Natur in kleinen Dosen Wie viel Natur steckt in Naturkosmetik?

Grüne Kosmetik: Was ist daran wirklich Natur?
Foto: MICHAEL PROBST/ ASSOCIATED PRESSAnti-Aging-Straffungskur. Faltenfüller. Mousse Make-up. Men Active Aftershave Lotion. Sunless Bronze Selbstbräunungslotion. Body Contouring Anti-Cellulite Gel. All die schicken Namen lassen an die Hightechprodukte großer Kosmetikkonzerne denken. Aber die Tiegelchen und Tübchen stehen in einem Drogerieregal mit der Aufschrift "Natur-Shop".
Calendulacreme und Olivenölseife, das war gestern. Grüne Kosmetik bietet heute sehr vieles von dem, was die konventionelle Konkurrenz auch herstellt. Grüne Kosmetik ist angesagt. Sie ist "der Motor des gesamten Kosmetikmarkts", so Elfriede Dambacher, die vierteljährlich den "Naturkosmetik Branchenmonitor" herausgibt. 920 Millionen Euro Umsatz erzielte der Wirtschaftszweig hierzulande 2013 und wuchs damit um sieben Prozent. "Vor allem die Aspekte Natürlichkeit, Nachhaltigkeit und Gesundheit spielen bei den Kunden eine wichtige Rolle", so Dambacher.

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Die meisten Produkte werden dabei nicht in Bioläden, sondern Drogeriemärkten gekauft. Bei Müller etwa präsentieren, gleich neben den Fläschchen von Dior und Yves St. Laurent, rund 40 verschiedene grüne Hersteller ihr Sortiment. Unter ihnen sind längst nicht mehr nur Pioniere der Naturkosmetik wie Dr. Hauschka oder Weleda, sondern auch neue, trendige Marken. Doch die Vielfalt macht den Durchblick nicht leichter.
Ist Natur gleich Natur?
Studiert man die INCI-Listen (International Nomenclature Cosmetic Ingredients) merkt man schnell, dass zwischen der Rosencreme von Dr. Hauschka und der Anti-Aging Cream von Korres, einer der Trendmarken, Welten liegen. Die erstere besteht hauptsächlich aus biologischem Aprikosenkernöl, die zweite aus einem chemischen Feuchthaltemittel. Beide dürfen trotzdem unter dem Begriff "Natur" verkauft werden. Das liegt zum einen daran, dass der Begriff Naturkosmetik weder klar definiert noch gesetzlich geregelt ist. Zum anderen trägt dazu bei, dass die Branche unterteilt wird in Naturkosmetik und naturnahe Kosmetik. Unter dem Begriff naturnah versammeln sich Marken, von denen ein Teil recht nah dran ist an echter Naturkosmetik, der andere Teil jedoch hat fast mehr mit konventioneller Kosmetik gemein.
Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen rund ums Thema Naturkosmetik
Woran erkennt man echte Naturkosmetik? "Am einfachsten am Siegel", sagt Rita Stiens, Autorin des Buches "Die Wahrheit über Kosmetik". Doch Siegel gibt es leider nicht nur eines. Bei allen zertifizierten Produkten kann man aber davon ausgehen, dass die verwendeten Substanzen ursprünglich aus der Natur kommen. Das heißt: Öle, Fette und Wachse sowie Duft- und Farbstoffe dürfen mit wenigen Ausnahmen nur aus pflanzlichen, mineralischen und - mit Einschränkung - tierischen Rohstoffen hergestellt werden. Paraffine oder Silikone sowie synthetische Duft- und Farbstoffe sind tabu. Ebenso radioaktive Bestrahlung und Tierversuche. Doch danach hört es schnell auf mit den Gemeinsamkeiten. Wie viel Prozent der Inhaltsstoffe müssen aus kontrolliert biologischem Anbau stammen? Darf Wasser in die Bio-Kalkulation mit einbezogen werden? Und auch: Wie viel chemisch veränderte Natur darf eingesetzt werden? Etwa bei den Esterölen: Dafür werden Naturöle chemisch in einzelne Fettsäuren gespalten und beispielsweise mit Fettalkoholen verbunden. Untergemischt entstehen so weiche Texturen, die schnell in die Haut einziehen und bei den Verbrauchern angeblich besser ankommen. Bei dem Siegel Natrue ist der Einsatz von naturnahen Stoffen wie Esterölen begrenzt, bei anderen Labeln jedoch nicht. Hinzu kommt: Standards legen nur Mindestkriterien fest. Ob ein Kosmetikhersteller sie gerade so erfüllt oder weit darüber hinausgeht, ist für den Verbraucher nicht leicht ersichtlich.
