AFFÄREN Gewisse Dinge geregelt
Bleich und mit niedergeschlagenen Augen erhob sich Treuhänder Helmut Gierse, um seinen versammelten Klienten die Wahrheit zu sagen, nichts als die Wahrheit: »Ich kann im Augenblick nichts mehr tun.«
Der gelernte Wirtschaftsprüfer und praktizierende Kapitalanlage-Berater aus Hagen war vor gut drei Dutzend wohlhabende Steuersparer, ausnahmslos Gesellschafter der IWF of Canada Corporation, in die Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer gebeten worden. Der Treuhänder, der gerade erst mit dem Constantin-Filmverleih gescheitert war, gestand seinen Kunden die jüngste Schlappe ein: Ein 90-Millionen-Bau in Kanada schien Anfang November nicht mehr zu retten.
Schlecht für Gierse: Er hatte sich in den letzten Jahren deutschen Anlegern, die sich als Kommanditisten am Shercon Plaza, einem Büro- und Geschäftsbau im Herzen Montreals, beteiligen wollten, als Treuhänder angeboten. Und drei Jahre nachdem der erste Spatenstich gefeiert wurde, stehen von den geplanten 27 Stockwerken nur die Tiefgaragen -- und das Eigenkapital ist verbaut.
Niemand kann den Shercon-Gesellschaftern sagen, wo ihre 30 Millionen Mark Kommanditkapital geblieben sind. Sogar das Grundstück in Montreal gehört ihnen nur bedingt: Es ist erst zu einem Bruchteil bezahlt und fällt im Konkursfall an den Verkäufer zurück.
Der Komplex schien Anfang November so brüchig, daß zur letzten Gesellschafter-Versammlung eigens der Geschäftsführer der IWF of Canada Corporation Ltd. Montreal Beteiligungs- und Betriebs-KG -- so heißt Gierses Empfehlung -- angereist kam. Er brachte zwei Nachrichten mit, eine gute und eine schlechte.
Die gute: Das Shercon Plaza sei neu konzipiert, statt Büros würden nun staatlich geförderte Wohnungen gebaut; und für dieses neue Konzept sei die Finanzierung über Hypotheken und Bürgschaften gesichert.
Die schlechte Nachricht: Die Stadt Montreal würde in drei Tagen die Baugrube zuschütten, wenn nicht neues Kapital aus Deutschland überwiesen würde. Deshalb müßten die Gesellschafter unverzüglich mindestens weitere zwei Millionen Mark aufbringen.
Da wurden unter den verbitterten deutschen Anlegern -- einige von ihnen hatten Millionen für Montreal überwiesen -- erste Rufe nach dem Staatsanwalt laut. Wenn ihre Gesellschaft schon in Konkurs ginge, dann wollten sie wenigstens wissen, was der
* Mit Schauspielerin Senta Berger.
Treuhänder mit ihren Millionen angefangen habe.
Für manche hatte das Abenteuer Kanada mit einem Anlagetip eben dieses Treuhänders, der sie zuvor schon als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater betreute, begonnen. Andere waren -- wild entschlossen, Steuern um jeden Preis zu sparen -- den prahlerischen Prospekten der IWF of Canada und den Abschreibungsprofis der Finanzberatungs-Gesellschaft Consulta, die das Kapital einsammelten, erlegen.
Das »beste Bauwerk der Welt«, versprach die Werbung für das Shercon Plaza, würde mit deutschem Geld in Montreal errichtet. Kanadische Partner hätten Hypothekendarlehen zugesagt, die Vermietung sei gesichert.
In der Begeisterung für das Abschreibungsprojekt im fernen Kanada schien sich keiner der Gesellschafter an den Millionen zu stören, die -- sogar laut offiziellem Shercon-Prospekt -- gleich vorab von den Initiatoren des Objektes eingestrichen wurden.
Von der gesamten Investitionssumme (39,5 Millionen kanadische Dollar) wurden nur rund 23 Millionen Dollar als Baukosten ausgewiesen. Fast vier Millionen Dollar blieben -- für Gründer, Berater und Kapitalbeschaffer -- bei der Gesellschaft in Deutschland. Weitere Millionen flossen für die wirtschaftliche Betreuung und so dubiose Posten wie Stand-by-fees nach Kanada.
Dafür wurde aber den Anlegern im Prospekt um so ungenierter »Sicherheit, Rentabilität und Wachstum« zugesichert.
Als reisefreudige IWF-Gesellschafter ihren Wunderbau im Frühjahr in Augenschein nehmen wollten, konnte davon kaum noch die Rede sein: Auf der Baustelle rührte sich nichts mehr.
Treuhänder Gierse, Shercon-Architekt Max R. Wenner aus Wuppertal und Kapitalbeschaffer Erwin Walter Graebner, Chef der Consulta, zeigten unverzüglich Entsetzen an.
