ANGESTELLTE Großes Loch
Den einen sind sie Lebewesen niederster Ordnung, den anderen erscheinen sie als sagenhafte Helden. Einen »gut manipulierbaren Spaltpilz« nennt der DGB Westdeutschlands leitende Angestellte; das industriegeneigte »Handelsblatt« vergleicht sie lieber mit einem »modernen Odysseus, der immer zwischen der Scylla des Arbeitgebers und der Charybdis des Betriebsrats pendelt«.
Auch die Pendler selbst wissen sich nicht so recht einzuschätzen. »Freischwebende Künstler« wollen sie keinesfalls sein. Eher schon sagt die Rolle des »Mittlers zwischen Kapital und Arbeit« zu -- was immer damit gemeint sein mag.
Um so emsiger bemühen sich die Standesvertreter um Ansehen und Aufmerksamkeit. Kaum hatte die sozialliberale Koalition ihr Mitbestimmungsmodell bekanntgegeben, das den Leitenden einen Sonderstatus in den Aufsichtsräten garantiert, meldeten sie neue Profilierungswünsche an.
»Die Union der Leitenden Angestellten« (Ula), ließ sich ihr Standesverband vernehmen, »erwartet vom Gesetzgeber korrespondierende Maßnahmen für die Betriebsverfassung.« Damit ihre Repräsentanten im Aufsichtsrat den »notwendigen Unterbau« bekommen, müsse ihr Status im Betrieb durch eine eigene, dem Betriebsrat ähnliche Institution abgestützt werden. Genau das aber haben Gewerkschaften und Sozialdemokraten bisher verhindert. Als 1972 das Betriebsverfassungsgesetz novelliert wurde, weigerten sich Bonns regierende Genossen, den leitenden Angestellten eine eigene Interessenvertretung einzurichten. Die Gewerkschaften fürchteten, daß ein per Gesetz vorgeschriebener Rat der Leitenden das »Vertretungsmonopol« (DGB) der Räte brechen könnte.
Die Leitenden gaben dennoch nicht auf. Zumeist mit Unterstützung ihrer Ula bauten sie in den Betrieben sogenannte Sprecherausschüsse auf, die der DGB als »Vertretungsorgane minderer Qualität von der Gnade der Arbeitgeber« abtat.
Ohne das Wohlwollen der Vorstandsetage geht in der Tat kaum etwas: Die Sprecherausschüsse haben keinerlei gesetzliche Mitbestimmungsrechte. Ihre Befugnisse richten sich vielmehr laut einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts nach den freiwilligen Zugeständnissen ihrer Arbeitgeber.
Deren Konzessionsbereitschaft aber ist begrenzt. Billigen sie ihren Managern allzu viele Rechte zu, riskieren sie Krach mit den Betriebsräten« die vom DGB aufgefordert wurden, »den Spaltungsversuchen der Standesorganisationen entgegenzutreten«.
Die Ula« die knapp zehn Prozent der 500 000 Leitenden vertritt, kam denn auch nicht recht weiter. Nur in etwa 200 der über 600 Großunternehmen, in denen die Mitbestimmung eingeführt werden soll, existiert ein Sprecherausschuß.
Erfolgreich waren die Ula-Funktionäre bislang nur in der Chemiebranche. In etwa 70 Betrieben haben sie inzwischen ihre Ausschüsse einrichten können. Schon in der Metallindustrie, gibt Ula-Mann Hanns Meenzen zu, »kommt das große Loch«.
Wo sie den Manager-Funktionären deren Sondervertretungswünsche aus eigener Kraft nicht abschlagen konnten, ließen sich die Gewerkschafter von Arbeitsrichtern helfen. Da das Betriebsverfassungsgesetz nur sehr verschwommen definiert, wer zur Kaste der Leitenden zählt, bestanden sie in jedem Zweifelsfall auf einer gerichtlichen Klärung. Wenn das Prädikat »leitend« nur wenigen zukommt -- so hatten sich die Arbeitervertreter ausgerechnet -, müßten alle Ula-Versuche schon mangels Masse scheitern.
Allein die IG Metall strengte etwa 3500 Prozesse an. Siegreich waren die Funktionäre vor allem in der Automobilindustrie. Bei den Kölner Fordwerken etwa wurden 800 Führungskräfte wieder degradiert. Von ursprünglich 1300 dürfen sich jetzt nur noch 432 mit dem Titel »leitend« schmücken. Den Managern der Daimler Benz AG droht ähnliche soziale Demontage.
Die Urteilssprüche der Richter hatten für die Gewerkschaften einen wohltuenden Nebeneffekt: Je exklusiver der Zirkel der Leitenden, um so besser stehen die Chancen, selbst unter den besser bezahlten Angestellten Einfluß zu gewinnen. »Die Durchschlagskraft der Gewerkschaften«, weiß DGB-Angestellten-Sekretär Caspar von Stosch, »hängt zunehmend von den Angestellten ab.«
Das Verhältnis zu den Gehaltsempfängern ist auch nach dem Urteil der Gewerkschafter noch immer gestört. Eine Studie des Infas-Instituts ergab, daß die Mehrheit der Angestellten nach wie vor auf Distanz zu den Funktionären Wert legt. Zwar halten sie die Arbeiterorganisation für erforderlich. Doch nur wenige glauben, daß ihnen eine Mitgliedschaft persönliche Vorteile verschaffen könnte.
Auch die Ula-Funktionäre freilich wissen, daß sie bei den höheren Chargen erst ankommen, wenn sie in den Betrieben organisierten Einfluß aufbieten können.
Die von den Gewerkschaften attackierten und den Arbeitsgerichten dezimierten Standesvertreter fürchten überdies neue Rückschläge. Der im geplanten Mitbestimmungsgesetz vorgesehene Arbeitsdirektor, argwöhnen sie, könnte ihre Klientel weiter verunsichern. Denn das für die Personalpolitik zuständige Vorstandsmitglied könnte -weil auf die Sympathie der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat angewiesen -- dem Klub der Leitenden nicht gerade gewogen sein.
Vor allem die Erfahrungen, die sie in der seit 25 Jahren mitbestimmten Bergbaubranche machte, verstärkt die Ängste der Ula. Bei den Zechen nämlich sind etwa 50 Prozent der Leitenden der Ula angeschlossen, ebensoviel gehören der Gewerkschaft Bergbau an. Doch Einfluß hat allein die Bergbau-Gewerkschaft; Ula-Funktionäre brachten nicht einen einzigen Sprecherausschuß zustande.