Gas-Konflikt EU will Russland und Ukraine zur Ordnung rufen
Hamburg - Bei einem Spitzentreffen in Brüssel will sich die Europäische Union mit Nachdruck um eine rasche Lösung im russisch-ukrainischen Gasstreit bemühen. Gazprom-Chef Alexej Miller und Oleg Dubina vom ukrainischen Gaskonzern Naftogas wollen mit Energiekommissar Andris Piebalgs und dem amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, dem tschechischen Energieminister Martin Riman, zusammenkommen.
Bei dem Gespräch soll offenbar keine der beiden Seiten geschont werden. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, kündigte an, direkten Druck auf die Konfliktparteien ausüben zu wollen. "Wir erwarten, dass Russland seine Verpflichtungen einhält. Und wir erwarten, dass die Ukraine dabei kein Hindernis darstellt", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" noch vor dem Beginn der Gespräche. Pöttering kündigte an, es werde keinen Zweifel daran geben, "dass die EU auf Vertragstreue besteht".
Russland und die Ukraine haben bereits in der Nacht in Moskau wieder an der Lösung des Streits gearbeitet. Wegen des zugespitzten Energiekonflikts führten die Chefs des russischen Staatsmonopolisten Gazprom und des ukrainischen Unternehmens Naftogas Verhandlungen, wie Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow am Donnerstag nach Angaben der Agentur Interfax mitteilte. Dabei hätten Gazprom-Chef Miller und Naftogas-Chef Dubina über einen Ausweg aus dem Konflikt beraten. Details waren zunächst nicht bekannt.
EU-Industriekommissar Günter Verheugen rechnet mit einem Entgegenkommen der Konfliktparteien. Es sei ein gutes Zeichen, dass Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zurückkehrten, sagte Verheugen am Donnerstag im Deutschlandfunk.
Massive Schäden befürchtet
EU-Experten befürchten, dass der Streit zwischen dem russischen Energiekonzern Gazprom und der Ukraine weitreichendere Folgen haben könnte als bislang angenommen. Energieexperten der Europäischen Kommission halten einen ernsten technischen Kollaps des ukrainischen Pipeline-Systems als Folge des Lieferstopps für eine reale Gefahr. Das berichtet die "Financial Times Deutschland" ("FTD").
Ein Zusammenbruch der Gasleitungen würde demnach zu einer ernsten Notlage in den meisten osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten führen, schreibt die Zeitung. Die Experten befürchten dem Bericht zufolge, dass die Lieferausfälle selbst dann erst in etwa einer Woche enden, wenn Russland am Donnerstag wieder Gas in die ukrainischen Pipelines pumpe. Das Ausmaß der Krise gelte in der EU als bislang beispiellos.
Konkret könnten Probleme bei den Verdichtungsstationen entstehen, die den zum Gastransport notwendigen Druck aufbauen. Um die Turbinen dieser Stationen betriebsbereit zu halten, müssten diese vorgewärmt werden. Das dafür oft eingesetzte Erdgas fehle jetzt. Nach einem Wiedereinsetzen der Gasversorgung müssten die abgekühlten Anlagen langsam wieder auf Temperatur gebracht werden, um Schäden zu vermeiden. Allerdings könnte das marode ukrainische Pipelinenetz durch den Lieferstopp auch größere Schäden erlitten haben.
Russland hatte bereits am Morgen vor ernsthaften Pipeline-Schäden durch den Lieferstopp gewarnt, um Handlungsdruck auf die Ukraine auszuüben. Der Staatsmonopolist Gazprom liefert aufgrund eines Schulden- und Preisstreits mit der Ukraine seit der Nacht zum Mittwoch kein Gas mehr an das Nachbarland. Davon sind auch viele EU-Staaten massiv betroffen, da 80 Prozent des russischen Gases für die Gemeinschaft durch die Ukraine fließen.
Offiziell hält sich Europa mit einseitigen Schuldzuweisungen an Russland oder die Ukraine bislang zurück. Doch intern geht die Kommission laut "FTD" seit Gazproms totalem Lieferstopp davon aus, dass Russland damit eindeutig seine vertraglichen Pflichten gegenüber den EU-Staaten verletzt hat. Außerdem sehe die Behörde Verdachtsmomente für eine lange vorbereitete Aktion Russlands, da bereits im Dezember Gazprom-Vertreter durch EU-Hauptstädte gereist seien, um auf die jetzige Krise vorzubereiten.
Seehofer greift Ex-Kanzler Schröder an
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer kritisierte unterdessen im Zusammenhang mit dem Gaskonflikt den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Es gebe "Leute aus Deutschland, die bei Gazprom sitzen, die sich immer gerne ihrer Beziehungen zu Russland rühmen", sagte Seehofer am Mittwochabend im Bayerischen Fernsehen. "Es ist erstaunlich, dass man dort keine Aktivitäten vernimmt, um von den Deutschen dieses Problem abzuhalten", sagte Seehofer in der Sendung "kontrovers - Das Politikmagazin".
Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens Nordstream, das den Bau einer Ostseepipeline für russisches Gas plant. Am Mittwoch war der frühere Bundeskanzler in St. Petersburg mit dem russischen Regierungschef Wladimir Putin zusammengetroffen. Nach einer Meldung der Agentur Interfax hatte Schröder gesagt, die Pipeline solle im Oktober 2011 ans Netz gehen. Dieses Vorhaben sei wichtig für die künftige Energiesicherheit Europas, betonte Schröder nach russischen Angaben. Putin betonte, dass der aktuelle Energiekonflikt mit der Ukraine das Vorhaben der Ostseepipeline beflügelt habe.
Am Mittwochabend kritisierten auch die USA die Blockade der Gaslieferungen. Die Versorgung für "verwundbare Menschen" mitten im Winter zu kappen, "das ist für uns nicht hinnehmbar", sagte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Robert Wood. Er rief Moskau und Kiew auf, eine "transparente" Vereinbarung zur Beilegung des Disputs zu treffen.