
Geräumte Occupy-Aktivisten Trotz ohne Kopf
Als die Sonne aufgeht, ist alles vorbei. Die Zelte sind geräumt, die Schlafsäcke verschwunden. Genau wie die Bongo-Trommeln, die Plastikplanen, die Krankenstation, die Feldküche, die Klapptische, die Laptops, die Pappschilder. Die Polizisten bauen die Barrikaden ab, während die ersten Geschäftsleute schon wieder aus den U-Bahn-Schächten drängen und in ihre Büros hetzen.
Fast scheint es, als wäre nie etwas gewesen. Die gespenstische, perfekt inszenierte Nacht- und Nebelaktion der Polizei hatte den geplanten Effekt: Der Zuccotti Park unweit der Wall Street, die Geburtsstätte der globalen Occupy-Bewegung, ist binnen weniger Stunden wieder zu dem geworden, was er vor zwei Monaten einmal war: ein gesichtsloses Granit-Karree im Finanzviertel von New York.
Die Demonstranten wollen nicht aufgeben. Sie formieren sich sofort neu, drüben am Foley Square mit seinen Justizpalästen, wo an diesem Vormittag zufälligerweise rund 60 von ihnen zum Rapport antreten müssen, weil sie im Oktober bei Zusammenstößen mit der Polizei festgenommen worden waren. Später bildet sich ein spontaner Marsch zur Canal Street. "Wir sind die 99 Prozent!", skandieren sie ihren altbekannten Slogan.
Nicht so schnell, warnt Bürgermeister Michael Bloomberg, der zeitgleich vor die Presse tritt und die Räumung des Occupy-Camps verteidigt: "Leider war der Park zu einem Ort geworden, an den die Leute nicht kamen, um zu protestieren, sondern um Gesetze zu brechen." Die Demonstranten dürften gerne zurückkehren und ihre Argumente weiter vortragen - nur nicht über Nacht, nicht mit Zelten und Camping-Proviant.
Ein New Yorker Richter sah das ganz ähnlich. Am Montagnachmittag Ortszeit wies er das Ansinnen der Occupy-Demonstranten ab, mit ihrem Camp in den Park nahe der Wall Street zurückzukehren. Er bestätigte damit das von den Behörden verhängte Zeltverbot. Die Protest-Teilnehmer dürften sich zwar weiter versammeln, müssten sich aber an die Regeln des Parks halten: Schlafsäcke und Zelte sind dort unter anderem verboten.
Es fehlt ein Konzept für einen Neuanfang
Damit ist das Ende der Occupy-Bewegung so gut wie besiegelt - zumindest in ihrer bisherigen Form wird sie kaum weitermachen können. Eine Protestaktion, die sich "Occupy" nennt, aber nicht okkupieren kann, ist tot - oder muss sich neu erfinden. Um doch noch Erfolg zu haben und nicht als Nebengeräusch im Nachrichtenzyklus zu verschwinden, muss sie andere Formen finden, ihre Anliegen zu formulieren. Davon ist sie jedoch auch zwei Monate nach ihrer Gründung weit entfernt.
Die Polizeiaktion hatte um Mitternacht begonnen: Hunderte behelmte Cops umstellen den Platz, schalten Flutlichter ein, fordern die mehr als 200 Campierenden per Megafon auf, den Ort zu verlassen. Einige Protestierer verschwinden lautlos, die meisten verharren. Gegen ein Uhr rückt eine kleine Polizeiarmee vor, zerstört Zelt für Zelt, Rucksäcke und Isomatten landen auf dem Müllwagen. Dutzende leisten Widerstand an einem letzten Zelt, das als Kantine gedient hat. Einige ketten sich mit Fahrradschlössern an. "Welcher Park?", rufen sie. "Unser Park!"
Die "Evakuierung" des Platzes, wie das New York Police Department (NYPD) die Räumungsaktion nennt, dauert nur wenige Stunden. Journalisten, die an den Ort geeilt sind, werden auf Abstand gehalten, offenbar um zu verhindern, dass es Videomaterial gibt. Rund 200 Demonstranten landen vorläufig in Polizeihaft.
"Die endgültige Entscheidung zu handeln, war meine"
Bürgermeister Bloomberg ist selbst Milliardär und ein Freund der Wall-Street-Banker. Mit der Aktion wird er dem ausdrücklichen Wunsch der Immobilienfirma Brookfield Properties gerecht, der das Privatgelände gehört und die seit langem auf Räumung dringt. "Täuschen Sie sich nicht", betont Bloomberg. "Die endgültige Entscheidung zu handeln, war meine."
Der Bürgermeister spricht von "Gesundheits- und Feuergefahren", von Beschwerden der Anwohner, von einer "Belästigung" des ganzen Viertels, von vereinzeltem Rabaukentum. Er erwähnt ein Gerangel, bei dem ein Sanitäter verletzt wurde. "Tatenlosigkeit war keine Option", sagt er. Die Aktivisten hätten den Platz zwei Monate lang besetzen dürfen. "Nun werden sie das Gelände mit der Kraft ihrer Argumente okkupieren müssen."
Die Angesprochenen sehen sich als Opfer des Establishments - und ihre Systemkritik bestätigt. "Wir werden nicht aufhören", schwören sie am Dienstagvormittag im Chor. "Die Bewegung lässt sich nicht auf einen Block in Lower Manhattan beschränken", schreiben sie auf ihrer zentralen Website. "Sie ist größer als das. Ideen, deren Zeit gekommen ist, kann man nicht zwangsräumen."
Wie sie diese Ideen konkret weitertragen wollen, bleibt unbeantwortet. Vielleicht werden sie einen anderen Platz besetzen. Am Dienstag erlaubte ihnen ein Richter sogar, vorübergehend zum Zuccotti Park zurückzukehren. Doch das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei wird bald zu Ende gehen, nicht zuletzt wegen des Winters, der in New York gewöhnlich schnell einbricht.
Manche New Yorker, die anfangs mit den Demonstranten sympathisiert hatten, zeigen sich nun erleichtert über das Ende der Besetzung. "Danke, Bürgermeister Bloomberg!", sagt der Immobilienmakler Luis Vazquez-Willhelm, der in der Nähe des Zuccotti Parks wohnt. "Geschäfte haben gelitten, viele Leute haben ihre Jobs verloren, Anwohner sind frustriert über den Lärm und den Dreck und die Barrikaden." Ja, er teile die Anliegen der Bewegung.
Doch es sei Zeit, anderswo zu protestieren. Zum Beispiel im Central Park.