Geheimprogramm US-Regierung schnüffelte in Tausenden Bankkonten
Hamburg - Das geheime Programm sei darauf ausgerichtet gewesen, die Überweisungen von Verdächtigen mit Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida zu überprüfen, schreiben heute "The Times", "New York Times" (NYT), "Los Angeles Times" und "Washington Post". Den Berichten zufolge hätten sich die amerikanischen Terrorermittler Zugang zu den Daten über den zentralen internationalen Datenknotenpunkt in Belgien verschafft.
Dieser Knotenpunkt mit Namen "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication" (Swift) leitet laut "NYT" Finanztransaktionen zwischen Banken, Brokerhäusern, Börsen und anderen Finanzinstituten in einem Volumen von sechs Billionen Dollar (4,8 Billionen Euro) täglich weiter. Swift wickle den Finanzverkehr von etwa 7800 Geldinstituten in mehr als 200 Ländern ab. Das Programm sei vor allem angewandt worden, um telegrafische Überweisungen und ähnliche Geldtransfers weltweit oder in die USA oder aus den USA zu kontrollieren. Tausende Amerikaner und in den USA lebende Ausländer seien betroffen, heißt es in den Berichten.
Ziel des seit den Anschlägen vom 11. September 2001 laufenden Verfahrens sei es gewesen, das Finanzgebaren von Verdächtigen mit möglichen Verbindungen zu al-Qaida zu durchleuchten. Das Weiße Haus teilte gestern Abend mit, eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen den Terrorismus sei es, die Finanzierung zu stoppen. Das Vorgehen habe dazu geführt, dass gesuchte Topterroristen von al-Qaida in Südostasien gefasst werden konnten.
Das US-Finanzministerium nannte das Vorgehen "ohne Zweifel legal". Der US-Geheimdienst CIA, die Bundespolizei FBI und andere US-Geheimdienste hätten Zehntausende von Finanztransaktionen untersucht. Routinemäßig seien vom Finanzministerium die Daten abgefragt worden. Der "NYT" zufolge hatte das Finanzministerium die Aufsicht über die Untersuchungen. Nach Angaben des Ministeriums seien im internationalen Finanzgeschäft Geldtransfers von Privatleuten, Unternehmen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Organisationen im Fokus der Ermittler gewesen. Nur ein kleiner Teil der untersuchten Transaktionen habe Geldgeschäfte innerhalb der USA betroffen.
Zweifel an der Legalität
In sämtlichen Berichten heißt es unter Berufung auf nicht namentlich genannte Beamte, der Zugang zu einer solchen Datenmenge sei "höchst unüblich". Innerhalb der Regierung habe es Zweifel an der Legalität dieser Praktiken gegeben. Zudem könnten sie die "Integrität von Swift beschädigen". Der Umfang der Untersuchungen sei "phantastisch oder, je nach dem, auf welcher Seite man sitzt, Furcht einflößend", wird ein früherer Beamter zitiert. Das weiterhin als geheim eingestufte Programm wird von Regierungsbeamten als "das größte und weitreichendste" von mehreren geheimen Aktionen zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus beschrieben.
Laut "Los Angeles Times" baten Beamte der Bush-Administration Journalisten von "The Times", das Geheimprogramm nicht öffentlich zu machen, um seine Wirksamkeit nicht zu zerstören. Ein Redakteur des Blattes erklärte gegenüber der "Los Angeles Times", die Redaktion habe die Argumente der Regierung sorgfältig abgewogen. "Aber am Ende waren wir davon überzeugt, dass es im öffentlichen Interesse ist, Informationen über die außerordentliche Reichweite dieses Programms zu veröffentlichen."
Die Anweisung zu der Kontenüberwachung kam den Berichten zufolge von höchster Stelle: US-Präsident George W. Bush selbst wies demnach das Finanzministerium im September 2001 in einer sogenannten Executive Order an, die Finanzquellen für Terroristen trocken zu legen.
Es ist das dritte Mal, das die Bush-Regierung in die Kritik gerät, weil sie im Anti-Terror-Kampf in die Privatsphäre Tausender unschuldiger Menschen eingedrungen ist. Erst im vergangenen Dezember war bekannt geworden, dass Washington sich nach dem 11. September 2001 über Gesetze hinweggesetzt und den US-Geheimdiensten erlaubt hatte, ohne richterlichen Beschluss internationale Telefongespräche mitzuhören. Im Mai wurde dann bekannt, dass die US-Regierung in einer geheimen Datenbank Angaben über Millionen US-Telefonkunden speichert.
kaz/dpa