Geistiges Eigentum Westliche Hightech-Firmen schmieden Bündnisse gegen China
Hamburg - Wer dieser Tage einen DVD-Spieler aus China im Elektronikgroßmarkt kaufen will, wird kaum noch fündig. Vor wenigen Jahren noch stapelten sich Preisbrecher "Made in China" in den Regalen, heute sind chinesische Hersteller weitgehend verschwunden. Rund 300 Unternehmen aus China, so Schätzungen aus der Branche, haben in den vergangenen 24 Monaten ihr Exportgeschäft aufgegeben.
Was ist geschehen? Auch heute noch könnten chinesische Anbieter einen DVD-Player weitaus günstiger herstellen als ihre westliche Konkurrenz. Oft genug nutzen sie dabei westliches Know-how. Dass die Importe chinesischer DVD-Player in die EU seit 2005 um 95 Prozent eingebrochen sind, hat mit einem strategisch koordinierten Gegenschlag westlicher Hersteller zu tun. Ein Konsortium westlicher Patentinhaber erteilte sich gegenseitig günstige Lizenzen, verlangte von Herstellern aus Fernost jedoch Lizenzgebühren pro Gerät. Auch ein "Billiglohnland" kann so seinen Kostenvorteil verlieren, wenn westliche Patentinhaber im Verein die Preise für Lizenzen hochtreiben.
Die aufstrebende Volkswirtschaft aus Fernost tappt so in die Patentfalle. Je stärker wachsende chinesische Unternehmen in ausländische Märkte expandieren, desto häufiger werden sie von europäischen oder US-amerikanischen Marktführern attackiert. Ob DVD-Spieler, Mobiltelefone oder Computerchips: China muss das Thema "Intellectual Property" (IP) ernster nehmen, um sein eigenes Wachstum nicht zu gefährden.
"China sieht sich zunehmend genau dem Problem gegenüber, das viele seiner Unternehmen bislang anderen Nationen bereitet haben: Seine Produkte werden kopiert - oder durch Patentschutzklagen verdrängt", sagt Christoph Nettesheim, Geschäftsführer der Boston Consulting Group (BCG) in Peking.
Die europäischen DVD-Patentinhaber führten ihren Gegenschlag in verschiedenen Stufen aus. Zunächst stoppten die Patentinhaber die Einfuhr unlizenzierter Geräte in die EU, indem sie sich zum Konsortium zusammenschlossen und Händler mit mehr oder weniger sanftem Druck davon überzeugten, nur noch patentierte oder lizenzierte Produkte in ihr Angebot aufzunehmen.
In einem zweiten Schritt erteilten sich die Mitglieder des Konsortiums gegenseitig Lizenzen und waren so in der Lage, wechselseitig Technologien zu äußerst günstigen Konditionen zu erwerben. Die chinesische Konkurrenz wurde aus dem Markt gedrängt, obwohl sie durchaus DVD-Lizenzen hätte kaufen können: Bei Lizenzgebühren von rund 20 Dollar pro Gerät verzichtete sie jedoch freiwillig darauf, da sie auf Grund solcher Preise nicht mehr wettbewerbsfähig war.
Der lange Marsch zum Marktführer
In ihren wichtigsten Exportmärkten geraten chinesische Unternehmen immer häufiger ins Visier der heimischen Marktführer. Die traditionellen Industrienationen setzen ihre Patente dabei auch als Waffe ein, um die Konkurrenz vom Markt zu verdrängen. Die Studie "Beyond the Great Wall" der Boston Consulting Group kommt zu dem Ergebnis: Ohne eigene internationale IP-Rechte drohen chinesischen Unternehmen horrende Lizenzkosten, sinkende Gewinne oder sogar der Ausschluss aus wichtigen Märkten.
"Unternehmen in China haben ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung (FE) zwar dramatisch gesteigert, sie tun aber noch vergleichsweise wenig dafür, um sich internationale IP Rechte zu sichern", sagt BCG-Geschäftsführer Nettesheim. "Das ist eine klare Wachstumsbremse außerhalb Chinas."
