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ZIGARETTEN Genuß ohne Reue?

Westdeutschlands Zigaretten-Konzerne überbieten sich darin, neue, angeblich kaum gesundheitsschädliche Zigaretten auf den Markt zu bringen.
aus DER SPIEGEL 1/1975

Der größte Fortschritt, seit es Zigaretten gibt«, rühmt Friedrich Kristinus, Chef der Martin Brinkmann AG, seine neueste Tabakmixtur. Sie ist goldgelb und riecht nach Pflaumenmus, sie brennt und qualmt wie gewöhnlicher Tabak. Und der Bonner Fiskus kassiert dafür wie für jede gewöhnliche Zigarette 7,5 Pfennig Tabaksteuer je Stück obgleich die neue »Peer leicht« nur zu 80 Prozent aus Tabak, zu 20 Prozent aber aus dem zelluloseähnlichen nikotinfreien Ersatzstoff »Cytrel« besteht.

Das neue Material, das laut Bonnei Sondergenehmigung den herkömmlichen Tabakmischungen bis zu einem Anteil von 25 Prozent beigemischt werden darf, soll -- so Testergebnisse -- den Gehalt an Teer und Nikotin um bis zu einem Fünftel senken.

Mit der Vorstellung der neuen Kunstzigarette konnte es Kristinus gar nicht schnell genug gehen. Denn seit BAT und Reemtsma vor Wochen ihre »im Rauch nikotinfreien« Zigaretten auf den Markt brachten, hat die Konkurrenz im Rennen um die leichtesten Glimmstengel die Nase vorne. Brinkmann, dessen Marke »Lord Extra« 13,9 Prozent Marktanteil und damit über die Hälfte aller in Deutschland gerauchten leichten Zigaretten stellte, drohte ins Hintertreffen zu geraten.

Zur Überraschung selbst der Experten hatten die neuen superleichten Marken »Auslese« und »California« einen Erfolg, wie er auf dem Zigarettenmarkt seit Jahren nicht mehr vorgekommen war. Schon nach wenigen Wochen meldete etwa BAT für seine »Auslese« einen Monatsumsatz von 100 Millionen Stück -- mehr als die meisten Marken selbst nach jahrelanger Werbung erreichen.

Die Flucht der Westdeutschen vor Nikotin und Teer hatte sich schon hei der Einführung der Filterzigarette ("Kastrierte") vor 20 Jahren für die Konzerne bezahlt gemacht. Jahr um Jahr stieg ihr Marktanteil bis auf 85 Prozent im letzten Jahr. Jede vierte in Westdeutschland verkaufte Zigarette ist überdies »im Rauch nikotinarm"« ein Prädikat, das die Tabakwerber erstmals 1962 einsetzten.

Doch trotz Filter und immer leichterer Tabakmischungen gaben immer mehr Deutsche die Glimmstengel auf. 1973 ging erstmals der deutsche Zigarettenverbrauch um ein Prozent auf 124,3 Milliarden Stuck zurück. Rauchten 1971 noch 51 Prozent der deutschen Männer, so sind es heute noch 48 Prozent. Zwar rauchten dafür Deutschlands Frauen um so heftiger -- der Anteil der regelmäßigen Raucherinnen stieg von 16 auf 18 Prozent aber den Konsumverzicht der Männer konnten sie nicht wettmachen.

Gerade die Frauen förderten den Trend zur »Leichten«, deren Marktchancen nach Ansicht der Marketing-Experten denn auch noch längst nicht ausgeschöpft sind. Die Liebhaber der »Leichten« sind freilich ungewöhnlich schwierig. Mehr denn je schwanken die deutschen Raucher zwischen Genuß und Reue« zwischen Geschmack und Gesundheit. Kaum hatten die BAT-Werber im vergangenen Herbst ihre Kundschaft für die neue superleichte »Auslese« (0,14 Milligramm Nikotin, 6,2 Milligramm leer) eingenommen, wandten sich die Raucher auch schon wieder in Scharen ab und der noch neueren, aber schwereren »California« (0,2 Milligramm Nikotin, 8,9 Milligramm leer) von Reemtsma zu.

Mit seiner »Cytrel«-gestopften »Peer leicht« will Brinkmann nun der »California« zusetzen. Denn, so Brinkmann-Sprecher Hellmut Hartmann, mit der neuen Zigarette sei die ideale Kombination gefunden, »Genuß ohne Reue« endlich inhalierbar geworden: Die neue Zigarette enthält mit 0,28 Milligramm zwar mehr Nikotin, aber mit 7,6 Milligramm weniger krebsfördernden leer als Reemtsmas »California«.

Die neuen Mischungsrezepte will auch die Konkurrenz schnell nutzen. Noch während Friedrich Kristinus in der Brinkmann-Zentrale am Hamburger Neuen Jungfernstieg die Presse über den Fortschritt in der Tabaktechnologie unterrichtete, kündigte BAT-Pressesprecher Hermann Feldgen der deutschen Wirtschaftspresse per Telex die bevorstehende Einführung der BAT-Marke »Leichte Classe« an. Auch BAT will dem Tabak das Zelluloseprodukt »Cytrel« beimischen, das der amerikanische Chemiekonzern Celanese Corp. entwickelt hat.

Vom deutschen Chemiekonzern Bayer hingegen wird der größte deutsche Zigarettenhersteller Reemtsma den Rohstoff »RCN« (für Rauchprodukt, das Condensat und Nikotin reduziert) für eine neue Zigarette beziehen, die in den nächsten Wochen unter dem Namen »Reemtsma No. 1« auf den Markt kommen soll.

Daß indes das neue Kraut der Gesundheit wirklich dient, bezweifeln die im Arbeitskreis »Gesundheit und Rauchen« zusammengeschlossenen deutschen Ärzte. Die Gründe: Auch bei der Verbrennung von Zelluloseprodukten entstünden krebserregende Stoffe und die Neigung der Raucher, die Nikotinersparnis bei leichten Zigaretten durch Konsum einer größeren Zahl wieder wettzumachen. Professor Ferdinand Schmidt, Vorsitzender des Arbeitskreises, über den neuen Genuß ohne Reue: »Alles Augenwischerei.«

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