergestellt werden, wächst deshalb die Befürchtung, daß der Konzern die Busmontage in Deutschland aufgibt und in ein Mercedes-Werk in der Türkei verlagert.
Im Pkw-Verkauf freuen sich die Vertriebsexperten zwar über die erfolgreich gestartete neue C-Klasse. Aber sie sind unsicher, wie lange der Anfangserfolg anhält, und fürchten, daß Mercedes-Käufer von der Mittelklasse, die mehr Gewinn einbringt, auf die C-Klasse umsteigen.
Auch die Pkw-Fabriken müssen deshalb, wie Vorstandschef Werner erkannt hat, hart rationalisieren. »Wir müssen«, so fordert er, »rund 30 Prozent billiger werden.«
Der neue Chef verlangt nichts Unmögliches. Unternehmensberater von McKinsey, die Mercedes-Fabriken analysierten, fanden ein großes Einsparpotential. »In der Aggregatefertigung kommen japanische Wettbewerber mit ca. 20 Prozent des Personals aus«, so die Analyse der Berater.
Schuld daran sind nicht die Mercedes-Beschäftigten, die sicher ebenso schnell und genau arbeiten wie ihre japanischen Kollegen. Verantwortlich für die hohen Kosten sind in erster Linie die Fahrzeugentwickler. Sie achteten bei der Konstruktion vor allem auf technische Perfektion. Wie aufwendig die Teile später herzustellen sind war dem Unternehmen jahrelang gleichgültig.
Doch die schönen Zeiten, in denen Kosten Nebensache waren, sind vorbei. In den nächsten Vorstandssitzungen werden die Mercedes-Manager noch über einiges diskutieren müssen, was in ihrer Runde bislang als Tabu galt: Werner will den Beschäftigten, falls der Gewinn drastisch einbricht, auch das Weihnachtsgeld kürzen. Y
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_100b Pkw-Produktion der Mercedes-Benz AG
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