In der Wissensgesellschaft lassen sich die größten Profite nicht durch günstige Produktion, sondern durch Neuentwicklungen und striktes Patentmanagement verdienen. Der Marktwert der 500 größten US-Unternehmen hängt laut einer Studie der Deutschen Bank bereits zu drei Vierteln von immateriellen Werten ab: Bereits im Jahr 2010 dürften weltweit rund 500 Milliarden Dollar allein für Patentlizenzen gezahlt werden. Um nicht den Anschluss zu verlieren, müsse China etwa 30 mal so viel Geld in die Stärkung seiner internationalen IP-Rechte investieren wie bisher, so die BCG-Studie. Dabei könne China noch viel von Asiens "kleinen Drachen" wie Hongkong und Singapur sowie von Japan und Südkorea lernen. Sie alle haben einen ähnlichen Prozess durchlaufen, den auch China nachvollziehen dürfte.
Phase 1: Wachstum durch Export
Seit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 hat die Volksrepublik China ihre Exporte auf rund 600 Milliarden Dollar im Jahr mehr als verdoppelt. Solange China lediglich die "Werkbank der Welt" war und Millionen unterbezahlter Wanderarbeiter vor allem Schuhe, Hemden, Spielwaren oder andere technologisch anspruchslose Waren für den Rest der Welt herstellten, drohte chinesischen Unternehmen keine Gefahr. Der Großteil des Profits floss ohnehin an europäische oder amerikanische Branchenriesen, die Design und Marketing einbrachten und China als günstige Produktionsstätte nutzten.
Diese Niedriglohnproduktion bringt dem Westen mehrere Vorteile. Sie sorgt für sprudelnde Gewinne seiner global agierenden Unternehmen und hält gleichzeitig die Inflation daheim im Zaum: Die Preise für Unterhaltungselektronik zum Beispiel sind in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Bis heute verkaufen chinesische Unternehmen weniger als zehn Prozent ihrer Exporte unter eigener Marke - am Großteil des chinesischen Exports verdienen westliche Marktführer kräftig mit.
Doch irgendwann lassen sich Unternehmen eines aufstrebenden Schwellenlandes nicht mehr nur als Lohnfertiger abspeisen. Sie zielen darauf, durch eigene Fertigung und höherwertige Produkte selbst mehr vom Gewinn einzufahren.
Mobilfunk: Südkorea zahlt, China entwickelt
Phase 2: Mehr Hightech, mehr Wertschöpfung
Niedrige Arbeitskosten allein können nicht die Basis für langfristiges Wachstum sein. Aufstrebende Unternehmen beginnen, auch anspruchsvollere Produkte herzustellen, um steigende Profite zu erzielen. Dabei ahmen sie häufig die Produktionsweisen und Produkte nach, die sie als Lohnfertiger für ausländische Unternehmen kennengelernt haben - selbst der industrielle Aufschwung der USA basierte einst auf europäischem Knowhow.
In China hat sich der Anteil der Hightech-Exporte von 14 Prozent im Jahr 2001 auf 28 Prozent im Jahr 2005 verdoppelt, so die BCG-Studie. Im vergangenen Jahr exportierte China Hightechprodukte im Wert von rund 195 Milliarden Dollar. Gleichzeitig haben sich Chinas Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FE) zwischen 1994 und 2004 mehr als verfünffacht: Die Zahl der Patentanmeldung stieg auf 66.000 im Inland.
Die Zahl der international gültigen Patente blieb demgegenüber jedoch sehr klein. Sie beschränkte sich auf 2000 Patente für die USA und 400 Anmeldungen beim Europäischen Patentamt. Die steigenden Forschungsinvestitionen werden laut BCG dadurch gefährdet, dass China bislang noch zu wenig Geld in die rechtliche Absicherung durch internationale IP-Rechte investiert.
Phase 3: Den Preis bezahlen
Ein Technologieführer mit gut abgesicherten Patenten kann sich in seinen wichtigsten Märkten bewegen wie ein Hai im Ozean. Die kleinen Fische mit verschwindend geringem Marktanteil kann er ignorieren. Sobald ein Unternehmen in seinem Markt eine gewisse Größe gewinnt, kann er es unter anderem mit Hilfe seiner IP-Rechte angreifen. Selbst riskiert er dabei kaum etwas, doch den Konkurrenten kann er so vertreiben oder ihnen mit Hilfe hoher Lizenzgebühren die Profite wegschnappen.
Die Attacken häufen sich. Die Zahl der Klagen gegen chinesische Unternehmen vor der internationalen Handelskommission (ITC) ist laut BCG dramatisch gestiegen: Vor 20 Jahren war Japan das meistbeklagte Land, vor 10 Jahren übernahm Südkorea die Spitzenrolle, und jetzt ist China im Visier. Die Klagen beschränken sich nicht nur auf Hightechprodukte: Vor der ITC wurden auch Klagen gegen chinesisches Hundefutter, Insektenvernichtungsmittel oder Zahnbürsten aus China geführt.