»Fehler beim Management in Kanada« hat Graebner rückblickend analysiert. Auch Gierse und Wenner sehen die Schuldigen ganz klar in Übersee. Gierse: »Ich habe korrekt nach Anforderung die deutschen Gelder überwiesen; ob die dann drüben richtig eingesetzt wurden, brauchte ich nicht zu kontrollieren.«
Wenner allerdings, konzediert Gierse, hätte vor Ort die Mittelverwendung überwachen können, da er mit kanadischen Partnern liiert sei. Und im übrigen habe sich auch Herr Graebner verkalkuliert; das gezeichnete Eigenkapital sei nicht immer rechtzeitig nach Kanada geflossen, dadurch habe nicht weitergebaut werden können, und die Fremdfinanzierung sei geplatzt.
Der Zorn einiger Gesellschafter jedoch richtet sich eher gegen Gierse selbst. Viele fühlen sich geprellt, weil sie sich nur im Vertrauen auf die von Gierses Vater gegründete Dr. rer. Pol., Dr. jur. Gierse Treuhand KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an die heikle Beteiligung in Übersee gewagt hätten.
Zudem argwöhnen einige Kommanditisten des IWF (Institut für Wirtschaftsförderung), Gierse habe ein paarmal zuviel an ihnen verdient, nicht nur als Berater und Treuhänder. Am Ende sei er vielleicht gar Miteigentümer der IWF-Muttergesellschaft, der IWF AG in Zürich. Diese Gesellschaft aber sei für das Debakel letzten Endes verantwortlich. Zwar bestreitet Gierse heftig, daß er IWF-Aktionär sei; daß er es früher einmal war (und zwar noch zu der Zeit, als er Shercon-Treuhänder wurde), dementiert er so eindeutig nicht. Er gibt auch zu, daß er »als Vertrauensperson« der Holding »gewisse Dinge für das IWF geregelt, Aufträge gebracht und auch schon mal Mitarbeiter eingestellt« habe.
»Das war mein Fehler«, ahnt der vielseitige Wirtschaftsprüfer, »ich habe mich immer zuviel für das IWF engagiert.«
Ansonsten hält Gierse die Tatsache, daß er »in den letzten zwei Jahren ins Zwielicht geraten« sei, eher für schicksalsbedingt. »Das ist eine Pechsträhne.«
Mit seinen Augen gesehen, war es in der Tat eine ganze Menge Pech. Nichts wollte ihm mehr glücken, seit die Gainsborough Cosmetica Beauty Products GmbH & Co. KG Pleite machte. Gainsborough, über das IWF finanziert, von Gierse als Renditeobjekt deutschen Anlegern angeboten, scheiterte wegen Mißmanagement -- trotz der erfinderischen Sanierungsversuche des Finanzberaters Gierse.
Wenig erfolgreich operierte Berater Gierse auch in anderen IWF-Fällen, etwa bei der Berliner Ideal Watte KG Sympathie Verbandstoff GmbH & Co. Die Watte löste sich in wirtschaftliches Nichts auf, die Firma ging krachend in Konkurs.
Vor allem aber beklagt Gierse sein Pech mit dem Constantin-Filmverleih, wo ihm der Saft- und Spirituosenfabrikant Ludwig Eckes »in letzter Sekunde« ein vernünftiges Sanierungskonzept für die marode Firma zerschlagen habe (SPIEGEL 46/1977).
Die Constantin-Pleite, findet Gierse, sei für ihn das Schlimmste. »Das ist mein Waterloo.« Grollend zog sich der geschlagene Filmherr inzwischen aus einer weiteren Gesellschaft zurück, dem Filmstudio Havelchaussee in Berlin.
Gierses Abschied von Montreal wird sich dagegen noch ein wenig verzögern. Die Baugrube des Shercon Plaza ist noch immer nicht zugeschüttet, und der kanadische Bauunternehmer will sich angeblich mit einer Million Dollar selbst an dem Werk beteiligen.
Und auch die Kommanditisten zeichnen inzwischen wieder nach -- obwohl niemand bislang die Höhe der Schulden in Kanada kennt, obwohl die Renditeberechnungen nur mit zahlreichen Unbekannten aufgehen und obwohl Consulta-Mann Graebner klarsichtig bereits die letzte Gesellschafter-Versammlung als ein Schauspiel erkannte, »wo schon alle tot sind«.
Gierse bietet inzwischen unverdrossen Hilfe und Beteiligung an. Doch sein Vertrauenskapital scheint dünn.
»Von Ihnen«, so beschied ihn unlängst ein Mitglied des Gesellschafter-Beirats, »brauche ich mehr als eine Unterschrift.«