Manchmal werden die Zahlen mit den vielen Nullen lebendig. Etwa an jenem Wochenende, als der Londoner Investmentbanker Jörg Huber einen alten Schulfreund in Frankfurt besuchte.
Aufgeräumter Stimmung plauderten die Kumpel über alte Zeiten, als plötzlich Hubers Handy klingelt. Ein Kollege aus London sucht Rat, es geht um eine Anleihe in Millionenhöhe.
Zwei Minuten später ist der Handel perfekt. Huber legt auf, sein Freund kann gar nicht fassen, mit welcher Selbstverständlichkeit der ehemalige Klassenkamerad die Millionen am Telefon verschiebt.
Solche Momente haßt Huber. Dann muß sich der 34jährige Anleihehändler erklären, dann kann er nicht mehr verdrängen, daß die langen Zahlen, mit denen er jongliert, keine abstrakten Ziffernfolgen sind, sondern echtes Geld, unglaublich viel Geld, das er rund um den Globus bewegt und dadurch in wenigen Minuten Hunderttausende von Mark erwirtschaftet - oder verliert.
Wird ihm das klar, dann wird ihm auch mulmig - doch der Zweifel hält nie lange. Einer muß den Job schließlich machen, und ein Hochseilartist schaut auch nicht nach unten. Wer Zeit zum Nachdenken hat, ist ohnehin falsch im hektischen Investmentgeschäft - und besonders bei Hubers Arbeitgeber, der Deutschen Morgan Grenfell (DMG) in London.
Denn die bislang unauffällige britische Tochter der Deutschen Bank hat den Turbo angeworfen. Mit Vollgas will das 1989 vom damaligen Vorstandschef Alfred Herrhausen erstandene Institut die neue, gewichtige Rolle erfüllen, die es nun von der Frankfurter Konzernzentrale zugewiesen bekam: ganz vorn im globalen Investmentgeschäft mitspielen, die Herrschaft der Wall Street attackieren beim weltweiten Handel mit Anleihen und Wertpapieren, Derivaten, Optionen und Devisen.
Das ist eine Aufgabe, so recht nach dem Geschmack von Michael Dobson, Hubers Chef. Der DMG-Boß wirbelt und plant, feuert und heuert wie von der Leine gelassen. Viel zu lange kam der Investmentbanker bei der stark aufs klassische Kreditgeschäft orientierten Deutschen Bank nicht recht zum Zuge.
Nun endlich steigt er gegen die Marktführer Merrill Lynch, Goldman Sachs und SBC Warburg in den Ring. Er will seine Morgan Grenfell zur weltweit führenden Investmentbank ausbauen. Seine Vision: »Wir werden die Liquiditätsmanager der Welt.«
Einen ersten Superlativ haben sich die Anwärter um die Weltfinanzherrschaft bereits verdient: Sie sind das größte Ärgernis der Branche. Bitterlich beklagte sich die Konkurrenz über das aggressive Abwerbeverhalten der deutschen Emporkömmlinge. Spitzenkräfte und ganze Teams würden zu hohen, oft doppelten Gehältern geködert, der Markt mit garantierten Bonuszahlungen gründlich verdorben, jammern die Verlierer.
An die 50 Leute kamen von der britischen SBC Warburg, auch die US-Banken J.P. Morgan, Merrill Lynch, Morgan Stanley verloren Dutzende von Angestellten. Die niederländische ING Barings war derart erbost über den Seitenwechsel ihres gesamten Lateinamerika-Teams, daß sie die Deutsche Bank vor dem New York Supreme Court auf 10 Millionen Dollar Schadensersatz verklagte - wegen unfairen Wettbewerbs, Geschäftsschädigung und des Mißbrauchs vertraulicher Information.
