Güter- und Fernverkehr Streikverbot gekippt - Bahn prüft Verfassungsklage
Chemnitz - Die Lokführergewerkschaft GDL darf auch im Güter- und Fernverkehr der Bahn streiken. Das hat das sächsische Landesarbeitsgericht heute in Chemnitz in einem Berufungsverfahren entschieden - bisher waren Arbeitsniederlegungen nur im Regional- und Nahverkehr erlaubt.

GDL-Chef Schell, Vize Weselsky (l.): Sieg für die Gewerkschaft
Foto: DDPRichter Werner Leschinger sagte, eine Beschränkung des im Grundgesetz verbrieften Streikrechts sei nicht zulässig. Die Wahl der Kampfmittel sei dabei den Tarifparteien selbst überlassen, eine Ausweitung der Streiks per se nicht unverhältnismäßig.
GDL-Chef Manfred Schell sprach von einem "umfänglichen Sieg" für die Gewerkschaft und von einem "großartigen Tag". Man wolle jetzt erst einmal die Freude über das Urteil auskosten. Von der Bahn forderte er ein tragfähiges Angebot auf Basis des Moderatorenvertrags mit einem eigenständigen Tarifvertrag, in dem die Arbeitszeit und die Bezahlung geregelt seien. In der kommenden Woche solle die Bahn schon etwas ankündigen, sagte Schell weiter. "Jetzt ist es an der Zeit, dass die Bahn ein tragfähiges Angebot vorlegt." Der Konzern müsse "seine starre Haltung aufgeben".
GDL jubelt, Bahn zeigt sich enttäuscht
Die Bahn zeigte sich enttäuscht über das Urteil. "Das ist kein guter Tag für unsere Kunden", sagte Bahnsprecher Werner Bayreuther. Man rechne mit erheblichen Beeinträchtigungen im Güter-, aber auch im Personenverkehr. Das Urteil werde die Bahn sorgfältig prüfen, eine Lösung des Konflikts könne es aber nur am Verhandlungstisch geben.
Bahn-Personalvorstand Margret Suckale antwortete auf die Frage, ob die Bahn eine Verfassungsbeschwerde gegen die Chemnitzer Entscheidung einlegen wolle: "Wir werden auch über Karlsruhe nachdenken." Der heutige Tag sei "ein schwarzer Tag für die Bahn, für die deutsche Wirtschaft, unsere Kunden", sagte Suckale.
In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Chemnitz am 5. Oktober Streiks der Lokführer im Güter- und Fernverkehr per Eilverfahren als "unverhältnismäßig" untersagt. Die GDL und die Bahn legten daraufhin Einspruch ein.
Nach dem Urteil drohen schon in der kommenden Woche Arbeitsniederlegungen im Güterverkehr. GDL-Chef Schell sagte, über Streikmaßnahmen wolle die Gewerkschaft erst nach einiger Bedenkzeit entscheiden. Am Montag sei jedenfalls noch nicht mit Arbeitsniederlegungen zu rechnen.
Die GDL hatte vor dem Urteil mehrfach angekündigt, bei einem Urteil in ihrem Sinne zunächst den Güterverkehr bestreiken zu wollen. Erst im nächsten Schritt, wenn die Bahn kein tragfähiges Angebot vorlegen sollte, wolle man auch im Fernverkehr streiken. Schell sagte heute, über Streikmaßnahmen sei noch nicht entschieden - sagte nach der Urteilsverkündung aber auch, die ICE-Strecken gehörten "zum Arsenal" der GDL.
Wirtschaftsverbände hatten die Gewerkschaft in den vergangenen Tagen mehrfach gewarnt, im Güterverkehr zu streiken. Ein Streik in diesem Bereich schade der Wirtschaft und sei unverhältnismäßig.
Die möglichen Schäden eines Streiks im Güterverkehr sind gewaltig: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kostet ein solcher Streik die Volkswirtschaft bis zu 50 Millionen Euro pro Tag. "Dann liegen ganze Wirtschaftszweige lahm", warnte die DIW-Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert. Besonders der Fahrzeugbau, die Stahlindustrie und die Versorgung mit fossilen Brennstoffen wären demnach betroffen. Aber schon allein die Ankündigung von Streiks im Güterverkehr durch die GDL führte einer Bahn-Sprecherin zufolge zu Umsatzausfällen im zweistelligen Millionenbereich.
In der Verhandlung sprachen die Anwälte der Bahn der GDL generell das Recht auf Streiks ab, was die GDL scharf zurückwies. Die Bahn berief sich dabei auf die Tarifeinheit, die durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gedeckt sei. Die GDL vertrat hingegen die Position, dass mehrere Tarifverträge in einem Betrieb möglich seien.
Der Tarifstreit zwischen GDL und Bahn dauert seit dem Frühjahr an. Die GDL hatte erstmals am 20. März einen eigenen Tarifvertrag für das Fahrpersonal - Lokführer, Zugbegleiter, Bordservicekräfte - gefordert.
kaz/dpa/ddp/Reuters/AP