Gesundheitsreform Von Holländern lernen

Die Niederlande haben sich zum Jahresanfang vom Doppelsystem aus gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen verabschiedet. Jetzt empfehlen Experten das holländische Modell zur Nachahmung - ist Deutschland doch das einzige Land in Europa, in dem noch beide Systeme parallel existieren.

Berlin - Auf der Suche nach einem Reformkompromiss, der mit den Vorstellungen von SPD und Union vereinbar ist, könnte ein Blick über die Grenze weiterhelfen, raten Experten. Die niederländische Reform sei ein gelungener Kompromiss zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale, sagt Stefan Greß vom Lehrstuhl für Medizinmanagement der Uni Duisburg-Essen. "Aber es hat dort auch 15 Jahre gedauert."

Bis Ende 2005 gab es in Holland für die akut-medizinische Versorgung gesetzliche Krankenkassen, in denen sich jeder Beschäftigte bis zu einem bestimmten Einkommen versichern musste. Wer mehr verdiente, musste sich einer privaten Versicherung anschließen. "Holland war außer Deutschland das letzte europäische Land, in dem es parallel gesetzliche und private Vollversicherungen gab", sagt Greß. Dieses wegen der Ungleichbehandlung von Patienten oft als ungerecht kritisierte Doppelsystem wurde nun aufgelöst. Jetzt müssen privatrechtliche Versicherungen jeden aufnehmen. Die bisherigen öffentlich-rechtlichen Versicherungsträger wurden privatisiert.

Einen Risikoausgleich zwischen den Anbietern gibt es nicht mehr. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) lobt den Wettbewerb, der dadurch zwischen den Versicherern entstanden sei. Von der Reform nicht betroffen sind Langzeit- und Pflegerisiken. Für die Übernahme von Leistungen wie Altenpflege gab es schon vorher eine Bürgerversicherung, die weiterhin alle Niederländer absichert - dieser Teil des Systems ähnelt den ursprünglichen Reformplänen der SPD.

Für die Absicherung akut-medizinischer Risiken zahlt dagegen jeder niederländische Versicherte seit Januar 2006 eine Pauschale von etwa 92 Euro. Der genaue Betrag hängt von der Versicherung ab. Dazu kommt ein Arbeitgeberbeitrag von 6,5 Prozent des Bruttolohns. Auch von Kapitaleinkommen und Mieteinkünften geht dieser Prozentsatz an die Versicherung. Bei Selbstständigen beträgt der zusätzliche Beitrag 4,5 Prozent. Geringverdiener und Arbeitslose müssen die gleiche Pauschale zahlen, werden aber mit Steuermitteln unterstützt. Etwa vier Milliarden Euro werde das den Fiskus pro Jahr kosten, schätzt Greß.

Bei der Steuerfinanzierung sieht der Wissenschaftler auch den Hauptgrund, warum sich das holländische Modell nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen lässt. In Deutschland wäre bei einer vergleichbaren Kopfpauschale ein Zuschuss aus Steuermitteln von 15 Milliarden Euro nötig, sagt Greß. "Das passt nicht in die Landschaft, weil Sparen in Deutschland derzeit Priorität hat." Dennoch sei ein einheitliches Versicherungssystem eine Chance, über die man auch in Deutschland langfristig nachdenken müsse.

Die holländische Reform beschränkte sich nicht auf die Einnahmenseite. Auch die hohen Kosten der Gesundheitsversorgung wurden entschlossen angegangen. Zwischen 2000 und 2003 waren die Ausgaben pro Jahr im Schnitt um alarmierende 7,3 Prozent gestiegen. Daraufhin wurde der Leistungskatalog rigoros gekürzt. Zahnmedizin und psychiatrische Behandlungen müssen nun privat bezahlt oder über eine freiwillige Zusatzversicherung abgerechnet werden. Wer außerdem pro Jahr bis zu 500 Euro selbst übernimmt, senkt damit seine Prämie. Wer die Versicherung ein Jahr lang nicht in Anspruch nimmt, erhält bis zu 255 Euro zurück.

Wettbewerb wird durch die holländische Reform auch zwischen den Ärzten erzeugt. Wer sich als Patient dafür entscheidet, dass seine Rechnung von der Versicherung sofort übernommen werden soll, kann nur zu Ärzten gehen, die von den Versicherungen akzeptiert werden. Dadurch müssten sich die Ärzte nun über gute Qualität und Wirtschaftlichkeit bei den Kassen empfehlen, urteilt das IW: "Der eigentliche Reformschritt in den Niederlanden besteht in der wettbewerblichen Neuausrichtung des Gesundheitssystems."

Sebastian Bräuer, AFP

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