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MARKTMACHT Halb zog sie ihn

Industriekonzerne und Handelsgiganten pressen ihren Lieferanten häufig unerbittliche Bedingungen ab. Das Kartellamt ermittelt gegen einzelne Nachfrage-Monopolisten.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Die Mehrheit der Herren, Vorstände aus Konzernen und Funktionäre aus Verbänden, schwieg betreten. Dabei hatte Gastgeber Wolfgang Kartte, Chef des Kartellamtes, nur gefragt, ob sie »einen schönen Abend in Berlin« verlebt hätten.

Ihren Abend hatte die schweigende Mehrheit im Hotel Berlin verbracht. Dort ließ sie sich am letzten Dienstag von dem Kartellexperten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) mit Argumenten für den nächsten Morgen versorgen.

Selbst wenn konkrete Fälle von Machtmißbrauch einiger Großabnehmer gegenüber ihren Lieferanten auf den Tisch kämen, verabredete das Kränzchen, solle sich niemand zu eindeutigen Aussagen provozieren lassen.

Genau das aber war von Amts wegen für den nächsten Morgen geplant: Einkaufsmanager umsatzschwerer Konzerne sahen sich unversehens den Vorwürfen kleiner Zulieferanten aus-

* Mit Reichsleiter Amann, Hitlers ehemaligem Feldwebel aus dem Ersten Weltkrieg.

gesetzt: Die Großen, klagten die Kleinen, knebelten sie mit unlauteren Wettbewerbsmethoden.

Noch vor wenigen Monaten hatte sich keiner dieser meist mittelständischen Lieferanten von Dichtungen oder Schrauben, Polsterstoffen oder Gummiteilen getraut, die rüden Methoden seiner Großkunden öffentlich anzuprangern.

Erst als Kartte unablässig landauf, landab an die »in ihrer Grauzone« vor sich hin lamentierenden Lieferanten appellierte, »bei Wahrung der Vertraulichkeit Roß und Reiter« zu nennen, fanden sich einige, die diskret über die ausgebufften Preispressionen und unerbittlichen Zahlungsregeln der Marktstarken zu berichten wagten.

Ganz Mutige, wie der Wuppertaler Schraubendreher und Auto-Zulieferer Carl-Otto Bauer oder der Maschinenfabrikant Adolf Benz, Sprecher einer Notgemeinschaft von 21 süddeutschen Zulieferern, fanden sich am Ende sogar bereit, zu einer von Kartte moderierten Talk-Show mit den Großen nach Berlin zu reisen.

Auch für die Wettbewerbsexperten war das Thema ungewohnt: Die Nachfragemacht von Industriekonzernen und umsatzstarken Handelsfirmen gegenüber Tausenden von kleinen Lieferanten ist bisher weitgehend vernachlässigt worden.

Jahrelang hatte das Amt das »Problem der machtbedingten Verzerrungen im Leistungswettbewerb« (Kartte) verkannt und sieh auf jene Marktmacht konzentriert, die Konzerne gegenüber ihren Abnehmern ausüben. Es suchte Kartellabsprachen und addierte Marktanteile bei Fusionen. Dabei übersah es, daß Industrietrusts und Handelsgiganten häufig ihren Lieferanten Preise und Rabatte diktieren.

Die passenden Vorschriften zu einer forscheren Gangart hatte Bonns damaliger Wirtschaftsminister Hans Friderichs vor vier Jahren mit seiner Kartellnovelle geliefert: Darin droht »Anbietern oder Nachf ragern« Strafe, wenn sie eine marktbeherrschende Stellung mitbrauchen oder schwächeren Partnern schlechtere Bedingungen aufzwingen.

Doch der Nachweis ließ sieh nur selten schlüssig führen. Denn »die Angst vor dem Marktbeherrschenden«, weiß Friderichs-Nachfolger Otto Graf Lambsdorff, »schützt den Knebelnden weiter vor der Anzeige«.

Die Mächtigen spielten ihre Rolle nach Kräften herunter. »Big Business tötet nicht Small Business«, beteuerte etwa Siemens-Aufsichtsratschef Peter von Siemens, dessen Elektrokonzern sich 30 000 Lieferanten hält. Und Daimler-Vorstand Gerhard Prinz. Kunde bei 22 000 Firmen, verwies angebliche »Preisdiktate« gar »ins frühkapitalistische Gruselkabinett«.

Quelle-Chefin Grete Schickedanz. die übers Jahr für rund fünf Milliarden Mark ordert, nennt ihre Einkaufsgespräche schlichtweg »Wettbewerb«. Und auch Peter Höher. Vorstandsmitglied der Kölner Konsumkette Cornelius Stüssgen, will von der »Existenz einer Nachfragemacht des Handels« nichts wissen.

Wirklich nicht? Gerade in diesen Tagen schicken die Einkaufskontore der großen Händler und Industriekonzerne wieder ihre Bestell-Listen und Vertragsformulare mit den kleingedruckten Klauseln ab. Wer die neuen, häufig schlechteren Bedingungen nicht akzeptiert, so der Klartext, fliegt aus der Orderkartei.

Die Einkäufer des Elektrokonzerns AEG-Telefunken schreiben geschraubter. Wegen der »gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation« erwarten sie in den nächsten Wochen von ihren Zulieferern eine »gewisse Opferbereitschaft« in Höhe eines Preisnachlasses von drei bis fünf Prozent. Dieses Notopfer sollten die angeschriebenen Produzenten »von sich aus vornehmen, damit wir auch in Zukunft unsere Aufträge ohne Unterbrechung bei Ihnen unterbringen können«.

Brutal, berichteten Geschröpfte, geht es in der Autobranche zu, die immerhin fast die Hälfte ihrer Teile in fremden Fabriken fertigen läßt. Großunternehmen wie der Wolfsburger Volkswagenkonzern, der sein 6,3 Milliarden Mark starkes Einkaufsvolumen auf 6000 Lieferanten verteilt, langen ungeniert hin, im Herbst 1974 etwa drückten die VW-Einkaufsmanager ihren Lieferanten im Schnitt die alten Preise auf, im Branchen-Jargon »Null-Tarif« genannt. Das Autogeschäft sei nun einmal schwierig.

Ihre Kollegen vom Verkaut dagegen erhöhten wenig später, im Krisenjahr 1975, die Preise für Käfer, Golfs und Sciroccos mit dem Argument gestiegener Kosten gleich zweimal.

Als VW-Chef Toni Schmücker im letzten Herbst einen Milliardengewinn ankündigte. mutete Einkaufsvorstand Horst Münzner seinen Feder-Lieferanten für 1977 nur magere 1,4 Prozent Plus zu obgleich Materialkosten und Löhne dieser Firmen um mehr als drei Prozent gestiegen waren.

Der Chemiekonzern Bayer verpflichtet in Ziffer acht seiner »Sonderbedingungen A« Zulieferer, dem Leverkusener Großunternehmen automatisch den niedrigsten Preis einzuräumen.

Obwohl das Kartellamt eine derartige »Meistbegünstigungsklausel« dem Großhandelsgiganten Metro bereits untersagt hat, hielten die Bayer-Manager an ihrer Klausel fest.

Der Stuttgarter Elektrokonzern Bosch hält es ähnlich. So schreibt der fünffache Umsatzmilliardär seinen Zulieferern vor: »Falls Bosch von anderer Seite gleichwertige Positionen zu niedrigeren Preisen angeboten werden und der Lieferer es ablehnt, diesen Preisen zu folgen, ist Bosch berechtigt. vom Abschluß zurückzutreten.«

Solche »Preisgleitklauseln« lehnte Ford-Einkaufsvorstand Alfred Langer, selbst Kunde bei Bosch, als »wettbewerbswidrig« ab.

»Ein Unternehmer, der von Bosch einen Auftrag bekommt«, will der Werkzeugbauer Franz Schlachter aus Karlsruhe wissen, »muß sich verkalkuliert haben.« Der Kleinunternehmer, der früher mit seinen 30 Mann jahrelang für Siemens Schalttafeln fertigte, dann aber in der Rezession »von heute auf morgen ausgebootet wurde«, bat von den »Großen die Nase voll«. Schlachter bedient inzwischen Kunden im Osten: »Ein Glück, daß wir die hart, aber fair verhandelnden Russen haben.«

Übel, aber noch immer üblich ist bei Preis- und Mengengesprächen zwischen Großen und Kleinen die Weigerung der Konzerne, ihrem abhängigen Lieferunternehmen die tatsächlich gewünschte Absatzmenge zu nennen. In der Regel wird nur die Lieferung eines festen Teils des (ungewissen) Konzern-Jahresbedarfs vertraglich vereinbart.

»Eine Abnahmeverpflichtung besteht jeweils nur in der Höhe unseres echten Bedarfs«, ließ sich etwa BMW attestieren. »Wir können nicht vor dem Hintergrund einer konkreten Absatzerwartung investieren«, klagte Joachim Schulz, Chef der Gevelsberger Gesenkschmiede Jellinghaus & Co. und letzte Woche Kartte-Gast.

Auch die Phantasie der Einkäufer aus den großen Handelsfirmen ist schier unerschöpflich obgleich die Prominentesten der Branche vor zwei Jahren einen öffentlichen Appell an die guten kaufmännischen Sitten unterschrieben. Selbst jene Konzerne, deren Topmanager die Wohlverhaltenserklärung unterschrieben, pressen munter weiter.

Der Zentraleinkäufer des Kaufhof-Konzerns für Kleiderstoffe, Otto Pal, etwa nahm in einem Rundschreiben die zum 1. Januar nächsten Jahres geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Anlaß, »die Reduktion des derzeitigen Einkaufspreises um ca. ein Prozent« bei 30 Textilfabrikanten anzumahnen.

Kaufhof-Manager Helmut Thoma, der 1975 als Sprecher aller Warenhäuser den Appell unterschrieb, hat davon (natürlich) keine Ahnung.

Während die etablierten Handelshäuser in den Stadtkernen, allen voran das zum Branchengrößten avancierte Karstadt-Neckermann-Kombinat (Umsatz: elf Milliarden Mark), zumeist auf die feinere Art unter Druck setzen (Karstadt-Schröder: »Wir nicht"), geben sich die rasch wachsenden Konsumkasernen auf den grünen Wiesen ungenierter, allen voraus zwei der erfolgreichsten Newcomer des Handels, Massa und Metro.

So soll der einkaufsmächtige Karl-Heinz Kipp, Chef der Massa-Märkte (1,5 Milliarden Mark Umsatz), von neuen Lieferanten fünfstellige »Eintrittsgelder« kassiert haben entgegen einem Urteil des Bundesgerichtshof es vom Dezember 1976.

»Eine Pervertierung des Wettbewerbs« (Dieter Löhr vom Wiesbadener Markenartikel-Verband) ließen sich die Manager der Cash & Carry-Kette Metro (Umsatz: rund acht Milliarden Mark) einfallen: Der Großhandelsgigant fordert seine Lieferanten »zur Eliminierung der Langsamdreher« aus den Metro-Regalen auf -- und lädt so sein Absatzrisiko auf andere ab.

Sogar Unternehmen wie die Deutsche Nestle bekommen die Macht ihrer Abnehmer, die Versuche der »Unzucht mit Abhängigen« (Nestlé-Chef Helmut Maucher), zu spüren.

Nur wenige Anbieter bleiben gelassen. Guido Sandler etwa, Chef des Eis- und Pudding-Riesen Oetker, sieht sein Verhältnis zu den Großfirmen des Handels so: »Halb zog sie ihn, halb sank er hin.«

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