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NECKERMANN Genug Luschen

In eilends einberufenen Krisensitzungen diskutierten Banken und Warenhaus-Konzerne Ende der vergangenen Woche ein neues Sanierungskonzept für die überschuldeten Neckermann-Unternehmen.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Altmeister Josef Neckermann versuchte einen Alleingang, vielleicht den letzten. Gut ein halbes Jahr nachdem er dem Kaufhaus-Konzern Karstadt sein Unternehmen angedient hatte, versuchte sich der Handelsmann noch einmal als Herr im Hause Neckermann auszugeben.

Ohne Abstimmung mit Karstadt-Vorstand Bernhard Schröder, der seit Juli im Hauptquartier des Frankfurter Versandkonzerns Kontrolle und Kompetenz übernommen hatte, wies der Dynastiegründer vorletzten Freitag per Fernschreiben die Geschäftsführer seiner 34 Warenhäuser an, die Preise für Bekleidung kurzerhand zu halbieren.

Der von Karstadt schon aufs Altenteil abgeschobene Handelsherr entsann sich seiner alten Erfolgsmethoden, die in seinen Gründerzeiten stets verfangen hatten: Wie in den frühen 50er Jahren, als »Necko« Neckermann mit seinem Billigkatalog im Blitzstart die gesamte Konkurrenz abhängte, sollte das Sonderangebot alte Kunden halten, abgesprungene zurückerobern.

Die Filialführer folgten der Anweisung ihres Prinzipals. Sie ließen die bereits zum Weihnachtsverkauf dekorierten Schaufenster ausräumen und mit Billigware bestücken.

Bestürzt meldeten die Manager der ortsansässigen Kaufhaus-Konkurrenz ihren Zentralen den unerwartet ausgebrochenen Preiskrieg. Und die reagierten rasch: Im Rundruf verabredeten sich die Vorstände der »befreundeten Warenhäuser«, einem informellen Klub, zur gemeinsamen Absprache. Im Kasino des Kölner Kaufhofs stimmten sich die Klubfreunde ab, nichts gegen die verzweifelte Kampagne des Frankfurter Kämpen zu unternehmen.

Der Entschluß fiel nicht schwer: Schon einmal, vor anderthalb Jahren, hatten die Kaufhaus-Konzerne eine Rabattaktion des Preisbrechers anläßlich seines 25jährigen Jubiläums ohne Schaden überstanden -- die Millionenverluste hatte sich der Jubilar selbst eingefangen.

Neckermanns neuer Kompagnon und Kontrolleur Schröder von der Essener Karstadt-Zentrale, der in Frankfurt die geplante Übernahme des Versand-Imperiums durch Karstadt vorbereitet, erklärte sich auf dem Kölner Kasino-Treff mit der Kaufhaus-Clique solidarisch.

Betroffener als die Kollegen aus den Warenhäusern hatten Anfang letzter Woche Börse, Bonn und Banken auf Neckermanns vorweihnachtlichen Ausverkauf reagiert. im Juli, als Karstadts Kaufpläne durchsickerten, war der Kurs der Neckermann-Aktie auf über hundert Punkte gestiegen. Am Montag letzter Woche war das Papier nur gut die Hälfte wert: Der Kurs rutschte auf 60 ab.

Insbesondere die Absicht des Kartellamtes, die Fusion Karstadt-Neckermann zu untersagen, hatte die Topmanager aus Banken und Kaufhaus-Konzernen sowie zuständige Politiker verschreckt. Konnten sie bislang davon ausgehen, daß der mit finanziellen Reserven gut gepolsterte Karstadt-Konzern das eigenkapitalschwache Frankfurter Unternehmen übernehmen würde, mußten sie nun die Möglichkeit einkalkulieren, daß Neckermann vorerst ohne starken Partner auskommen müßte.

Genau das aber schien den Kundigen unter den Kaufhaus-Managern letzte Woche fast undenkbar: Statt der zunächst vermuteten Verluste von rund zehn Millionen aus dem Geschäftsjahr 1975 fehlen inzwischen gut 100 Millionen Mark in den Frankfurter Kassen. Und die Gerüchte um das Fusionsverbot haben selbst treue Neckermann-Lieferanten inzwischen verunsichert.

Noch am Montag rief Wirtschaftsminister Hans Friderichs Staatssekretäre und Abteilungsleiter zu sich und berichtete von aufgeregten Anfragen seines Parteifreundes Heinz Herbert Karry aus Wiesbaden, der um die 20 000 Arbeitsplätze bei Neckermann bangte.

Fast zur selben Zeit tagten in der Zentrale der Berliner Handels- und Frankfurter Bank (BHF) besorgte Abgesandte der zwölf Hausbanken des Versandhändlers.

Im Vertrauen auf den guten Namen des jahrzehntelang erfolgreichen Handelsherrn und Olympioniken hatten sie dem Unternehmen etwa 350 Millionen Mark gepumpt. Mit von der BHF-Partie: der mit Bonner Segen als Krisenmanager herbeigerufene Ex-Krupp-Chef und Kanzler-Intimus Ernst Wolf Mommsen. Der Zwölfer-Klub war sich darin einig, daß zur Sanierung des Handelshauses ein hoher zweistelliger Millionenbetrag fällig werden wird. Und auch dann bliebe das akute Problem der Neckermänner, die Manager-Misere, ungelöst. »Selbst wenn wir den Schröder von Karstadt kaufen würden«, jammerte ein Hausbankier, »bleiben genug Luschen übrig.«

Doch noch immer mochten weder BHF-Sprecher Klaus Subjetzki noch die anderen Großgläubiger viel auf die Warnsignale von Kartellamtspräsident Wolfgang Kartte geben, der seit Wochen verklausulierte Verbotsankündigungen von sich gegeben hatte.

