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DDR/SCHMUGGEL Glatt durchgewinkt

Große Mengen von Zigaretten und Alkohol gelangen unverzollt über die deutsch-deutsche Grenze in den Westen. Gewinn machen dabei nicht nur die Schmuggler, sondern auch die DDR.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Drei Kilometer hinter dem DDR-Kontrollpunkt Drewitz verließ der westdeutsche Fernfahrer Heiner Müller* mit seinem Lastwagen die Transitstrecke West-Berlin-Helmstedt und rollte in Richtung Babelsberg anstatt ins Bundesgebiet.

Nur wenige Minuten später setzte sich ein silbergrauer BMW 2500 mit DDR-Kennzeichen vor den Abweichler. Der gesamtdeutsche Zweier-Konvoi fuhr zu einem Lagerhaus in der Nähe des DDR-Bahnhofs Drewitz.

Dort wurde der in West-Berlin angebrachte Zoll-Verschluß des Lkw aufgebrochen. Nicht viel mehr als eine * Name von der Redaktion geändert.

Stunde dauerte es, bis Helfer den Laderaum vollgepackt hatten -- mit sieben Millionen Zigaretten der Marken Marlboro und Muratti.

Heiner Müller klemmte sich wieder hinter das Steuer und fuhr gen Westen. Zuvor hatte er das Fahrtenschreiberblatt ausgewechselt: Er wollte bei der Kontrolle wegen des langen Halts in der DDR nicht auffallen.

Doch die DDR-Grenzer ließen ihn passieren, ohne -- wie üblich -- einen Blick auf seine Papiere zu werfen.

Auch die bundesdeutschen Zöllner in Helmstedt winkten Heiner Müller weiter, nachdem sie den Warenbegleitschein geprüft hatten. Anlaß zu einer Inspektion des Lasters sahen sie nicht, denn laut Urkunde bestand die Ladung aus leeren Kisten und Flaschen.

In Wahrheit fuhr der angebliche Flaschentransporteur in besonderen deutsch-deutschen Geschäften: Seit Jahren, so haben westdeutsche Zöllner herausgefunden, bessert die Ost-Republik ihre Devisenbestände, als Helfershelfer, wenn nicht sogar als Auftraggeber. beim Schmuggel von hochprozentigem Alkohol und Zigaretten auf.

In einem nur für den »internen Dienstgebrauch« bestimmten Erfahrungsbericht des Kölner Zollkriminalinstituts (ZKI) gaben die Fahnder zu Protokoll: »Es steht fest, daß die hier praktizierte Schmuggeltechnik nur dadurch reibungslos funktioniert, weil Stellen in der DDR eingeschaltet sind, die diese kriminellen Vereinigungen wirkungsvoll unterstützen, zum Beispiel durch Verschlußmanipulationen, Be- und Entladung in DDR-Transitlagern, bevorzugte Abfertigung der Transporte durch DDR-Grenzorgane.« Die Ermittler diplomatisch-vorsichtig weiter: »Die Grenzabfertigung vollzieht sich in allen Fällen bemerkenswert reibungslos und ohne die üblichen Kontrollen. Es spricht vieles dafür, daß die DDR-Grenzorgane in diesen Fällen entsprechende Anweisung erhalten.«

Auch die vom Bundeszoll gestellten Schmuggelfahrer berufen sich immer wieder auf ostdeutsche Beihilfe.