Ist Naturkosmetik gesünder? Die herkömmliche Kosmetikindustrie setzt unter anderem hormonell wirksame Stoffe ein, die mit allerlei Nebenwirkungen, ja sogar Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Eigentlich sind diese hormonell wirksamen Stoffe in der zugelassenen Dosierung unbedenklich. Doch Kritiker weisen darauf hin, dass Verbraucher ja nicht nur ein Produkt verwenden, sondern viele. "Und das summiert sich", sagt Ann-Katrin Sporkmann vom BUND. Hinzu kommen hochreaktive Stoffe wie Azo-Farbstoffe, Formaldehydabspalter oder die Antioxidantien BHT und BHA. Wie reagieren solche Substanzen in der Gesichtscreme mit denen in anderen Kosmetikprodukten oder Putzmitteln? "Das kann keiner sagen", so Buchautorin Rita Stiens. Dass diese umstrittenen Stoffe und eine Reihe weiterer in Naturkosmetik verboten sind, ist für sie "deren entscheidender Vorteil".
Problematisch bleibt aus Sicht von Dermatologen allerdings eine andere Zutat: ätherische Öle. Sie können Allergien auslösen, vor allem diejenigen aus Ceylon-Zimt, Pfefferminze, Melisse, Pinie und Eichenmoos. Welche Variante jedoch gefährlicher ist, die synthetisch hergestellte oder die natürliche, das ist umstritten.
Ist Naturkosmetik besser für die Umwelt? Auch hier gilt: Die schwierigsten Stoffe müssen draußen bleiben. Zum Beispiel winzige Kunststoffpartikel aus Polyethylen, die konventionelle Hersteller aufgrund ihrer reinigenden Wirkung gerne in Zahnpasten, Peelings und Duschlotionen mixen. Da sie so klein sind, flutschen sie durch die Filter der Kläranlagen und gelangen in die ohnehin schon belasteten Gewässer. In Deutschland empfiehlt das Umweltbundesamt, auf Kosmetikprodukte mit Polyethylen zu verzichten.
Ebenfalls problematisch sind synthetische Lichtschutzfilter zum Beispiel in Sonnencremes. Sie gelangen beim Baden ins Wasser. Wie ein italienisches Forscherteam herausfand, führen selbst geringe Mengen bei Algen, die in Symbiose mit Steinkorallen leben, zu Virusinfektionen. In der Folge bleichen die Korallen aus und sterben ab. In einigen Touristengebieten, zum Beispiel in Mexiko, sind herkömmliche Sonnenlotionen bereits verboten. Umweltrelevant ist auch der Einsatz von Palmöl. Nicht alle Hersteller von Naturkosmetik beziehen es aus einer Ökoanpflanzung.
Hat Naturkosmetik auch Nachteile? Wasserfeste oder langhaftende Wimperntusche ist im Naturkosmetiksortiment genauso wenig zu finden wie knallige Lippenstifte oder Sonnencremes mit einem Lichtschutzfaktor jenseits der 20. Darüber hinaus schäumen die grünen Shampoos und Duschgele kaum, Haarsprays lassen sich - weil sie ohne Treibgas auskommen - nicht so fein verteilen. Auch Puder ohne Silikone halten schlechter als die herkömmlichen. Bei den Haarfärbemitteln ist das Farbspektrum überschaubar, heller färben ist nicht möglich. Auch graue Haare verschwinden nicht gänzlich.
Wie ist die Wirkung? Gerade wenn es um Anti-Aging geht, hegen Verbraucher oft Zweifel, ob die konventionelle Kosmetik mit ihren hochpreisigen Hightech-Produkten nicht doch die besseren Faltenkiller zu bieten hat. Werner Voss winkt ab. In seinem Labor in Münster untersucht der Dermatologe jedes Jahr an die 3000 Produkte. Sein Fazit: "Der Alterungsprozess lässt sich mit keinem Mittelchen, das man von außen auf die Haut aufträgt, aufhalten."
Wie knitterig jemand aussieht, hängt zu 90 Prozent von seinen Genen ab, zu 10 Prozent von der Ernährung, davon, ob man raucht, Alkohol trinkt, sich in die Sonne knallt. Es ist eigentlich nur möglich, der Haut Feuchtigkeit zuzuführen, dann sieht sie praller aus. Doch das kann laut Voss jedes solide Gemisch aus Fett und Wasser - die Grundlage einer jeden Creme. Es scheint also egal zu sein, ob man zur herkömmlichen Creme mit Silikonöl als Fettkomponente greift oder der natürlichen mit Pflanzenöl.
Wie steht es um Tierversuche? Alle Richtlinien zur Zertifizierung von Natur- und Biokosmetik verbieten Tierversuche. Doch Hersteller, die nach China exportieren, müssen damit rechnen, dass ihre Produkte vor Ort an Tieren getestet werden. Die meisten von ihnen meiden deswegen diesen Markt von jeher - oder haben sich zurückgezogen, nachdem Medien darüber berichteten. Wer als Verbraucher ganz sicher gehen will: Die Peta -Homepage Kosmetik-ohne-Tierversuche.de listet alle Unternehmen auf, die dem Tierschutzverein schriftlich versichert haben, weltweit keine Versuche durchzuführen oder in Auftrag zu geben.
Dieser Text stammt aus dem Magazin
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