Zur Ausgabe
Artikel 32 / 86

ARBEITSMARKT Gern behilflich

Die Einführung neuer Techniken in der Druckindustrie hat nicht zu der von der Gewerkschaft behaupteten Vernichtung von Arbeitsplätzen geführt. Dennoch fordert die IG Druck mit Verve die Verkürzung der Arbeitszeit.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Seit einem Dreivierteljahr sucht das Druck- und Verlagshaus Frankfurt für seinen Betrieb in Neu-Isenburg pausenlos Offset- und Tiefdrucker, Retuscheure, Repro-Photographen und Setzer. Die Anzeigen wurden immer größer, der Erfolg liegt, so die Personalabteilung, bei »Null Komma«.

In einer Juni-Woche dieses Jahres erschienen in Münchens Zeitungen mehr als 30 Anzeigen, in denen Maschinensetzern, Druckern, Montierern und Chemigraphen aller Art sofortiger Eintritt, übertariflicher Lohn, Einarbeitung, Umschulung, Dauerstellung geboten wurden.

Der Axel Springer Verlag ließ binnen zwei Monaten in Hamburg 41 zumeist große Anzeigen los, weil 22 Planstellen für Setzer zu vergeben sind. Erfolg: Heute sind noch 16 Planstellen offen, obwohl Springer auf den Tariflohn bis zu 40 Prozent Zulage zahlt. Die offensichtliche Knappheit an Facharbeitern befiel eine Branche, die nach landläufiger Version von der jobmordenden Elektronik bedroht ist. »Druck und Papier«, das Zentralorgan der Industriegewerkschaft Druck und Papier. etwa thematisierte die angeblich um sich greifende Arbeitslosigkeit auf dem Titelbild. Vor einem imaginären Druckhaus steht ein Schild: »Wir stellen ein: eine Photosetzmaschine, eine Schreibkraft. Wir entlassen: vier Setzer, drei Textmetteure« drei Stereotypeure, einen Korrektor.«

Wenige Monate nach den bisher schwersten Arbeitskämpfen in der Druckindustrie -- dabei ging es um die Absicherung der herkömmlichen Maschinensetzer gegen die einkommensmindernden Folgen der elektronischen Satztechnik -- rüstet die IG Druck zu neuen Gefechten. Ende August forderte Leonhard Mahlein, Vorsitzender der Drucker-Gewerkschaft, wieder die »schnelle Einführung« der 35-Stunden-Woche. »Durch die Arbeitszeitverkürzung«, so Mahlein, solle die »Vernichtung von Arbeitsplätzen gestoppt beziehungsweise abgemildert« werden.

Der Widerspruch ist kaum zu überbieten. In der gleichen Ausgabe der Gewerkschaftszeitung »Druck und Papier«, in der auf dem Titelbild angeblich Setzer, Metteure und Stereotypeure zur Entlassung anstanden. suchte im Inseratenteil neben vielen anderen der Münchner Zeitungs-Verlag »zum baldigen Eintritt« Stereotypeure: »Wir bieten gute Verdienstmöglichkeiten, moderne Arbeitsräume, preisgünstiges Mittag- und Abendessen in eigener Kantine, zusätzliche Altersversorgung. Bei der Beschaffung einer Wohnung sind wir gern behilflich.«

Zur Arbeitsmarktlage notierte Erhardt D. Stiebner, Geschäftsführender Gesellschafter des Münchner Druckhauses Bruckmann: »Auf Personalanzeigen melden sich grundsätzlich nur Fachkräfte, die einen Arbeitsplatzwechsel anstreben und in einem festen Arbeitsverhältnis stehen.« Das Arbeitsamt sei nicht in der Lage, »auch nur teilweise oder vereinzelt« Vermittlungsvorschläge für Fachkräfte zu unterbreiten. Stiebner: »Vom Arbeitsamt zugewiesene Hilfskräfte zeigen in aller Regel wenig Neigung zu arbeiten beziehungsweise kündigen schon nach kurzer Zeit wieder.«

In einer Branchenuntersuchung des Druckerei- und Vervielfältigungsgewerbes stellte die Bundesanstalt für Arbeit dieser Tage fest, die Einführung der rechnergesteuerten Satztechnik habe, »aufs Ganze gesehen, keine negativen Auswirkungen« für den Arbeitsmarkt gebracht. Detlef Hensche, Vorstandsmitglied und ideologischer Vordrucker der Setzer-Gewerkschaft. aber schrieb: »Die Unternehmer sind schon lange angetreten, um Menschen zu stürmen, um unsere Arbeitsplätze zu stürmen.«

Seit 1972 ging die Beschäftigung in der Druckindustrie von 201 000 auf 171 000 zurück. Nach einer Untersuchung des staatlichen Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das Jahr 1975 verursachten freilich Wachstumsschwund und Pleiten den weitaus größten Teil der Arbeitsplatzverluste. Die Rationalisierung dagegen war nur zu zwölf Prozent für den Abbau verantwortlich.

