Kuweit Gedächtnis zerstört
Eineinhalb Straßenblocks nordöstlich vom Weißen Haus ist der Golfkrieg längst gewonnen. In einer Bürosuite an Washingtons H Street, deren Mieter sich nicht einmal durch ein Namensschild an der Eingangstür ausweisen, werden bereits die Früchte des noch zu erfechtenden Sieges verteilt: Verträge über den Wiederaufbau des befreiten Kuweit.
Mindestens 25 Milliarden Dollar, wahrscheinlich 40 Milliarden und - je nach Umfang der noch ausstehenden Kriegsverwüstung im Ölemirat - auch weit mehr wollen sich die Kuweiter die Trümmerbeseitigung kosten lassen. Die großvolumigen Aufträge zu vergeben stärkt das Selbstbewußtsein der Finanziers ohne Land. »Wir sind die Leute mit den dicksten Brieftaschen in der Stadt«, sagt einer der Verantwortlichen.
Daß davon vornehmlich US-Firmen profitieren werden, betrachten die etwa hundert Industrievertreter, die täglich bei den Kuweitern vorsprechen, als eine Form der Wiedergutmachung für die Rückeroberung Kuweits durch amerikanische Truppen. Schließlich »hilft man ja nicht einem der reichsten Länder der Erde aus der Patsche, ohne hinterher die Rechnung zu präsentieren«, sagt ein Wall-Street-Analytiker.
Rechnungsempfänger beim größten Sanierungsprojekt seit dem Marshall-Plan für das kriegszerstörte Europa ist das Kuwait Emergency and Recovery Program. Die von der Exilregierung im saudiarabischen Taif autorisierte Washingtoner Planungsgruppe, deren rund 50 Mitarbeiter nach Ansicht ihres Sprechers Karim el-Said die »Creme der kuweitischen Bürokratie« darstellen, arbeitet seit Oktober zusammen mit amerikanischen Regierungsbehörden an der Aufgabe, in den nächsten sieben Jahren die Invasions- und Kriegsschäden zu beseitigen.
Dafür muß sie sich zunächst einmal verläßliche Daten besorgen. Bis auf Bevölkerungsstatistiken, Eigentumsnachweise, Bankunterlagen und Fingerabdruck-Dateien, die auf Computerdiscs aus dem besetzten Kuweit herausgeschmuggelt wurden, fehlen sämtliche Unterlagen, so auch die Baupläne für die Infrastruktur der Vorkriegszeit. Kopien werden nun, soweit möglich, bei den Herstellerfirmen in aller Welt neu angefordert. »Saddam hat das institutionelle Gedächtnis des Landes zerstört«, klagt Said.
Vordringlich kümmern sich die Planer darum, einen Katalog von Notstandsmaßnahmen für die ersten drei Monate nach dem Krieg zu entwickeln. Katastrophen-Einsatzteams stehen schon auf Abruf bereit, die Brände auf kuweitischen Ölfeldern zu löschen; in Houston lagern transportfertig die notwendigsten Ausrüstungsgegenstände, um so schnell wie möglich die Ölförderung wieder in Gang zu bringen.
Derzeit organisieren die Kuweiter Einkauf und Transportmöglichkeiten für 32 000 Posten medizinischer Geräte und Medikamente, mit denen in 4 von 14 Kuweiter Krankenhäusern die Notversorgung von 500 000 Einwohnern gewährleistet werden soll, die sich noch im besetzten Land aufhalten. Andere Mitarbeiter der Gruppe kümmern sich um die künftige Lebensmittelversorgung und um den Ersatz für Computer und Kühlschränke, Zivilflugzeuge und Busse, die von den Eroberern gestohlen und in den Irak gebracht wurden.
Knapp 50 Reparatur-, Liefer- und Transportverträge haben die Wiederaufbauplaner schon abgeschlossen; mehr als 100 weitere sind vorbereitet. Für 45 Millionen Dollar verpflichteten sie bereits zwei Tage vor der Bombardierung Bagdads das U.S. Army Corps of Engineers, nach dem Sieg eine vorläufige Schadensaufstellung auszuarbeiten und die Notversorgung mit Trinkwasser und Kommunikationseinrichtungen sicherzustellen.
Auch mit Bauriesen wie der Nahosterfahrenen Bechtel-Gruppe wird verhandelt. Diskret beschwerte sich das britische Handelsministerium bei der kuweitischen Exilregierung über die Bevorzugung amerikanischer Konzerne.
Ein Zehn-Milliarden-Dollar-Geschäft könnte allein der Wiederaufbau kuweitischer Raffinerien werden. Die Iraker haben die Anlagen nach der Besetzung ausgeschlachtet, um sich mit Ersatzteilen zu versorgen. Auf dem riesigen Gelände stellten sie mobile Radarstationen auf, die nun zum Ziel amerikanischer Bomben wurden. Selbst wenn die Raffinerien den Präzisionsgeschossen der Amerikaner entgehen sollten, fürchten die Kuweiter in Washington die Zerstörung ihrer Ölverarbeitungsindustrie durch abziehende irakische Truppen.
Kuweits Delegierter bei der Weltbank, Fausi el-Sultan, hat die Washingtoner Planungsgruppe eingerichtet und war für kurze Zeit erster Direktor. Der Absolvent der Yale-Universität möchte den Wiederaufbau seines Landes nutzen, um zugleich eine behutsame Umkrempelung der feudalen Emiratsgesellschaft zu bewirken.
Das Nachkriegs-Kuweit, hofft er, soll sich vom perfekten Wohlfahrtsstaat zum perfekten Unternehmerstaat wandeln: »Die Regierung sollte nur Dirigent des Orchesters sein und nicht auch noch die Instrumente spielen.« Krankenhäuser, Strom- und Wasserversorgung will er privatisieren, die großzügigen Subventionen für alle Bürger abschaffen, unrentable Fabriken gar nicht erst wieder aufmachen. So gesehen, bringe der Krieg auch »Vorteile« und »eine einmalige Gelegenheit«.
Das Kuweit, das er aufbauen will, soll sich schon jetzt auf die Zeit einstellen, wenn »in 50 Jahren oder so« die Erdölvorräte erschöpft sind. Als Dienstleistungsbetrieb mit wenigen reichen Einwohnern könnte der Staat seine Zukunft sichern, denn: »Produktionsanlagen in Kuweit zu errichten ist schlicht das falsche Konzept.«
Der Aufbau der schönen neuen Nachkriegswelt wird zumindest nicht an Geldmangel scheitern. Sultan schätzt Kuweits Auslandsinvestitionen ("Jetzt zeigt sich, wie klug es war, zehn Prozent der Ölgewinne in den Industrieländern anzulegen") auf 80 bis 100 Milliarden Dollar. In einem Punkt soll sich das neue Kuweit vom alten deshalb nicht unterscheiden - Steuern wird es auch nach der Befreiung nicht geben: »Darum brauchen wir uns nicht zu kümmern.«
Für manche seiner amerikanischen Klienten ist der Wiederaufbau Kuweits allerdings erst der Anfang vom großen Nahost-Geschäft. Dan Montano, Chef der Baufirma VTN, die in Kuweit einen - bislang unzerstörten - Freizeitpark errichtet hat, macht sich weitaus größere Hoffnungen auf die Zukunft: »Der Wiederaufbau Kuweits mag 40 Milliarden Dollar kosten; der Wiederaufbau des Irak wird 200 bis 400 Milliarden verschlingen.« o
Wiederaufbau-Planer Sultan: »Kluge Investitionen«