
Süßigkeitenladen
Foto: Victoria Jung / DER SPIEGELZank über Özdemirs Gesetzentwurf »Bei Kinderwerbung sind Firmen zynisch«
SPIEGEL: Herr Effertz, der grüne Ernährungsminister Cem Özdemir will an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel verbieten, im TV von 6 bis 23 Uhr. FDP und Union sehen »staatliche Bevormundung«. Zu Recht?
Effertz: Was die Kritiker beschützen, ist eher die Manipulationsfreiheit der Lebensmittelbranche. Es gibt klare wissenschaftliche Befunde, dass an Kinder gerichtete Werbung stark auf sie wirkt und sie langfristig zu den Marken zieht.
SPIEGEL: Die Industrie beteuert, sie ziele bei Werbung für Süßigkeiten, Junkfood oder Softdrinks längst nicht mehr auf Kinder, und Verbote schränkten Wettbewerb und Innovationen ein. Besser wären Ernährungscoachs in Schulen.
Effertz: Bei Kinderwerbung sind Firmen zynisch. Die Kids sollen Zeit in anderen Fächern für Werbekunde opfern? Seit Jahren wollen die Hersteller ihre Werbung freiwillig einschränken, und doch sehen Kinder pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für Ungesundes. Da wird mit Spielzeug geködert, mit Gewinnspielen oder beliebten Figuren. Immer häufiger auch mit digitalen Zusatzgeschenken, die in Form von Skins oder Zubehör in Onlinecomputerspielen eingelöst werden können.
SPIEGEL: Wie sollen Produkte erkannt werden, die sich an Kinder richten, fragt die CDU.
Effertz: Es gibt klare Designelemente, Cartoons etwa und lustig-kindliche Figuren. Kombiniert mit den Nährwertmodellen der WHO für Kinderwerbung lässt sich das klar regeln. Man will ja keine Gummibärchen verbieten, sondern das unfaire Umgarnen der Kinder. Wir können es doch nicht richtig finden, wenn die Jüngsten mit emotional aufgeladenen Werbespots zu übermäßig ungesundem Essen verführt werden, damit Unternehmen damit mehr Gewinne erzielen. Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch zu viel Fett und Zucker kosten unser Gesundheitssystem jährlich über 63 Milliarden Euro. Und in der Kindheit werden die Weichen für die Ernährung gestellt.

Der Weltgeist aus der Maschine
Sie kann Gedichte schreiben, Gemälde generieren, hat zu fast jeder Frage eine Antwort: Künstliche Intelligenz dringt immer tiefer in unseren Alltag und unsere Arbeit vor, oft zu unserem Nutzen. Doch KI ist alles andere als Spielerei. Es geht um Macht und um Milliarden. Ein globaler Kampf ist entbrannt.
Lesen Sie unsere Titelgeschichte, weitere Hintergründe und Analysen im digitalen SPIEGEL.
SPIEGEL: In ihren Selbstverpflichtungen haben sich Lebensmittelhersteller bereits vor Jahren vorgenommen, Werbung für Produkte mit zu viel Zucker, Salz und Fett nur dort auszustrahlen, wo maximal 30 Prozent der Zuschauer unter 13 Jahre alt sind. Warum reicht Ihnen das als Grenze in einem Gesetz nicht?
Effertz: Diese Zuschauerquote ist viel zu hoch gegriffen, der Anteil der Kinder an der Bevölkerung ist weit geringer und Kinder sehen obendrein viele Sendungen für Erwachsene mit, etwa Sportsendungen oder Unterhaltungsshows.
SPIEGEL: Wäre ein Kompromiss denkbar, wenn das klare Verbot in der Ampelkoalition nicht durchkommt?
Effertz: Wenn es eine Quote sein muss, dann sollte sie viel tiefer liegen als 30 Prozent Zuschaueranteil der Kinder. Das wäre dann ein Zugeständnis an die Firmen, bei dem man aufpassen muss, dass die Regelung nicht durch Tricks umgangen wird. Wir haben schon oft Ausweichstrategien von Unternehmen gesehen, wenn Lücken gelassen werden. Daher wäre ich für klare Verhältnisse. Warum sollten wir überhaupt an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel wollen?
SPIEGEL: Lässt sich im Internet und bei Social Media überhaupt gegen Werbeclips ankommen, die Kinder für die leckeren Sünden begeistern?
Effertz: Facebook, YouTube und auch die TV-Sendungen messen ihre Zuschauer genau, sie wissen, wie viele Kinder zusehen und können sie bei Social Media oft sogar direkt identifizieren. Die Analyticsabteilungen dort sind sehr gut. Den Plattformen sollte auferlegt werden, dafür zu sorgen, dass Influencer-Videos und Werbespots für Ungesundes sich nicht an Kinder richten. Wir sollten diejenigen in die Pflicht nehmen, die das Geld machen: Unternehmen, Sender und Social-Media-Anbieter.