Außerdem wurde nur ein kleiner Teil der Erwerbstätigen wirklich arbeitslos. Der Abbau der Beschäftigung vollzog sich überwiegend durch Nichtersetzen der normalen Abgänge.

Seit einem Jahr steigt die Beschäftigung in der Druckindustrie wieder an. Diese Umkehr vollzog sich ausgerechnet in einer Zeit, da viele Unternehmen die Umstellung auf die rechnergesteuerte Satztechnik vollzogen oder einleiteten, so daß der Beschäftigten-Schwund jetzt eigentlich besonders fühlbar sein müßte, wenn technologische Umwälzungen tatsächlich der wichtigste Bestimmungsgrund für den Beschäftigungsgrad wären.

Seit 1975 ging zwar die Anzahl der Beschäftigten in den besonders gefährdeten Berufen -- manueller und maschineller Bleisatz -- um etwa 4000 auf 24 600 zurück. Dafür aber stieg die Zahl der Beschäftigten beim manuellen und maschinellen Photosatz um 1600, gleichzeitig wuchs die Zahl der sogenannten Perforatoren (Texteingabe auf Lochstreifen) um 300 und der elektronischen Satzhersteller um 900.

Nennenswerte Entlassungen von Fachkräften hat es -- außer bei Pleiten -in den vergangenen Jahren nirgendwo gegeben. Beim Münchner Druckhaus Bruckmann etwa sank die Zahl der Schriftsetzer wegen der rechnergesteuerten Texteingabegeräte auf nahezu die Hälfte. Die Opfer der neuen Technik wurden nicht entlassen, sondern konnten, wenn sie dazu bereit waren, in andere Facharbeiter-Tätigkeiten wechseln.

Beim Verlagsunternehmen Ernst Klett in Stuttgart schrumpfte die Setzer-Mannschaft von 100 auf 30, aber kein Setzer wurde entlassen. 20 fanden sofort einen neuen Job im Filmsatz und im Büro, andere, die bei ihrer erlernten Tätigkeit bleiben wollten, fanden mühelos Jobs bei anderen Druckereien. Heute sucht der Miteigentümer Roland Klett wieder Schriftsetzer, »wegen erwiesener Erfolglosigkeit« aber hat er es eingestellt, beim Arbeitsamt oder per Inserat nach Interessenten zu fahnden.

1976, als in einem dramatischen Akt bei der »Stuttgarter Zeitung«, den »Stuttgarter Nachrichten« und dem »Stuttgarter Wochenblatt« die rechnergesteuerte Setztechnik eingeführt wurde. schrumpfte die Zahl der Arbeitsplätze in der Technik um etwa 300. Doch kein Setzer, kein Metteur und kein Korrektor ging stempeln, weil die Turmhaus Druckerei GmbH die überzähligen Beschäftigten für neue Facharbeiter-Tätigkeiten ausbildete. Allen Untergangsparolen zum Trotz sind gerade die Schriftsetzer, traditionell die Portepeeträger der Druckbranche, wegen ihrer vielseitigen Kenntnisse vom technischen Wandel kaum bedroht. Denn sie finden auch außerhalb ihrer herkömmlichen Tätigkeit leicht Arbeit, häufig mit noch qualifizierteren und höher dotierten Inhalten.

Noch gravierender ist der Facharbeiter-Mangel bei den Druckern. insbesondere im Tiefdruck. Gezielt überziehen die Großunternehmen die Betriebs-Stätten der Konkurrenz mit Inseraten, und mit weiteren außertariflichen Zulagen versuchen sie, sich gegenseitig die Spezialisten abzujagen.

Wegen schrumpfender Aufträge mußte das SPD-eigene Kölner Druckhaus Deutz in den vergangenen Jahren seine Belegschaft kräftig verkleinern. Der Axel Springer Verlag inserierte deshalb in Köln, Personalmanager nisteten sich anschließend in einem Hotel ein, um die freigesetzten Fachkräfte zu empfangen. Doch zur Überraschung der Werber meldeten sich keine Deutzer, wohl aber Drucker des vollbeschäftigten Unternehmens DuMont Schauberg, um sich nach außertariflichen Zulagen zu erkundigen.

Vor Jahresfrist fiel die Darmstädter Habra Druck Ott KG mit mehr als 500 Beschäftigten in Konkurs. Als daraufhin Großdrucker aus allen Teilen Deutschlands die Arbeitslosen aufnehmen wollten, mußten sie feststellen, daß die meisten Fachkräfte bereits nach kürzester Zeit nicht mehr zur Verfügung standen.