Erst ein Fernschreiben Karttes an Karstadt und Neckermann am Buß- und Bettag, in dem der Präsident die Unternehmen und ihre Banken zur Vorlage von alternativen Sanierungsplänen bis zum endgültigen Berliner Beschlußtermin am nächsten Montag aufforderte, zeigte Wirkung: Neckermanns Geldgeber setzten sich erneut zusammen. Diesmal nahmen gut drei Dutzend andere Gläubiger-Banken sowie die Großbanken an der Krisenrunde teil.

Genau auf diese Institute wollten die Berliner Kartelljuristen ihre Verbotsbegründung abstellen.

Weil nämlich die in anderen Branchen übliche Addition von Marktanteilen bei der Fusion der beiden Handelsfirmen nicht zum Nachweis einer »überragenden Marktstellung« ausreicht (Karstadt hält einen Marktanteil im Einzelhandel von 2,7 Prozent, Neckermann von 1,2 Prozent), verlegten sich die Beamten diesmal auf eine neue Argumentationskette: Bilanzpotenz und Informationsvorsprung der drei Großbanken Deutsche, Dresdner und Commerzbank, die allesamt an den großen Warenhaus-Konzernen beteiligt sind, verbieten nach ihrer Ansicht die Übernahme des drittgrößten Versenders durch den größten Kaufhaus-Konzern der Bundesrepublik.

Kartte und Kollegen stießen sich vor allem daran, daß die drei Großbanken über ihr verschachteltes Beteiligungsnetz (siehe Schaubild Seite 111) an den drei Warenhaus-Riesen Karstadt, Kaufhof und Horten jenen Handels-Zweig nahezu lückenlos kontrollieren, der über ansehnliche Wachstumsraten, beste Gewinne und üppige Rücklagen verfügt.

Durch Zukauf einer weiteren Handelsfirma vom Kaliber Neckermanns würde die Marktmacht der Geld- und Handelsmacht unzulässig verstärkt.

Schon die Liste der Großbanken-Vertreter in den Aufsichtsräten der drei Kaufhaus-Konzerne liest sich eindeutig. Denn Vorstände aller drei Geldkonzerne sitzen in den Kontroll-Gremien von Karstadt, Kaufhof und Horten einträchtig nebeneinander: Bei Karstadt Robert Dhom und Raban von Spiegel von der Commerzbank, Friedrich Wilhelm Christians und Klaus Mertin von der Deutschen Bank sowie Rolf Die! (Dresdner Bank). Beim Kaufhof kontrollieren Paul Lichtenberg (Commerzbank) sowie Robert Ehret (Deutsche Bank) und Karl-Ludwig Bresser (Dresdner Bank) die Geschäfte, bei Horten Andreas Kleffel (Deutsche Bank) und Heinz Niederste-Ostholt (Commerzbank).

Die Bankiers spielten denn auch die entscheidende Rolle, als im Frühjahr die ersten Vorgespräche des Karstadt-Neckermann-Geschäfts besprochen wurden. Übernahmepläne des Kaufhofs (Kaufhof-Vorstand Helmut Thoma: »Es wäre unverantwortlich, wenn wir nicht daran gedacht hätten . . wurden vom damaligen Aufsichtsrats-Boß und pensionierten Commerzbankier Lichtenberg gestoppt.

Kollege von Spiegel, ebenfalls Vorstand der Commerzbank, und Deutsche-Bank-Sprecher Christians einigten sich wenig später mit Neckermann über die geplante Transaktion.

Topmanager aus den Banken waren auch am Freitag vergangener Woche dabei, als im Frankfurter Hotel Plaza die entscheidende Neckermann-Krisenrunde tagte. Gemeinsam mit Karstadt-Vorstand Walter Deuss, den FDP-Ministern Friderichs und Karry und Kartellamtspräsident Kartte beratschlagten sie, wie ein Abrutschen des Versandkonzerns zu verhindern sei.

Die Lage für den Billiganbieter war inzwischen brenzlig geworden. Nach einer internen Hochrechnung der Banken schuldet Neckermann den Instituten insgesamt rund eine halbe Milliarde Mark, die selbst hei florierendem Geschäft erst in etlichen Jahren abgetragen werden kann.

Vergebens versuchte die Runde, Karstadt-Vorstand Walter Deuss zu dem Zugeständnis zu bewegen, sich mit weniger als den vorgesehenen 51 Prozent am Neckermann-Kapital zu begnügen.

Die Härte fiel den Karstadt-Managern nicht schwer. Nachdem sie inzwischen die Interna des Hauses Neckermann kennen, ist ihr Interesse an einer Übernahme des Versandhauses deutlich erlahmt. Sie gehen davon aus, daß sich die Rettung der Firma nur dann lohnt, wenn Karstadt rasch und reibungslos die Alleinherrschaft in Frankfurt übernimmt.

Im Laufe des Freitags wurde Kartell-Kartte denn auch immer kleinlauter. Auch ihm war nämlich aufgegangen, daß ein Ruin des Hauses Neckermann das Gegenteil dessen bewirken würde, was das Kartellamt eigentlich anstrebte: Der Wettbewerb in der Handelsbranche müßte nach dem Ausscheiden des Frankfurters zwangsläufig abnehmen.

Ein Teilnehmer der Krisengespräche meinte am späten Freitagabend: »Jetzt geht es nur noch darum, wer den Schwarzen Peter hat.« Besteht Kartte auf seinem Verbot, könnte sich Karstadt elegant aus dem Handel zurückziehen. Genehmigt das Amt dagegen -- unter welchen Auflagen immer -- den Aktienhandel. wären die Beamten zumindest den Verdacht los, sie setzten aus ordnungspolitischen Gründen 20 000 Arbeitsplätze aufs Spiel.

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