Das Beispiel DVD-Spieler hat gezeigt, dass es noch andere Angriffsvarianten außerhalb der Klage vor Gericht gibt. Durch Bildung von Konsortien und Cross-Lizenzierung zu Vorzugskonditionen lassen sich Kosten für Nicht-Patentinhaber so in die Höhe treiben, dass sie letztlich aus dem Markt gedrängt werden.
Auch in der Mobilfunktechnologie der dritten Generation (3G) sind die Lizenzrechte inzwischen so teuer, dass sie nach Schätzung von Analysten 20 bis 30 Prozent der Herstellungskosten betragen können.
Marktführer wie Nokia oder Samsung haben auf diese Weise Mittel, die Kosten für Handyhersteller ohne eigene 3G-Patente extrem in die Höhe zu treiben und aufstrebende chinesische Konkurrenten wie TCL oder Bird in Schwierigkeiten zu bringen. "Wenn die Lizenzkosten je Handy mehr als zehn Prozent der Herstellungskosten betragen, wird ein Hersteller ohne Patentportfolio genau prüfen, ob er sich überhaupt noch in diesen Markt begibt", sagt Nettesheim.
Südkorea zum Beispiel hat einen hohen Preis bezahlt, als es den US-Mobilfunkstandard CDMA übernahm. Einheimische Unternehmen mussten Lizenzgebühren in Milliardenhöhe an die US-amerikanischen Patenthalter zahlen, um die Technologie nutzen zu können. 20 Prozent der Gewinne, die das aufstrebende Land durch alle seine Exporte im Wert von rund 250 Milliarden Dollar erzielte, musste Südkorea in Form von Nutzungs- und Lizenzgebühren an ausländische Firmen weiterreichen. "Das ist ein sehr hoher Anteil, der in dieser Entwicklungsphase aber nicht ungewöhnlich ist", erklärt Nettesheim.
Wie sich Texas Instruments rettete
IP-Rechte an der DRAM-Chip-Technologie sicherten zum Beispiel dem Chiphersteller Texas Instruments (TI) während der achtziger Jahre das Überleben. Zahlreiche US-Chiphersteller gerieten damals in Schwierigkeiten, als günstige Chips aus Japan und Südkorea den Markt überschwemmten. Doch statt das Geschäft aufzugeben, zerrte Texas Instruments insgesamt neun japanische und südkoreanische Unternehmen wegen Patentverletzungen vor Gericht: Die betroffenen Unternehmen einigten sich darauf, über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt eine Milliarde Dollar an TI zu zahlen.
Diese Lektion motivierte die Unternehmen aus Fernost, so rasch wie möglich ihr eigenes Patent- und IP-Portfolio zu stärken.
Phase 4: Geistiges Eigentum ernst nehmen
Ein internationales, starkes Patentportfolio aufzubauern, dauert viele Jahre. Hohe Investitionen und Beharrlichkeit sind erforderlich, um der Patentfalle zu entkommen. Für Schwellenländer bieten sich laut Boston Consulting vier Wege an, um ihren IP-Rückstand möglichst rasch aufzuholen: Partnerschaften, Übernahme von IP-Rechten, Aufbau eines eigenen Patentportfolios durch konsequentes Patentmanagement sowie der Versuch, selbst einen Standard zu setzen.
Partnerschaften mit technologisch starken Unternehmen bieten die Chance, relativ rasch eigene Defizite abzubauen. Zwischen 1985 und 2000 ging etwa Japan mehr als 800 Joint-Ventures mit US-Firmen ein, wie aus Daten der National Science Foundation hervorgeht. Diese bescherten den US-Firmen zwar den Löwenanteil der Profite, wirkten für die japanischen Partner aber wie ein Schutzschild und verhinderten in vielen Fällen den Ausschluss aus dem Markt.
Auch China setzt stark auf Partnerschaften und bietet seinen ausländischen Joint-Venture-Partnern in der Regel günstige Produktionsbedingungen sowie Zugang zum begehrten chinesischen Markt. Im Gegenzug erwarten sie von den Technologieführern, dass sie neben Kapital, Vertriebskompetenz und Management-Knowhow auch geistiges Eigentum zur gemeinsamen Verwertung mitbringen.
