KONZERNE Gerangel um den Liebling
Mit beißendem Spott zog Eberhard von Kuenheim noch vor knapp vierzehn Tagen über den Konkurrenten Daimler-Benz her. »Wir werden uns nicht deshalb an einem Unternehmen beteiligen«, kommentierte der BMW-Chef den Daimler-Einstieg bei der AEG, »damit die Belegschaft verbilligt Kühlschränke beziehen kann.«
Aber vielleicht handliche Raketen der Typen »Hot« oder »Milan«?
Eberhard von Kuenheim sondiert seit wenigen Wochen die Möglichkeiten, eine Mehrheit am führenden deutschen Rüstungs- und Raumfahrtunternehmen Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) zu erwerben. Das im Münchner Vorort Ottobrunn ansässige Unternehmen, unter dessen Regie auch das Kampfflugzeug Tornado und die deutschen Teile des Airbus gebaut werden, gilt bei Industriellen als ein technischer Schatzkasten, der bei umsichtiger Führung beste _(Auf der Frankfurter Auto-Ausstellung im ) _(September; von Kuenheim heftet Strauß ) _(eine BMW-Anstecknadel ans Revers. )
Chancen im heraufziehenden Elektronik-Zeitalter haben dürfte.
Doch von Kuenheim stößt, anders als Daimler bei seinem AEG-Erwerb, auf beträchtliche Schwierigkeiten. Während die Mercedes-Manager lediglich eine Gruppe von Bankiers von ihrer Idee überzeugen mußten, verfolgen die Besitzer von MBB höchst widerstreitende Interessen: MBB gehört den Stadt-Staaten Hamburg und Bremen, dem Land Bayern und gut einem halben Dutzend Großkonzernen (siehe Graphik).
Diese kunterbunte Struktur mißfällt neben den meisten Industriellen vor allem dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Er ist MBB-Aufsichtsrat und kümmert sich seit Jahren schon höchst intensiv um das Wohlergehen des Rüstungskonzerns, den er als Kern seiner regionalen Industrie-Politik ansieht. Strauß war es auch, der Eberhard von Kuenheim vor wenigen Wochen auf einem gemeinsamen Flug nach China zum Kauf ermunterte.
Daß ausgerechnet Strauß, ein Prediger in Sachen Marktwirtschaft, die neue Mammut-Fusion so vehement betreibt, hat auch mit der Konkurrenz zu Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Lothar Späth zu tun. Im Späth-Ländle hat Daimler mit AEG, MTU und Dornier den größten Konzern der Bundesrepublik zusammengefügt. Strauß will nachziehen: Der Bayer und Späth, als wollten sie Karl Marx postum recht geben, forcieren die Kapital-Konzentration, weil nur so angeblich der weltweite Konkurrenzkampf zu bestehen sei.
Ob Eberhard von Kuenheim, angestiftet von Strauß, MBB unter seine Regie bekommt, hängt von dem Ausgang eines Pokerspiels ab, das am 5. Dezember in Essen entschieden wird. Dann entscheidet der Aufsichtsrat des Krupp-Konzerns, an wen die hauseigenen MBB-Anteile verkauft werden.
Für BMW oder jeden anderen MBB-Käufer sind die Krupp-Anteile entscheidend wichtig, um die Mehrheit zu erlangen. Wenn es nämlich gelingt, die MBB-Eigentumsanteile der Industrie und der Banken zu bündeln, würden die Krupp-Anteile den Aufkäufer nahe an die 50-Prozent-Marke bringen. Die letzten Prozente, die dann noch an der Mehrheit fehlen, könnte Franz Josef Strauß von seinen Anteilen abtreten, um sein Lieblingskind bei einer starken industriellen Führung unterzubringen.
Vor knapp zwei Wochen reiste Eberhard von Kuenheim nach Norden, um die Chancen auszukundschaften. Zunächst besuchte er Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, um zu erfahren, ob Hamburg eventuell verkaufen würde. Doch Dohnanyi denkt überhaupt nicht daran. In Hamburg hängen Tausende von Arbeitsplätzen an der Airbus-Fertigung.
Für Bremen, wo MBB große Werke unterhält, gilt im Prinzip dasselbe. Und doch ist Bremen der Angelpunkt des Gerangels um die MBB-Mehrheit.
