KAPITALMARKT Goldene Nasen
Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giro-Verbandes, fürchtet sich vor einem »großen Kladderadatsch an den Kapitalmärkten«, und Joachim Kirchhoff, Anleihen-Chef bei der Commerzbank, sieht die deutsche Börse in wenigen Jahren immerhin vor »bisher nicht bekannte Finanzierungsprobleme« gestellt.
Grund für die Ängste der beiden Geldprofis ist der kaum noch stillbare Finanzierungshunger der öffentlichen Hand. Wenn Bundesfinanzminister Hans Apel nächstes Jahr ein ähnlich hohes Staatsdefizit wiederum durch Ausgabe kurzfristiger Anleihe-Papiere finanzieren will, befürchten Kapitalmarkt-Kenner einen Zusammenbruch des Anleihe-Marktes.
Schon länger nämlich beobachten Banken und Sparkassen, daß sich Geldanleger aus Furcht vor einer inflationären Staatsverschuldung -- mit der Folge fallender Anleihe-Kurse -- nur noch auf den Kauf von Papieren mit ganz kurzer Laufzeit einlassen. Heinz Haferkamp, Anleihen-Chef in Ludwig Poullains Westdeutscher Landesbank: »Kurzläufer sind der große Renner.«
Eine Rückkehr auf die sonst üblichen Langläufer von über fünf Jahren können sich die Anleihe-Experten schon kaum noch vorstellen. Bayern-Hypo-Manager Wilhelm Pfeiffer: »Es ist ein Trugschluß, anzunehmen, daß sich ein Rentenkäufer schnell wieder in längere Anlage-Laufzeiten kommandieren läßt.«
Läßt er sich nicht kommandieren, droht noch in diesem Jahrzehnt der Infarkt. Schon in den Jahren 1978/79 sieht Bayer Pfeiffer die ersten riesenhaften Umschuldungswellen anbranden. Die auf Kurzläufer gebauten Milliarden-Schuldender öffentlichen Hand werden dann fällig -- und müssen neu finanziert werden. Commerzbank-Kirchhoff: »Ein rotierender Schuldenberg.«
Schon innerhalb der nächsten vier Jahre werden festverzinsliche Wertpapiere im Volumen von 30,8 Milliarden Mark fällig. Frühzeitig begannen sich daher deutsche Großbanken -- um sich selber und ihre Auslandskundschaft vor drohenden Kursverlusten zu schützen -- von den Langläufern unter ihren Anleihe-Papieren zu verabschieden. Erstmals wieder seit einem Jahr bröckelten deshalb im Sommer die Kurse der Festverzinslichen ab -- und im gleichen Zug verbesserte sich die Rendite der Papiere.
Durch den plötzlichen Zinsauftrieb sah sich Bonns Kassenwart Hans Apel damals vor die Entscheidung gestellt, seine Bundesanleihen zu höherem Nominalzins auf den Markt zu bringen -- oder die Bundesbank walten zu lassen. Der Minister entschied sich für den einstweilen bequemeren Weg: Er erbat und erhielt Flankenschutz von der Bundesbank. Für fast acht Milliarden Mark ließ Notenbank-Chef Karl Klasen Staatspapiere kaufen.
Mit so klotzigen Stützungskäufen gelang es den Bundesbankiers zwar die Durchschnittsrendite der öffentlichen Anleihen vier Monate lang bei 7,5 Prozent einzufrieren. Aber auf nicht manipulierten Märkten -- etwa bei den Bankschuldverschreibungen -- stieg die Effektiv-Verzinsung zur selben Zeit schon auf 8,6 Prozent an -- ein künstliches Zinsgefälle, das sogleich zu Tauschoperationen lockte.
Tauschwillige Geldanleger schwemmten nun so viel Papiere auf den Markt, daß die Bundesbank vorletzte Woche ihre Kurspflege abrupt beendete. Noch am gleichen Tag brach die vermutete Anleihe-Baisse aus und drückte den Kurs beispielsweise der erst im Juni zu 98,75 Prozent ausgegebenen Bundesanleihe (fester Jahreszins acht Prozent) bis auf 97,5.
Nun müssen Apels Schuldenmanager, wollen sie neues Geld mobilisieren, doch etwas drauflegen. »Die nächste Bundesanleihe kann nach vier Monaten Emissionspause nur dann ein Schlager werden«, vermutet Anleihe-Manager Karlheinz Reiter von der Deutschen Bank, »wenn Bonn den Geldanbietern endlich 8,5 Prozent Jahreszins bewilligt.«
Bonn wird wohl müssen. Würde nämlich die nächste Staatsanleihe (geplante Höhe 500 Millionen Mark) hängenbleiben, geriete der Kapitalmarkt noch weiter aus den Fugen, und Finanzminister Apel müßte seine Etatdefizite immer kurzatmiger mit immer schnelleren Schuldscheinen ausgleichen -- Musterfall einer unsoliden und inflationären Haushaltsfinanzierung.
Seit die Bundesbanker den Anleihe-Markt wieder freigaben, kommt nun auch die Aktienbörse in Bewegung. Schon eine Woche nach dem Abbruch der Notenbank-Interventionen schossen die Kurse vieler Standardpapiere bis zu zehn Mark höher. In drei Branchen -- Autos, Kaufhäuser und Stahl -- erreichten sie Jahreshöchstwerte.
Ausländer, die ihre festverzinslichen Papiere rechtzeitig verkauft haben, griffen abrupt nach deutschen Aktien. Freut sich Wolfgang Reuter, Geschäftsführer beim Unifonds, dem größten deutschen Aktienfonds: »Die zurückgehaltenen Gelder kommen nun wieder an den Markt und strahlen auf die ganze Börse aus.«
Heinz Berg, Börsenchef der Bank für Gemeinwirtschaft, sieht »grün auf den Kursampeln« -- und Marktchancen für ganz Spezielles: »Die Großbanken haben sich mit ihren tollen Margen goldene Nasen verdient.« Auch Stahl- und Chemie-Aktien will Berg favorisieren. Unifonds-Reuter verströmt Zuversicht quer über die Branchen: »In den nächsten zwölf Monaten sind noch einmal die gleichen Kursgewinne drin wie in den letzten zwölf.«
In den letzten zwölf Monaten sind die Kurse deutscher Aktien um 35 Prozent gestiegen.