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FLUGPREISE Hände gebunden

Flugreisende können rund 20 Prozent sparen, wenn sie ihr Ticket in London kaufen.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Am Vormittag des 24. Dezember schreckte ein Fernschreiben die Chefs westdeutscher Reiseagenturen aus weihnachtlicher Stimmung.

In barschem Ton rügte der Dachverband der in Deutschland vertretenen Linienfluggesellschaften, daß gewisse Fluggäste beim Ticketkauf »Diskrepanzen zwischen den europäischen Währungen nutzen, um sieh mit ihrer Hilfe Vorteile zu verschaffen«. Diese Hilfestellung sei illegal, drohte der »Board of Airlines Representatives in Germany« (Bang) -- und »mit sofortiger Wirkung einzustellen«.

Der aufgeregte Protest der Fluggesellschaften gilt einem seit Monaten florierenden Geschäft: Deutsche Weltreisende können dank des Kursverfalls der englischen Währung rund 20 Prozent sparen. wenn sie ihren Flugschein in London kaufen.

So verlangt die Lufthansa für ein Rückflugticket Frankfurt-Tokio 4620 Mark. Die Lufthansa-Reise London-Frankfurt-Tokio und zurück kostet nur 3671 Mark -- wenn der Flugschein in London gekauft wird. Dabei ist unerheblich, daß der Passagier den ersten Teil des Fluges -- also von London nach Frankfurt -- gar nicht abfliegt. Der Abschnitt für die Teilstrecke wird vor Reiseantritt in Frankfurt herausgerissen.

Den lukrativen Umweg über London hatten große Industriefirmen entdeckt. Konzerne, die Hunderte von Mitarbeitern auf teure Auslandsreisen schicken, wiesen ihre Londoner, gelegentlich auch ihre Mailänder Niederlassung an, die Tickets gleich im Dutzend zu kaufen und per Post nach Deutschland zu schicken. Wenig später konnten auch findige Privatreisende die Segnungen des schwachen Pfundes nutzen. Große Reisebüro-Organisationen übernahmen den kollektiven Einkauf in London und leiteten die Tickets über ihre deutschen Filialen an private Kunden weiter.

Am Ende dann wollten auch die Mittelständler der Reisebranche an dem populären Geschäft teilhaben. Am 20. Dezember kündigte ein in Frankfurt gegründeter »Arbeitskreis selbständiger Reisebüroinhaber« an, seine 120 Mitgliedsfirmen würden unverzüglich den preiswerten Flugschein-Kauf in London zentral organisieren. Angepeiltes Umsatzvolumen des Frankfurter Ringes: 500 Millionen Mark.

Diese Ankündigung verprellte insbesondere die Lufthansa. Denn bei den Einkäufen in London wird die deutsche Luftlinie bevorzugt, weil sie die besten internationalen Verbindungen über Frankfurt anbietet. Weil jede Mark, die Flugreisende beim Kauf sparen, für die Lufthansa verloren ist, drängte sie auf eine Bang-Intervention.

Die Kollegen zogen mit. Auf einer Bang-Sitzung verpflichteten sie sich zu satzungstreuem Verhalten, Denn nach der kaum mehr beachteten Vorschrift für den internationalen Flugverkehr »021 L« sind die jeweiligen Flugpreise nur bei Abflug im Land der Ausstellung gültig. Jede Fluggesellschaft, die einen Passagier mit in London gekauftem Ticket aus Frankfurt herausfliegt, verstößt deshalb gegen die Geschäftsprinzipien des Luftkartells.

Nicht einmal die Lufthansa-Manager wissen allerdings, wie die London-Kunden ohne unzumutbare Belästigung und erheblichen Zeitaufwand zu überführen sind. »Theoretisch können wir fragen«, erläutert etwa Deutschland-Direktor Hellmuth Klumpp, »wo haben Sie das Ticket her?« Gibt der Fluggast dann den Einkauf via London zu, »muß er nachzahlen, oder er wird vom Flug ausgeschlossen«.

Diese Selbstjustiz könnte überaus teuer werden. Denn abgewiesene Passagiere haben alle Chancen auf Schadenersatz, wenn sie vor Gericht ziehen. Vorsichtshalber will deshalb auch die Lufthansa sich nicht nur an die Fluggäste halten. Klumpp: »Meiner Meinung nach ist das Reisebüro haftbar.«

Die Lufthansa-Konkurrenz hält sich ohnehin aus dem Streit heraus. »Wir warten ab«, sagt Urs Meier von der Deutschland-Direktion der Swissair, »was die Lufthansa macht.«

Die Reisebüros allerdings mußten etwas zuruckstecken: »Offiziell sind uns jetzt die Hände gebunden«, bestätigt Helmut Voss, einer der Sprecher des Frankfurter Reisebüro-Ringe~. Schon in ihrem Telex nämlich hatte die Bang den Firmen Strafaktionen angedroht. »Zuwiderhandlungen sind ein Verstoß gegen gültige Verträge und führen zu Konsequenzen.«

Reisebüros und Passagiere werden dennoch kaum aufstecken: Wenn der Coupon London-Frankfurt aus dem Flugscheinheft herausgerissen wird und der Käufer Abflugzeit und Flugnummer »seines« London-Frankfurt-Trips auswendig weiß, ist er kaum zu legen.

Es geht, außerdem, auch noch völlig legal. Der Reisende, den es nach Rio oder Tokio, nach Johannesburg oder Sydney zieht, kauft bei einem der Reiseveranstalter ein London-Ticket zum Kurs von 160 bis 200 Mark. In London kauft er dann das Ticket zu seinem Zielort und zurück in die Heimat. Lufthansa-Direktor Klumpp: »Das Ganze ist ein Problem, mit dem wir noch einige Zeit leben müssen.«

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