Die Stadt Bremen hat seit vielen Jahren ihren MBB-Besitz mit den Anteilen des Krupp-Konzerns gekoppelt. Will einer die MBB-Anteile verkaufen, so hat der andere ein Vorkaufsrecht. Für die Bremer war die Situation da, als Krupp-Chef Wilhelm Scheider wissen ließ: »Wir sind bereit, Anteile zu verkaufen.« Obwohl die Stadt kaum Geld hat, wollen die Bremer unbedingt kaufen, notfalls auf Pump.
Doch seit von Kuenheim auf der Pirsch nach MBB-Anteilen ist, scheint das Geschäft mit Krupp auf einmal fraglich. Gegen den finanziell schwachen Stadtstaat trat neben dem BMW-Chef noch ein überaus reicher Verbündeter an: die Dresdner Bank, das zweitgrößte Geldhaus der Bundesrepublik.
Zum einen ist die Dresdner Bank der Hausfinanzier von Krupp wie auch von BMW und deren Groß-Aktionär, der Bad Homburger Quandt-Familie. Zum anderen treibt die Frankfurter Bankiers ein anderes Motiv: Nachdem ihr ewiger Konkurrent, die Deutsche Bank, mit der Vergrößerung des Daimler-Imperiums den großen Schlag landete, möchten die Dresdner etwas ähnlich Imposantes schaffen. So nutzten die Bankiers den kurzen Draht zu Krupp und ließen wissen, daß sie statt Bremen durchaus die MBB-Anteile kaufen könnten.
Da die Dresdner Bank das Angebot immer weiter hochschrauben könnte, suchte Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier nach einem wohlhabenden Verbündeten. Er alarmierte den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Parteigenossen Johannes Rau, damit der die Westdeutsche Landesbank (WestLB) den Bremern zur Seite stellte. So kommt es, daß sich auch die WestLB für die Krupp-Anteile und darüber hinaus auch für die Thyssen-Anteile interessiert.
Die Bremer Geldnöte kennen von Kuenheim und die Quandt-Sippe nicht. BMW verdient seit Jahren in Amerika so märchenhaft viel Geld, daß die Mehrheit an MBB »leicht zu machen wäre«, wie ein Bankier sagt.
Der Gesamtwert von MBB wird auf 1,2 bis 1,5 Milliarden Mark geschätzt. Die Hälfte davon könnte der Münchner Autokonzern allein aus seinem diesjährigen USA-Gewinn locker bezahlen. 80 000 Autos verkauft BMW dieses Jahr in Amerika. Ein BMW ist in USA etwa 60 Prozent teurer als hierzulande. Bei einem überaus vorsichtig geschätzten Gewinn von 10 000 Mark pro Auto liegen also 800 Millionen Mark bereit.
Die wichtigere Frage lautet: Passen BMW und MBB industriell zusammen? Eberhard von Kuenheim, so scheint es, ist auch unsicher, was die Autofirma mit dem Rüstungs- und Raumfahrtkonzern eigentlich anfangen soll.
Seltsam unverblümt lancierte der BMW-Chef in den vergangenen Wochen seine Zweifel an der Weisheit des großen Planes in die Öffentlichkeit. Als er bei seinen Erkundigungen im Norden erfuhr, daß weder Hamburg noch Bremen ihre Anteile verkaufen wollen, besuchte er Strauß in dessen Staatskanzlei: Ohne Mehrheit wolle er MBB nicht. »Seither«, sagt ein bayrischer Industrieller, »sind Strauß und von Kuenheim keine Freunde mehr.«
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MBB EINE GROSSE FAMILIE Anteilseigner der MBB Thyssen Siemens Aerospatiale Fides Industrie-Beteiligungsgesellschaft mbH Freistaat Bayern (direkt) Hamburger Gesellschaft für Beteiligungsverwaltung mbH - HGV LfA-Gesellschaft für Vermögensverwaltung mbH, Freistaat Bayern Bayerisch-Hamburgische Beteiligungsgesellschaft mbH Allianz Bosch Hibeg, Stadt Bremen Fried. Krupp VFW Verwaltungsgesellschaft ABM Beteiligungsgesellschaft mbH Bayerische Vereinsbank Dresdner Bank BD-Industrie-Beteiligungsgesellschaft Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH, München; Stammkapital: 600 Mill. Mark Willy und Lilly Messerschmitt Stiftung Dr. Ludwig Bölkow Familie Blohm
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Auf der Frankfurter Auto-Ausstellung im September; von Kuenheimheftet Strauß eine BMW-Anstecknadel ans Revers.