Für Edson Mitchell, bei der Deutschen Morgan Grenfell verantwortlich für globale Märkte, ist das wütende Geheul der Konkurrenz die schönste Form der Selbstbestätigung. »So würden wir auch schimpfen, wenn uns die Leute davonlaufen«, spottet er. Glaubt man dem zierlichen Amerikaner mit dem harten Blick, dann sind all die Spitzenleute freiwillig gekommen, um endlich bei der großen Deutschen Bank arbeiten zu dürfen.
Bestes Beispiel sei er selbst, er habe der wunderbaren Aufgabe einfach nicht widerstehen können. 15 Jahre war er bei Merrill Lynch, zuletzt als Verantwortlicher für Festgeldanlagen und derivative Produkte.
Nun preist er werbewirksam die Finanzkraft, die Weitsicht, das Verständnis und die Sachkenntnis seines neuen Arbeitgebers. Wobei er vor allem dessen Fähigkeit meint, ihn in Ruhe wirbeln zu lassen und sich nicht einzumischen in Dinge, von denen Deutsche nun wirklich nichts verstehen.
Die Deutsche Bank hat sich den Entwicklungshelfer einiges kosten lassen. Mitchell ist, wie die meisten seiner Kollegen, ein Stareinkauf. Seine Verpflichtung war ein deutliches Signal für die Ernsthaftigkeit der Ambitionen. Zehn Millionen Mark soll der Zweijahresvertrag des Finanzprofis kosten.
Mit Schritten wie Trommelschlägen marschiert der 42jährige durch den Handelsraum. Er läuft, als müsse er mit jedem Tritt den Muff aus dem bislang biederen Investmentgeschäft der Deutschen Bank stampfen.
»Wenn Sie wissen wollen, was hier los ist, schauen Sie Edson an«, flüstern die Händler andächtig, wenn der Meister im Affentempo und ohne Sakko durchs Büro flitzt, alles im Griff, alles im Auge und allzeit bereit, heikle Entscheidungen zu treffen. Jeder von ihnen träumt davon, daß Mitchell diesmal bei ihm stehenbleibt und die Hand auf die Schulter sausen läßt.
Eine Auszeichnung ist das, der Ritterschlag der Finanzwelt, für viele hier einfach das höchste Lob. »Edson redet viel mit den Händlern, er ist ein Chef zum Anfassen, vor allem kann er zuhören«, sagen die Angestellten. Wohl wissend um die Gefahr: Wenn Edson von schlimmen Fehlern hört, kann der Schuldige gehen.
Alles hat Mitchell umgekrempelt, seit er am 1. Mai 1995 seinen Job antrat. Die vier schmuddeligen Tradingfloors, in denen es wegen der defekten Klimaanlagen latent nach Angstschweiß roch, wurden aufgelöst.
Für 20 Millionen Mark ließ Mitchell einen neuen herrichten, mitten in der Londoner City, Houndsditch 133. Dort, wo zur Zeit von Königin Elisabeth I. die Kadaver verendeter Straßenköter auf der Müllhalde verfaulten, trägt nun ein gläserner Fahrstuhl die Hoffnungsträger der Deutschen Bank von der marmornen Eingangshalle hinauf in den ersten Stock.
Zwar wird in den nächsten zwei Jahren ein eigener Neubau der Deutschen Bank fertiggestellt, doch so lange wollte Mitchell nicht warten. Im schnellen Geschäft müssen die Wege kurz sein, Blitzmeetings auf Zuruf funktionieren, Spezialisten in Sekundenschnelle herbeieilen.
Vornehme Einzelbüros, in Deutschland Statussymbol für Erfolg und Macht, sind für Broker der Inbegriff von Mißmanagement. »Wer sich hier hinter schweren Teakholztüren versteckt, hat schon verloren«, erklärt ein Händler. In der Zeit, die ein deutscher Angestellter vertut, bis er es wagt, die Tür zum Chef zu öffnen, haben die Londoner längst ein Geschäft gemacht. Wer Angst hat vor Hierarchien, kann hier einpacken.