Damit sind auch chinesische Unternehmen in der Rolle des Juniorpartners, die in der Regel den kleineren Teil der Profite ergattern: Das Partnerschaftsmodell ist damit nur eine Zwischenlösung. "China kann mittlerweile auch günstige Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in die Waagschale werfen", ergänzt Nettesheim. "Doch bis viele chinesische Unternehmen auf Grund eigener starker Patente auf Augenhöhe mit Technologieführern agieren, ist es noch ein weiter Weg."
IP-Portfolio durch Zukäufe stärken
Einige Unternehmen sichern sich stattdessen Patente durch Übernahmen. Der chinesische Computerhersteller Lenovo etwa übernahm die PC-Sparte von IBM vor allem wegen des IP-Portfolios, und der chinesische TCL-Konzern stieg aus dem gleichen Grund bei Thomson Television ein.
Den gleichen Weg hatten vorher bereits die japanischen und koreanischen DRAM-Chiphersteller beschritten: Unter den zahlreichen in die Krise geratenen US-Chiphersteller suchten sie sich diejenigen zum Kauf aus, die über wertvolles geistiges Eigentum verfügten. Als Texas Instruments nach Ablauf von fünf Jahren die Nutzungsrechte neu verhandeln wollte, war die Gegenseite durch Zukauf bereits in einer besseren Verhandlungsposition.
Nicht nur chinesische Unternehmen haben daraus gelernt. Einer Studie zufolge haben Unternehmen aus 13 verschiedenen, aufstrebenden Schwellenländern allein in den Jahren 2000 bis 2004 knapp 800 Unternehmen aus Industriestaaten übernommen: Die Übernahmen wirken wie Doping für das eigene IP-Portfolio.
Eigene Standards setzen
China hat gegenüber Südkorea oder anderen aufstrebenden Schwellenländern einen wichtigen Vorteil: Einen riesigen Heimatmarkt, der auch für die ausländische Konkurrenz der wichtigste Zukunftsmarkt ist.
Daheim können chinesische Unternehmen nicht nur Kraft für ihren Kampf um weltweite Marktanteile setzen. Sie können im eigenen Land auch eigene Standards setzen, die ausländische Spieler wohl oder übel akzeptieren müssen, um Zugang zum Markt zu erhalten.
Bis zu den Olympischen Spielen 2008 will China seinen eigenen Mobilfunkstandard TS-SCDMA etablieren. Damit vermeidet man nicht nur, dass man wie seinerzeit Südkorea hohe Lizenzgebühren an ausländische Unternehmen zahlen muss. Chinesische Unternehmen können mit einem eigenen Standard gleichzeitig ihren IP-Rückstand gegenüber der Konkurrenz aufholen, da auch diese sich erst auf die neue Technologie einstellen muss.
Die chinesischen Netzwerkausrüster Datang und ZDE errichten derzeit Mobilfunk-Basisstationen in acht verschiedenen chinesischen Metropolen, darunter Peking, Shanghai und Shenzen: Die Größe des eigenen Marktes erlaubt China, den bereits enteilten internationalen Wettbewerbern neue Spielregeln zu diktieren.
Für China ist es noch ein weiter Weg, bis die Volkswirtschaft per Saldo Einnahmen aus eigener Intellectual Property erzielen kann. Südkorea hat sich technologisch in den vergangenen Jahren so verstärkt, dass die weltweiten Lizenzausgaben auf Grund eigener Einnahmen bald sinken dürften. Japan profitiert bereits von seiner Beharrlichkeit und seinen massiven Investitionen in geistiges Eigentum: Vor vier Jahren nahm Japan erstmals per saldo mehr Geld für Lizenzen ein, als es selbst an Nutzungsgebühren zahlen musste. Heute halten japanische Unternehmen etwa 40 Prozent der weltweiten Patente.
"Es wird viele Jahre dauern, bis China einen ähnlichen Weg vollzogen hat", meint BCG-Partner Nettesheim. Doch die Dringlichkeit, die eigene IP-Position möglichst rasch zu stärken, habe man im Land der Mitte erkannt. Dies eröffnet westlichen Unternehmen die Chance auf lukrative Partnerschaften - wenn sie in Zeiten eigener Schwäche nicht gleich vollständig übernommen werden.
Dass China nicht gewillt ist, Niederlagen einfach hinzunehmen, zeigt das Beispiel DVD-Spieler. China entwickelt den eigenen Übertragungsstandard EVD, der bald als vollwertiger Konkurrent gegenüber westlichen Standards wie HD DVD oder Bluray auftreten soll.