Häuserboom in den USA Das neue Vorstadtglück

Ausgerechnet in der Coronakrise boomt der amerikanische Immobilienmarkt. Der Run aufs Eigenheim trägt zur Konjunkturerholung bei - und schafft ein Risiko für eine neue Krise.
Von Ines Zöttl, Washington
Zu verkaufen: Mitten in der Coronakrise interessieren sich plötzlich Leute für den Immobilienkauf, die es vorher nicht getan haben

Zu verkaufen: Mitten in der Coronakrise interessieren sich plötzlich Leute für den Immobilienkauf, die es vorher nicht getan haben

Foto: fstop123 / Getty Images

Als Biolehrerin gehört Joy Douglas nicht zu den Besserverdienern in den USA. Doch seit Kurzem ist die 43-Jährige stolze Hausbesitzerin in Washington. Mitte Juni, als ihre Schule im Nordosten der Hauptstadt für den Sommer schloss, sah sie den Moment gekommen, von der Mieterin zur Eigentümerin zu werden.

"Das war nichts, was ich vorher auf dem Schirm hatte. Viele meiner Freunde kauften. Ich wollte reisen", erzählt die Afroamerikanerin. Doch in der Pandemiekrise waren die Hypothekenzinsen auf ein historisches Tief gefallen, und Bekannte warnten sie davor, die Chance zu verpassen: "Wenn Trump aus dem Amt scheidet, werden die Zinsen wieder steigen", erklärten sie ihr. Also beschloss sie, die Sache vor der Präsidentschaftswahl im November zu erledigen. 

Joy Douglas: "Das war nichts, was ich vorher auf dem Schirm hatte. Viele meiner Freunde kauften. Ich wollte reisen."

Joy Douglas: "Das war nichts, was ich vorher auf dem Schirm hatte. Viele meiner Freunde kauften. Ich wollte reisen."

Foto: Joy Douglas

Vier Wochen nach ihrem Entschluss unterschrieb Douglas den Kaufvertrag. Demnächst werden sie und ihre Katze Peaches in den äußersten Südosten Washingtons umziehen, wo die Gentrifizierung noch gebremst ist. Mit 450.000 Dollar war das Reihenhaus annonciert, am Ende musste sie 470.000 Dollar hinlegen, um den Zuschlag zu bekommen. "Ich hatte erwartet, dass ich in der Covid-Krise nicht viel Konkurrenz haben würde. Das war ein Irrtum." 

Die Preise ziehen an

Joy Douglas' Haus: Mit Konkurrenz hatte sie in der Krise nicht gerechnet

Joy Douglas' Haus: Mit Konkurrenz hatte sie in der Krise nicht gerechnet

Foto: Joy Douglas

So wie die Erstkäuferin wurden auch viele Profis vom Boom des Häusermarkts ausgerechnet während der tiefen Corona-Rezession überrascht.

In Washington und den umliegenden Pendlerbezirken setzte die Branche im Juli 5,3 Milliarden Dollar um, ein Plus von 26 Prozent zum Vorjahr. Der Medianpreis in der Metropolregion kletterte auf ein Zehnjahreshoch, für eins der typischen Reihenhäuschen im viktorianischen Stil mit Fake-Giebel wird inzwischen ein Rekordmittelwert von 800.000 Dollar aufgerufen. 

Doch nicht nur in der Hauptstadt schwärmen die Eigenheimjäger aus. Landesweit ist der Verkauf neuer Einfamilienhäuser im Juli zum Vorjahr um 36 Prozent gestiegen. Weil das Angebot mit der Nachfrage nicht Schritt hält, ziehen die Preise an.

Die Immobilienbranche habe die Pandemie nicht nur überwunden, sondern profitiere sogar von manchen ihrer Folgen, schreibt der Investmentexperte Ed Yardeni: Die Geldschwemme der Notenbank Fed garantiere niedrige Zinsen, und viele Amerikaner strebten nach mehr Platz, um von zu Hause arbeiten und soziale Distanz wahren zu können. "All das hat dazu beigetragen, dass die Immobilienbranche viel besser läuft, als sich irgendjemand vorstellen konnte."

Im kalifornischen Bezirk San Bernardino bildete sich kürzlich schon einen Tag vor dem Verkaufsstart eines Projekts auf der grünen Wiese eine Käuferschlange. Ausgerüstet mit Atemschutzmaske und Sonnenschirm rückten die Interessenten bei Temperaturen von 40 Grad an, um eine der 40 Parzellen der Siedlung "ShadeTree" zu ergattern.

Auch der Feuerwehrmann Jason Alonzo verbrachte die Nacht auf einem Gartenstuhl vor dem Verkaufsbüro. Als ehemaliger Soldat habe er gelernt, überall schlafen zu können, sagte der 34-Jährige der Nachrichtenagentur Bloomberg - und dieser Einsatz lohnte sich aus seiner Sicht: Am nächsten Morgen unterschrieb Alonzo den Kaufvertrag für ein 680.000-Dollar-Haus in dem Projekt in Ontario, 70 Kilometer von Los Angeles entfernt. 

Die Neuentdeckung der früher von jungen Leuten geschmähten Vorstadthölle geht zulasten bisheriger Traummetropolen: In San Francisco lag der Bestand an Verkaufsobjekten dem Immobilienportal Zillow zufolge Anfang August um fast 100 Prozent über dem Vorjahr, verglichen mit einem landesweiten Rückgang um 25 Prozent.

Und auch Manhattans zahlungskräftige Klientel sucht im angrenzenden Bundesstaat New Jersey eine neue Heimat. "Die Leute aus New York kommen mit einem Gefühl der Dringlichkeit, und was sie wollen, ist Platz", sagte der örtliche Makler James Hughes der "New York Times": "Die Nachfrage ist irre." Ortsansässige berichten, dass Makler bei ihnen klingeln und sie drängen, ihr Haus zu verkaufen. Nach der Zillow-Erhebung vom August beschränkt sich die Stadtflucht allerdings bislang auf die beiden teuersten Metropolen der USA. 

Der US-Häusermarkt sei insgesamt zu einer "Lokomotive der Wirtschaftserholung" geworden, stellt die Beratungsfirma BCA Research fest. Denn nicht nur die Bauwirtschaft verdient mit. Sofahersteller, Kühlschrankproduzenten und Poolanbieter partizipieren, wenn die Zugezogenen ihre neue Bleibe ausstatten. 

Auch die Generation der Millennials, die lange als unwillig galt, sich häuslich niederzulassen, scheint nun mit von der Partie. Rund ein Drittel der Hausverkäufe im Juli ging auf das Konto von Erstkäufern.

Manches Paar nutze für die Anzahlung das gesparte Geld für die Hochzeitsfeier, die wegen Corona ausfallen musste, vermutet Yardeni. Knapp 40.000 Dollar verschlingt so ein Event normalerweise im Schnitt. Einschließlich Ring, aber ohne Flitterwochen. 

Joy Douglas und der Feuerwehrmann Alonzo allerdings benötigten überhaupt kein Eigenkapital. Der Staat fördert die Bildung von Wohneigentum großzügig. Aus verschiedenen Töpfen habe sie 36.000 Dollar erhalten, erzählt die Lehrerin. Die künftige Belastung von 2300 Dollar im Monat könne sie gut verkraften, sagt sie. Sie hat sich ein Budget gesetzt. Sie wolle nicht riskieren, "house poor" zu werden, also jemand, dessen Belastung durch das Haus so hoch sei, dass er keinen Spielraum mehr für unvorhergesehene Ausgaben habe. 

Foto: Joe Raedle / Getty Images

Sorge vor einer Welle von Zwangsräumungen, Privatinsolvenzen und Überangebot

Die Coronakrise hat gezeigt, wie brisant das Fehlen von Reserven werden kann. Rund vier Millionen Hausbesitzer nutzen die gesetzliche Möglichkeit, die Hypothekenzahlungen auszusetzen oder zu verringern.

Doch das Moratorium gilt nur für ein Jahr. Am Ende werde auch die Entwicklung des Häusermarkts von "der Eindämmung der Pandemie und der Erholung des Arbeitsmarktes" abhängen, warnen die Konjunkturexperten von BCA Research. Beides verläuft bestenfalls schleppend. 

"Erinnern wir uns an die jüngste Vergangenheit", mahnt bereits der US-Nobelpreisträger Robert Shiller. Wer sich in der Sicherheit wiege, dass der Häuserboom ewig währen werde, der ignoriere "das Desaster", das die letzte Preisblase ausgelöst habe: die globale Finanzkrise. 2020 sei nicht 2005, räumte der Ökonom in einem Gastbeitrag vom Juli selbst ein. Doch wenn der Staat seine Hilfen streiche, bestehe das Risiko, dass es zu einer Welle von Zwangsräumungen, Privatinsolvenzen und einem Überangebot komme. 

Joy Douglas macht sich deswegen keine Sorgen. Sie hat Ersparnisse und als Angestellte einer öffentlichen Schule einen krisenfesten Job. Zum Haus will sie sich jetzt einen Hund zulegen, am liebsten einen Doodle, die angesagte Mischung aus Golden Retriever und Pudel. 

Auch Amerikas Haustierbranche erlebt in den Zeiten der Pandemie einen Boom.

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