Hartz-IV-Leistungen 345 Euro sind genug
Kassel - "Nach Auffassung des Senats ist es nicht verfassungswidrig, dass die Arbeitslosenhilfe durch das Arbeitslosengeld II ersetzt worden ist", sagte die Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts (BSG), Ruth Wetzel-Steinwedel. Es sei grundsätzlich zulässig, den Lebensbedarf nicht individuell, sondern für alle Leistungsempfänger einheitlich festzusetzen. Zur Begründung verwiesen die Kasseler Richter auf den weiten Spielraum des Gesetzgebers, der auch die Höhe der Leistung umfasse. (Az: B 11b AS 1/06 R)
Das Urteil war mit großer Spannung erwartet worden. Denn hätten die Richter der Klägerin Recht gegeben, hätte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Regelsätze des Arbeitslosengeld II neu verhandeln müssen und den Gesetzgeber eventuell zu einer Nachbesserung aufgefordert.
Mit dem heutigen Richterspruch wies das BSG die Klage einer früheren Industriearbeiterin aus dem badischen Landkreis Lörrach ab. Sie hatte bis 2004 Arbeitslosenhilfe erhalten. Mit Inkrafttreten der Hartz-IV-Reform im Januar 2005 wurde ihr eine weitere Unterstützung von der Agentur für Arbeit wegen mangelnder Hilfsbedürftigkeit verweigert. Die Behörde hatte bei der Berechnung die Schwerbehindertenrente des Ehemannes der Klägerin und die Berufsausbildungsbeihilfe sowie das Kindergeld der 22-jährigen Tochter berücksichtigt. Im Ergebnis wurde für die gemeinsame Haushaltsgemeinschaft ein Gesamtbedarf in Höhe von 857,85 Euro errechnet. Die Klägerin erklärte, der Regelsatz sei so niedrig, dass nicht das gesetzlich garantierte Existenzminimum gewährleistet sei.
Ihr Anwalt Bernd Wieland griff die zugrundeliegenden Festsetzungen der Hartz-IV-Reformen zum Lebensbedarf als grundgesetzwidrig an. Es sei nicht nachvollziehbar, wie es zur Höhe des Regelsatzes von 345 Euro pro Monat gekommen sei. "Weder das physische noch das soziokulturelle Existenzminimum kann von solch einem Betrag gewährleistet werden", argumentierte er. Das Gesetz gehe davon aus, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II nach kurzer Zeit wieder von Erwerbsarbeit leben könnten. Angesichts der Arbeitsmarktlage sei das eine "romantische und illusionäre Vorstellung". Dieser Argumentation wollten sich Deutschlands oberste Sozialrichter jedoch nicht anschließen.
Anwalt will Verfassungsgericht anrufen
Damit ist der juristische Kampf um die Hartz-IV-Reform aber nicht automatisch beendet. Anwalt Wieland kündigte an, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte ebenfalls bereits im Vorfeld erklärt, weitere juristische Wege zu suchen, sollte der Regelsatz vom BSG anerkannt werden. "Wir sind der Überzeugung, dass mit diesen 345 Euro nicht mal mehr eine Mindestteilhabe an dieser Gesellschaft gesichert werden kann. Und das ist das, was unser Sozialstaat verlangt", hatte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, heute im ZDF-"Morgenmagazin" erklärt.
Vor den 345 Euro für einen Erwachsenen und den 207 Euro für ein Kind müsse alles außer Miete und Heizung gezahlt werden. "Schon der gesunde Menschenverstand sagt, das geht nicht", erklärte Schneider. Der Wohlfahrtsverband fordere deshalb eine Erhöhung des Regelsatzes auf 415 Euro monatlich, sagte er. Das würde etwa vier Milliarden Euro im Jahr kosten. Bei der Reform der Unternehmensteuer allein seien Ausfälle von acht Milliarden eingeplant, rechnete Schneider dagegen. Auch der umstrittene Umzug des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin bewege sich in einer Größenordnung von vier Milliarden. "Das Geld ist da", sagte er, "es geht um die Prioritäten".
ase/AP/AFP/dpa