Rücksicht auf Konzerne Forscher warnen vor Ausnahmen bei der Mindeststeuer

Die globale Steuerreform ist beschlossen, doch um ihre Details wird noch gerungen. Eine neue Studie zeigt: Geplante Verschonungsregeln könnten die Einnahmen deutlich reduzieren – und am Ende Steueroasen helfen.
Die Mindeststeuer ist noch nicht in Stein gemeißelt – im Gegensatz zu dieser Inschrift an der US-Bundessteuerbehörde

Die Mindeststeuer ist noch nicht in Stein gemeißelt – im Gegensatz zu dieser Inschrift an der US-Bundessteuerbehörde

Foto: ANDREW KELLY / REUTERS

Auf einen Gipfel folgen oft die Mühen der Ebene. So ist es auch bei der sogenannten Mindeststeuer, zu der sich Anfang Juli die G20-Staaten bei einem Treffen in Venedig bekannten. Insgesamt gut 130 Finanzminister unter Führung der Industrieländerorganisation OECD haben sich darauf geeinigt, dass Unternehmen künftig mindestens 15 Prozent Steuern zahlen sollen. Werden diese im Ausland nicht erreicht, so können die Heimatstaaten der Konzerne nachkassieren.

Zu der historischen Einigung müssen bis Oktober aber noch viele Details geklärt werden. Dazu gehört nicht zuletzt die Frage, worauf die Mindeststeuer tatsächlich erhoben wird.

Denn die 15 Prozent werden nicht auf jeden Euro erhoben, den eine Firma verdient. Der Beschluss von OECD und G20  sieht vor, dass Unternehmen ihre Bemessungsgrundlage reduzieren können. Diese sogenannten carve-outs könnten die Einnahmen aus der Mindeststeuer erheblich mindern. Das zeigen Berechnungen der neuen EU-Steuerbeobachtungsstelle unter Leitung des Experten Gabriel Zucman, die am Dienstag veröffentlicht werden. Die Ausnahmen könnten »die Effektivität der Regeln wesentlich verringern«, heißt es in der Analyse.

Zahlt ein deutscher Konzern in einem anderen Land nur fünf Prozent, so müsste er daheim eigentlich zehn Prozent nachzahlen. Diese Summe könnte er laut dem Beschluss aber mithilfe von zwei Faktoren reduzieren: Gehaltszahlungen und materielle Vermögenswerte im Ausland, zu denen etwa Maschinen oder Grundstücke gehören. Davon sollen mindestens fünf Prozent des Buchwerts von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. In den ersten fünf Jahren nach der Einführung würden sogar 7,5 Prozent verschont.

Zucman und seine Mitarbeiter berechneten nun, wie stark diese Ausnahmen die Einnahmen der EU verringern würden. Bei einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent würde das Steueraufkommen demnach um 15 Prozent schrumpfen. Das entspricht insgesamt rund sieben Milliarden Euro im Jahr, für Deutschland wären es rund 900 Millionen Euro. In den ersten fünf Jahren läge das Minus sogar bei 23 Prozent.

Noch höher könnten die Verluste ausfallen, würde in der EU eine höhere Mindeststeuer gelten. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent würden sich die Einnahmen um 21 Prozent reduzieren. Kurzfristig betrügen die Mindereinnahmen sogar fast ein Drittel (31 Prozent).

Investitionen statt Briefkästen?

Ganz ohne carve-outs werde es keine globale Einigung geben, hatte OECD-Chefverhandler Pascal Saint-Amans vorab geworben. Gerechtfertigt werden die Verschonungsregeln auch damit, dass sie jenen Teil der Unternehmensgewinne schützen, der auf realer wirtschaftlicher Aktivität beruht. Damit unterscheiden sie sich von sogenannten immateriellen Vermögenswerten wie Patenten oder Lizenzen, mit deren Hilfe Unternehmen bislang Gewinne oft geschickt zwischen verschiedenen Ländern verschieben. Solche Tricks würden tatsächlich auch mit den carve-outs bekämpft, schreiben die Wissenschaftler um Zucman. Denn wenn ein Unternehmen Gewinne in ein Land ohne echte ökonomische Aktivität verschiebt, profitiert es nicht von den Vergünstigungen.

Dafür könnten die Regeln aber einen anderen Effekt haben: Wo Konzerne bislang nur einen Briefkasten mieten, investieren sie jetzt wirklich, um weiter von niedrigen Steuersätzen zu profitieren. Die Regeln würden den »Steuerwettbewerb verschärfen, indem sie Firmen Anreize geben, reale Aktivitäten in Steueroasen zu verlagern«, warnen die Wissenschaftler.

Sollten die Ausnahmen für die Mindeststeuer zu groß werden, so könnte das die Unterstützung für die globale Steuerreform schwächen – zumal diese bereits wegen ihres zweiten Elements in der Kritik steht: Die größten und profitabelsten Konzerne sollen künftig verstärkt in jenen Ländern besteuert werden, in denen sie ihr Geld verdienen. Dieser Plan zielte ursprünglich besonders auf US-Digitalkonzerne ab. Mittlerweile zeichnet sich aber ab, dass etwa der Versandhändler Amazon nicht unter den 100 betroffenen Konzernen sein wird. Großbritannien dringt zudem auf eine Ausnahme für seinen Finanzsektor.

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