Transparenz ist das oberste Gebot von Edson Mitchell. Ein riesiger Raum ohne Trennwände, fast so groß wie ein Fußballfeld, ist der Schauplatz für die tägliche Millionenschlacht an den internationalen Finanzmärkten. Lange Reihen von Tischen sind aufgestellt, fünfeinhalb Kilometer Kabel führen zu unzähligen Computerbildschirmen und Telefonen. Fernseher hängen unter der Decke, unentwegt laufen CNN und Reuters Wirtschaftsnachrichten. 460 Händler in teuren Anzügen bevölkern die Reihen, dicht an dicht, wie Hühner in der Legebatterie.
Schmale Gänge trennen sie voneinander - der einzige Platz, wo die Händler fuchteln und gestikulieren können, wie es sich für ihren Berufsstand gehört. An der Kreuzung zwischen Quer- und Mittelgang trifft sich die Swap-Gruppe, gleich dahinter diskutiert das Derivate-Team, keine Zeit zum Setzen, wer steht, spricht schneller.
Der Frankfurter Jörg Huber sitzt ganz hinten rechts, in der Syndikat-Abteilung, die sich mit der Neuemission von Anleihen befaßt. Jeden Morgen um 7.15 Uhr hängt er seinen Sakko über den Stuhl, nimmt den ihm zugewiesenen halben Quadratmeter Tisch in Beschlag und frühstückt mit dem Weltmarkt.
Auf den fünf Monitoren vor ihm drängeln sich die Börsenmeldungen, rasen Zahlenkolonnen vorbei, quetschen sich Schaubilder in den Vordergrund. Ohne den Blick abzuwenden, angelt Huber nach der braunen Papiertüte, die er am Imbißstand geholt hat.
Er zieht einen der weichen, dreieckigen britischen Toasts heraus und einen Pappbecher voller Kaffee. Um sieben Uhr dreißig dann der Morning-Call: »Guten Morgen, New York, hello Tokio«, tönt es aus dem Lautsprecher, der von jedem Händlerplatz aus Direktverbindungen in die 38 Handelsräume der 29 Ländervertretungen herstellt. Hier wird Bericht erstattet, die Weltlage analysiert, anstehende Geschäfte werden angekündigt, politische Entwicklungen eingeschätzt. Wissen ist Macht, aber nur, wenn man als erster die Information besitzt.
Wer hier arbeitet, kann sich von seinem Privatleben verabschieden. Zwölf Stunden täglich sind das Minimum, und so recht mag sich die hübsche Dreizimmerwohnung im edlen Londoner Stadtteil South Kensington nicht lohnen, für die Huber 3000 Mark monatlich bezahlt.
Mit dem schillernden Broker-Leben, das Thomas Wolfe in »Fegefeuer der Eitelkeiten« beschreibt, hat sein Alltag nicht viel zu tun. Aus den leidenschaftlichen, risikofreudigen, skrupellosen »Meistern des Universums« sind nüchterne Mathematikexperten geworden. »Hier käme keiner auf die Idee, mittags Champagner zu trinken«, sagt Huber und nippt an seinem Mineralwasser.
Zu schnell ist das Geschäft, zu hart die Konkurrenz, zu klein sind die Margen und zu kompliziert die Finanzprodukte, als daß man sich einen Augenblick der Unkonzentriertheit leisten könnte. Für die Kondition joggt Huber abends durch den Hydepark. Wenn er ganz verwegener Stimmung ist, geht er Wasserski fahren.
Keine feuchten Partys, kein ausschweifendes Nachtleben, und im Büro geraucht werden darf auch erst ab sechs Uhr abends, so steht es im Vertrag. Ausgegangen wird nur, wenn Kunden »entertained« werden müssen. Ansonsten ist Bettruhe um zehn, wie im Kloster.
»Wir sind keine Spieler, eher Hochleistungssportler«, sagt Huber, »und so werden wir auch bezahlt.« Wie all die anderen hat der 34jährige einen Generationenvertrag mit sich selbst geschlossen. 10, 15 Jahre lang nichts als Maloche, danach, so glaubt er, beginnt das schöne Leben.
Daß die Jugend dann dahin ist, stört ihn nicht. »Ich wüßte gar nicht, was ich tun sollte, wenn ich nur acht Stunden arbeiten würde«, sagt er. Und immerhin hat der Job auch seine guten Seiten: »Für persönliche Probleme, Liebeskummer gar, bleibt keine Zeit.«
Für Mitleid auch nicht. Wird einer gefeuert, kann er mit kaum mehr rechnen als mit einem Achselzucken der Kollegen. Sicher, die Händler arbeiten im Team, doch wenn es einen erwischt, Pech gehabt, alle sind froh, daß es diesmal den anderen getroffen hat.
Schwächlinge, da sind sich alle einig, haben in dem Geschäft nichts zu suchen, denn schließlich richten sich die Bonuszahlungen nach dem Gewinn. »Wer hier bloß einen guten Job macht, ist ihn morgen wieder los.« Mittelmaß habe keine Chance, sagt Huber, und so findet er es auch nur gerecht, daß viele von den alten Morgan-Grenfell-Leuten »eliminiert« wurden.
Die neue Weltauswahl ist multikulturell. Hier arbeiten Moslems neben Juden, Briten neben Nordiren, Männer neben Frauen, friedlich vereint, um dem Gott des Geldes gefällig zu sein. Nur 20 Deutsche fanden Gnade in Mitchells Dreamteam.
Das mag mit der mangelnden Erfahrung zu tun haben und mit der Mentalität: »Deutsche sind nicht so risiko- und entscheidungsfreudig, den meisten fehlt der Spieltrieb der Angelsachsen«, glaubt Jörg Huber. Tatsächlich klingt in all den Lobeshymnen, die die Starhändler pflichtschuldig über die Deutsche Bank anstimmen, immer latent deren Defizit im Investmentbanking mit.
»Wir sind das Schnellboot der Deutschen Bank«, sagt ein Abteilungsleiter, »wir machen die Deutsche Bank zum Sumo-Ringer«, meint ein anderer. Im Klartext: Der träge Tanker wird flottgemacht, der fette Riese beweglich.
Sätze, viel zu selbstbewußt, als daß sie den Frankfurter Kollegen gefallen könnten. Diejenigen, die von der Zentrale aus das deutsche Investmentgeschäft leiten, sind verärgert über die Federführung der Briten - und über deren hohe Gagen.
Die Londoner wiederum schlagen sich auf die Schenkel, wenn sie an die Arbeitsmoral der Deutschen denken: 35-Stunden-Woche, Arbeitsschutzgesetze, Gewerkschaften - alles Bürokratenkram, so sind keine Millionen zu scheffeln.
»Die Deutschen sind verwöhnt«, findet auch Huber und verteidigt die Londoner Top-Gehälter: »Wir riskieren auch mehr. Strafen und Belohnung - beides ist beträchtlich.«
Er selbst ist da eher zufällig hineingewachsen, als er nach Abitur und Wehrdienst 1983 aus Verlegenheit eine Kaufmannslehre bei der Deutschen Bank begann. 1989 ging er als Trainee nach Tokio, Ende 1990 kehrte er zurück in die Syndikatabteilung, bis ihn Mitchell im September 1995 nach London holte, als Stellvertreter des Syndikatschefs.
Erst Freitag abends verwandelt sich Huber in einen Normalmenschen. Der teure Anzug kommt zu den vier anderen in den Schrank, und ganz inkognito fliegt er oft heim nach Frankfurt zu Freundin und Eltern. Und fragt ihn jemand nach seinem Beruf, sagt er einfach: »Ich bin Bankkaufmann in London.«
So erspart er sich lästige Fragen über die Millionen, die er Tag für Tag bewegt. Jörg Huber haßt es, wenn die vielen Nullen lebendig werden.