Detlef Hensche fechten die allgemein zugänglichen Arbeitsmarktdaten nicht an. Seine Analyse der Druckindustrie, »daß entweder immer mehr auf die Straße fliegen oder aber alle kürzer arbeiten«, ist ebenso griffig wie falsch. Denn gleichzeitig kreidet die IG Druck den Unternehmern an, sie hätten den Facharbeiter-Mangel (also doch) »selbst geschaffen«, weil sie viel zuwenig ausgebildet hätten.

Der Vorwurf ist im Prinzip berechtigt. Von 1970 bis 1977 ging die Zahl der Auszubildenden auf nahezu die Hälfte zurück. Freilich paßt die Feststellung, daß in der Druckindustrie die Fachkräfte gesucht sind, schlecht zu der Generalthese, die Arbeitszeit müsse verkürzt werden, weil der technische Fortschritt die Jobs frißt. Das klingt so, als hätten die Unternehmen zuviel ausbilden sollen, um der Forderung der IG Druck nach Arbeitszeitverkürzung Nachdruck zu verleihen.

Die Unternehmer begründen die Unlust an der Ausbildung damit, daß sie selbst die Folgen des technischen Fortschritts falsch eingeschätzt hätten. Zudem haben die Tataren-Nachrichten der IG Druck, daß »auch noch der letzte Facharbeiter auf die Straße fliegt« (Hensche), die Neigung der Schulabgänger gedämpft, vermeintlich sterbende Berufe zu erlernen.

Die neue Erkenntnis, daß der technische Fortschritt in der Druckindustrie keineswegs den ehedem befürchteten Facharbeiter-Exodus bewirkt, hat prompt wieder zu einem starken Anstieg der Lehrstellen-Zahl geführt. Der Bundesverband der Druckindustrie stellte fest, daß die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr um 26 Prozent größer ist als 1977.

Selbstverständlich ist der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten, den heute alle führenden Gewerkschaftsfunktionäre, viele SPD-Politiker und christliche Gewerkschafter vorbringen, respektabel. Speziell in der Druckindustrie kann freilich von einer beschäftigungssteigernden Wirkung der 35-Stunden-Woche überhaupt keine Rede sein, weil diese Branche mit 2,5 Prozent Arbeitslosigkeit deutlich unter der allgemeinen Quote von rund vier Prozent liegt. Zudem fordert IG-Druck-Vorsitzender Leonhard Mahlein den vollen Lohnausgleich, weil das Verfahren sonst auf »eine tarifvertraglich vereinbarte Kurzarbeit« hinausliefe.

Nach Berechnungen des Bruckmann-Geschäftsführers Stiebner führt die Arbeitszeitverkürzung von 12,5 Prozent bei vollem Lohnausgleich zu einem Anstieg der Arbeitskosten um gut 16 Prozent, hinzu kommen weitere Kostensteigerungen, die aus dem verminderten Nutzungsgrad der Anlagen resultieren.

Leonhard Mahlein argumentierte, die 40-Stunden-Woche sei wegen der Arbeitsbelastung an schnell laufenden Druckmaschinen unzumutbar. Allerdings steht die 40-Stunden-Woche bei Druckhäusern, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten, heute nur noch auf dem Papier. In den größeren Betrieben sind bei Schichtanfang und -ende jeweils eine Viertelstunde täglich sogenannte Überlappungszeiten vorgesehen, zu denen aus Gründen des Betriebsablaufs zwei Schichten anwesend sein sollen. In der Praxis freilich wird diese Reservezeit in Abstimmung mit den Betriebsleitungen nicht in Anspruch genommen, so daß die Drucker wöchentlich nur 37,5 Stunden arbeiten.

Bei Setzern der Nachtschicht ist zudem am frühen Morgen eine sogenannte Lüftungspause von einer halben Stunde tariflich vereinbart, was dazu führt, daß diese Schriftsetzer heute schon nur mehr 35 Stunden arbeiten. Käme generell die geforderte 35-Stunden-Woche zum Zuge, würde die tatsächliche Arbeitszeit auf 32,5 Stunden für Drucker im Schichtbetrieb und auf 30 Stunden für Maschinensetzer in der Nachtschicht sinken.

Es müsse befürchtet werden, so der Münchner Erhard D. Stiebner in seiner Studie, »daß die Einführung der 35-Stunden-Woche langfristig zu Kapazitätsabbau und Rückgang der Investitionen führt, womit zwangsläufig ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit verbunden sein wird«.

Zur Ausgabe
Artikel 32 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten