Geothermie Wie sich eine Kleinstadt mit sauberer Energie versorgt
Unterhaching - Im Schalterraum herrscht gelinde Hektik. Einige Lämpchen blinken, mehrere Techniker diskutieren. "Es gibt ein kleines Problem", sagt Reinhard Galbas, der technische Betriebsleiter des Geothermiekraftwerks Unterhaching. Die Anlage muss heruntergefahren werden - kein Grund für die ganz große Aufregung. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass der Probebetrieb Schwierigkeiten macht. "Das ist beim Einsatz neuer Technologien normal", erklärt Galbas.
Die Geothermieanlage Unterhaching bei München ist Deutschlands größtes und Europas modernstes Erdwärmekraftwerk. Ab Mitte Juni - ein Jahr später als geplant - soll die Anlage Strom in das öffentliche Netz einspeisen. Strom aus der Tiefe der Erde.
Weltweit ist es erst das zweite Mal, dass in einem Erdwärmekraftwerk das sogenannte Kalina-Verfahren zum Einsatz kommt. Dabei werden die dampflokgroßen Turbinen von einem Ammoniakgemisch angetrieben, das bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen gasförmig wird. Die Energieausbeute ist dadurch höher als bei Wasser. "Das ist die effektivste Technik, Strom aus Erdwärme zu gewinnen", sagt Galbas.
"In Unterhaching wird derzeit Pionierarbeit geleistet", schwärmt Benjamin Richter von der Unternehmensberatung Rödl & Partner. Die Firma ist für den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage verantwortlich, die der Gemeinde gehört. Bis zu 3,4 Megawatt elektrischer Leistung soll das Kraftwerk künftig liefern. Das reicht laut Rödl & Partner, um rund 10.000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Die Leistung werde damit deutlich höher sein als bei bisherigen deutschen Erdwärmekraftwerke, die mittels anderer Verfahren Strom erzeugen.
Der große Vorteil der Geothermie: Die Energie aus dem Boden steht rund um die Uhr zur Verfügung - ohne Schwankungen wie bei Solaranlagen oder Windrädern. Außerdem fällt bei der Stromerzeugung ein wichtiges Nebenprodukt ab: Wärme. In Unterhaching wird sie zum Heizen genutzt. Anders als die Stromversorgung funktioniert das schon seit Juni 2007 problemlos. Allein bis April speiste die Anlage so viel Energie ins Fernwärmenetz ein, dass 7000 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden konnten. Künftig sollen es noch deutlich mehr werden.
Mittlerweile sind laut Betreiber fast 2000 Haushalte an die Leitungen angeschlossen. "Für viele Kunden, die mit Öl heizen, lohnt sich der Umstieg auf Fernwärme bereits nach ein bis zwei Jahren", wirbt Erwin Knapek. Er ist der Initiator des Projekts und war viele Jahre Aufsichtsratschef der Unterhachinger Geothermie GmbH. Bei Kunden, die zuvor mit Gas geheizt haben, lohne sich der Umstieg nach rund einem Jahrzehnt. Doch diese Zeitspanne könnte bald schrumpfen: Denn während viele Gaskonzerne die Preise massiv anheben, wollen die Unterhachinger ihren Tarif nur um knapp zwei Prozent erhöhen.
Knapek bezeichnet das Projekt denn auch als "Erfolgsgeschichte". Alles in allem habe die Gemeinde rund 80 Millionen Euro investiert. "Diese Kosten werden sich nach etwas mehr zwei Jahrzehnten amortisiert haben", prophezeit er. Dabei sei der gestiegene Ölpreis noch gar nicht eingerechnet.
Bis Ende April war SPD-Mitglied Knapek Bürgermeister von Unterhaching. Noch gut erinnert er sich an die anfängliche Skepsis einiger Behörden. So habe die Kleinstadt langwierige Genehmigungsstreitigkeiten mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium ausfechten müssen. Als Knapek in den neunziger Jahren die Möglichkeiten zur Erdwärmenutzung vor Ort auslotete, kostete das Fass Öl weniger als 20 Dollar. Lange schien Geothermie aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig attraktiv - selbst mit staatlichen Subventionen. Doch durch die Rekordjagd beim Ölpreis wurde die Erdwärme immer rentabler. Als die Gemeinde 2004 die erste Bohrung startete, lag der Ölpreis bei rund 40 Dollar, mittlerweile hat er die 130-Dollar-Marke geknackt.
Die Bohrungen wurden deutlich teurer als geplant
Der Kern des Unterhachinger Geothermiekraftwerks ist das Pumpenhäuschen. Hier wird aus 3350 Metern Tiefe rund 120 Grad heißes Thermalwasser an die Oberfläche gefördert. Pro Minute sind es mehrere tausend Liter. "Das Wasser wird nicht im Geringsten verunreinigt", erklärt Knapek. "Über eine zweite Bohrung wird es wieder zurückgepumpt, damit das Reservoir nicht irgendwann erschöpft ist."
Allerdings zeigt sich hier Folgen der hohen Energiepreise. Weltweit werden immer mehr Ölfelder angezapft, Bohrgeräte werden dadurch knapp, die Preise springen in die Höhe. Hinzu kommen die rasant steigenden Stahlpreise, was die Kosten einer einzigen Bohrung massiv nach oben treibt. Kostete ein Meter vor fünf Jahren rund tausend Euro, sind es jetzt schon 1800 Euro. Die Kalkulation der Unterhachinger geriet dadurch erheblich durcheinander. Für zwei Bohrungen hatten sie mit sieben Millionen Euro gerechnet. Andere Teuerungsfaktoren kamen hinzu: Am Ende beliefen sich die Ausgaben auf rund 20 Millionen Euro.
"Bei den Bohrkapazitäten steht die Geothermie im Wettbewerb mit der Erdöl- und Erdgasförderung", erklärt Rolf Katzenbach, Experte für Tiefengeothermie an der TU Darmstadt. Deutschland sei hier abhängig von großen amerikanischen Bohrfirmen, Kompetenzen hierzulande fehlten. "In Zukunft müsste in diesem Bereich deutlich mehr investiert werden, um auch in tiefere Schichten bohren zu können", erklärt der Forscher. Schließlich sei die Geothermie wichtig, um energiepolitisch unabhängiger zu werden.
Selbst E.on sieht Wachstumspotential
Bislang stammt nicht einmal ein Prozent der regenerativen Energie in Deutschland aus Geothermieanlagen. "Doch das könnte sich durch den hohen Ölpreis schon bald ändern", prophezeit Katzenbach. In zwei Jahrzehnten sei es in Deutschland möglich, so viel Strom aus Erdwärme zu erzeugen wie in zwei bis vier Atomkraftwerken. Bei seiner Prognose geht der Forscher allerdings von weiter steigenden Ölpreisen aus. Außerdem müssten Regierung und Unternehmen neue Technologien entwickeln, um in tiefere Erdschichten vorzudringen.
Immerhin: Auch die Geothermische Vereinigung schätzt die installierte Kraftwerksleistung im Jahr 2030 auf drei Gigawatt Elektrizität. Und selbst der Großkonzern E.on geht davon aus, dass die in Bayern in den nächsten 20 Jahren wirtschaftlich erschließbaren Reserven reichen, um ein mittleres Steinkohlekraftwerk zu ersetzen.
Bundesweit sind nach Schätzungen des Bundesverbandes Geothermie rund 150 Anlagen in Planung, davon 90 in Bayern. Meist sind es die örtlichen Stadtwerke, die die Erdwärme nutzen wollen. Energie-Experte Richter erwartet einen regelrechten Wirtschaftsboom: In den nächsten zehn bis 15 Jahren stünden allein im Freistaat Investitionen für Geothermieprojekte von rund sechs Milliarden Euro an.