»An dem Kontrollpunkt der DDR«, so ein Alkohol-Schmuggler bei seiner Vernehmung, »wurde ich von Uniformierten aus der Kolonne gezogen. Dann wurde ich in das dort stehende Verwaltungshochhaus dirigiert.« Nachdem er »von zwei Zivilisten, einer davon hinkte«, aufgefordert worden sei, hinter ihrem Pkw her zur Raststätte Michendorf zu fahren, hätten die beiden seinen Lkw übernommen. Der Chauffeur: »Ich wurde aufgefordert, in der Raststätte zu essen, was ich auch tat. Nach etwa eineinhalb Stunden kam der Lkw beladen zurück.«

Und ein anderer behauptete: »Das war alles mit der DDR vereinbart, das Sesam-öffne-dich-Spiel geht ja gar nicht ohne die.«

Was die Zolldetektive in mühseliger Kleinarbeit ausklamüserten, ist für die Politiker in Bonn indes kein Thema. Die Bundesregierung scheute sich bislang, in Ost-Berlin gegen die undurchsichtigen Umtriebe auf DDR-Territorium zu protestieren. Offizielles Argument: Solange die Beteiligung ostdeutscher Stellen nicht vor einem Gericht bewiesen sei, habe man auch keine Handhabe, dagegen vorzugehen.

Das könnte sich bald ändern, wenn das Urteil einer Darmstädter Wirtschaftskammer gegen die Inhaber einer Spirituosenfabrik im hessischen Heusenstamm vorliegt, die aus der DDR eingeschmuggelten Sprit verarbeitet und abgesetzt hatten.

»Die standen Kopf«, schildert der Leiter der Frankfurter Zollfahndung, Ernst Eckstein, die Reaktion im Bundesfinanzministerium auf das Verfahren. Die Ministerialbeamten hätten anfänglich gar nicht glauben wollen, daß die DDR an dem Schmuggelgeschäft beteiligt gewesen sein könne.

Doch das Techtelmechtel zwischen ostdeutschen Kommunisten und westdeutschen Schmugglern bietet der chronisch devisenschwachen DDR nicht nur gute Gelegenheit, ihre Kassen zu füllen; auch die Schnapsbrennereien in Ostdeutschland wie den anderen sozialistischen Staaten erschließen sich über den Schmuggel die sonst für Ost-Alkoholbetriebe unerreichbare West-Mark. Legaler Export von Sprit in die Bundesrepublik ist nämlich wegen einschlägiger Einfuhrvorschriften nur in Ausnahmefällen möglich.

Die Schmuggler lassen sich von den hohen Alkoholpreisen der Bundesmonopolverwaltung reizen, die den Liter Rohalkohol für über 20 Mark inklusive der Branntweinsteuer an die Spirituosenfabrikanten verkauft. In der DDR und anderen Ostländern dagegen kann der Liter zu Preisen zwischen 80 Pfennig und einer Mark erworben werden, der dann -- unversteuert -- an Destillateure teilweise für mehr als zwölf Mark weiterveräußert wird.

Kein Wunder, daß bei diesen Preisunterschieden der Schmuggel an der innerdeutschen Grenze blüht, zumal sich bei Honoraren bis zu 12 000 Mark pro Tour leicht Fahrer finden lassen.

Allein 1977 stellten die Zöllner insgesamt 23 900 Liter Äthylalkohol sicher und wiesen überdies, so die ZKI-Untersuchung, »den Schmuggel von weiteren 54 000 Litern Alkohol in den Jahren 1975 und 1976 nach«. Seit 1969 seien insgesamt. 1 287 000 Liter Sprit unverzollt in den Westen gelangt. Bei einer Gewinnspanne von elf Mark je Liter ein Profit von immerhin über 14 Millionen Mark. Schaden für den Fiskus: rund 18 Millionen.

Sicherstellen konnten die Fahnder in den knapp zehn Jahren nur 211 000 Liter. Weil sich oft die Laster an den Grenzübergängen stauen, sind die Beamten kaum in der Lage, die Lkw gründlich in Augenschein zu nehmen.

»Es ist doch das Suchen der Nadel im Heuhaufen«, resigniert Ministerialrat Nikolaus Haberland aus dem Finanzministerium, »wenn man sich vorstellt, welche Anzahl von Fahrzeugen jeden Tag die Zollstellen passiert.«

Zudem sind die im Transitverkehr gebräuchlichen Plomben-Verschlüsse leicht zu öffnen und auch wieder so herzurichten, daß die Manipulation bei flüchtiger Kontrolle nicht zu erkennen ist. So flog denn auch am 8. Juni dieses Jahres eine Gang erst auf, als sie bei Dieburg Schmuggelzigaretten von einem Transit-Lkw auf einen österreichischen Laster umlud.

Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen eine kriminelle Vereinigung, die von Oktober 1976 an bei mehr alt 15 Transporten rund 100 Millionen Zigaretten, derzeit bevorzugtes Schmuggelgut, auf den Transitstrecken durch die Bundesrepublik nach Italien »einschwärzte« (Zöllner-Jargon).

Darmstadts Leitender Oberstaatsanwalt Friedrich Hoffmann: »Die Lastzüge wurden, nach Aussagen der Fahrer, bei der DDR-Ausreise glatt durchgewinkt.«

Die Bande, so die Erkenntnisse von Staatsanwalt Andreas Rammelmeyer, wurde von Italien aus gesteuert und schmuggelte nach der Maxime: »Der Zoll soll die Ware aus den Augen verlieren« (Finanz-Ministerialdirektor Hans Hutter).

Die bei den Schweizer Fabriques de Tabac Réunies SA. zum Einkaufspreis von zwei Pfennig pro Stück georderten Zigaretten der Marken Marlboro und Muratti wurden zunächst unverzollt und unversteuert in die DDR nach Drewitz transportiert. Dort luden Helfer die Zigaretten auf Ford-Sattelschlepper um, die aus West-Berlin mit Tarnfracht, wie Tonerde oder Reifenkarkassen, losgefahren waren. Unter falscher Deklarierung wurden die Zigaretten ins Bundesgebiet eingeschleust.

Dann gab es für die Schleichhändler kaum noch Hindernisse. Über offene Grenzen gelangte die Ware auf österreichischen Lkw ohne Anstände nach Mailand oder Verona. In Italien war dann die Zollabfertigung lediglich Formalität: Genau kontrolliert wird nur Fracht aus Nicht-EG-Ländern. Häufig narrten die Transporteure die Behörden auch mit gefälschten Frachtpapieren.

Der Umweg über die DDR schmälerte nach den Ermittlungen den Schmuggelgewinn von 300 000 Mark pro Fuhre um 35 000 Mark, die von den ostdeutschen Helfern als Gebühr für ihre guten Dienste kassiert wurden.

Ähnliches spielte sich auf der Route nach Frankreich ab. Wie die Zollexperten in ihrer Studie niederlegten, kann in dieser Richtung »bei einer durchschnittlichen Schmuggelware von sechs Millionen Stück pro Fahrt davon ausgegangen werden, daß hier zirka 200 Millionen Stück Zigaretten in den EG-Bereich eingeschmuggelt wurden«.

Die Zollfahnder vermuten überdies, daß die DDR den Zigaretten-Schmugglern nicht nur als Umschlagplatz dient. Möglicherweise gelangten auch von DDR-Firmen in Lizenz produzierte Zigaretten westlicher Marken illegal in die EG.

Über die Hintermänner des Zigaretten-Schmuggels sind sich die Zöllner noch nicht im klaren -- gefaßt wurden bislang nur Fahrer und Spediteure. ZKI-Referent Walter Hermsdorf: »Hier sind wir noch ganz am Anfang.«

Die Drahtzieher des Sprit-Schmuggels sind dem Zoll hingegen bekannt. Einer von ihnen, ein Österreicher, von Insidern als »Verbindungsoffizier zu den Ostdeutschen« charakterisiert, lieferte den Zöllnern ein Indiz für die Beteiligung von DDR-Kommunisten am Schmuggel: Zahlreiche von ihm in einer niederländischen Firma gekaufte und zum Alkohol-Transport verwendete farbige Plastikfässer landeten später im Lager der früheren Reichsmonopolverwaltung in Drewitz -- dorthin gebracht von der staatlichen Speditionsfirma VEB Deutrans.

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