AFFÄREN Hat nie gestimmt
Zweimal wöchentlich bittet Staatsanwalt Heinz Kurt Flücht zum Verhör. »Alle kommen dran«, verspricht Flücht, der den Milliardenkonkurs der Beton- und Monierbau (BuM) untersucht, »auch Aufsichtsräte und Minister.«
Damit auch wirklich keiner ausgelassen wird, hat der Staatsanwalt nach zwölfmonatiger Recherche erst einmal seine Mannschaft verstärkt. Drei weitere Staatsanwälte, darunter ein Abteilungsleiter für Wirtschaftsstrafsachen, sowie drei Wirtschaftsprüfer sollen bei der Suche nach den Hauptschuldigen in der größten deutschen Bau- und Bürgschaftsaffäre der Nachkriegszeit helfen.
Peinliche Fragen der Staatsanwaltschaft zielen vor allem auf die Westdeutsche Landesbank (WestLB), die dem Baukonzern jahrelang als Großaktionär, Hauptkreditgeber und durch einen Sitz im Aufsichtsrat verbunden war. Die Ermittlungsbeamten argwöhnen, daß die Staatsbankiers allzu zielstrebig nur die Interessen ihres Hauses verfolgten, während der Baukonzern in die Pleite rutschte.
Die Beton- und Monierbau AG ging im April letzten Jahres in Konkurs, weil die WestLB sich plötzlich weigerte, S.62 neue Verluste aus Geschäften in Algerien, Nigeria und der Bundesrepublik von über 200 Millionen Mark mitzutragen. Wenige Monate zuvor hatte die WestLB ihr Sorgenkind noch als gesund und kräftig präsentiert.
Aus gutem Grund wohl. Denn im Jahr vor der Pleite galt es, dem angeschlagenen Baukonzern eine Landesbürgschaft über 70 und eine Bundesgarantie über 50 Millionen Mark zu beschaffen. Gut sechs Monate vor dem Konkurs wollten die Landesbankiers überdies noch BuM-Aktien im Wert von 89 Millionen Mark an gutgläubige Sparer und Spekulanten verkaufen.
Die Aktionäre des Baukonzerns ahnten nicht, daß ihre 89 Millionen hauptsächlich der Rückzahlung von Kurzkrediten an die WestLB dienten. Und der Staatsanwalt vermutet, daß die Bankiers auch bei der Anfang 1978 beantragten Landesbürgschaft vor allem an sich dachten.
Wichtige Hinweise entdeckten Flüchts Mitarbeiter zunächst im Hause des nordrhein-westfälischen Finanzministers Diether Posser. Trotz erheblicher Bedenken hatte Posser damals die 70-Millionen-Bürgschaft bewilligt.
Possers ständiger Vertreter im Verwaltungsrat der Landesbank, Karl Hermanns, war als erster stutzig geworden und hatte den Minister über Ungereimtheiten in der Politik der WestLB informiert. Hermanns saß nämlich auch im Kreditausschuß der Bank und nahm zeitweilig sogar an Vorgesprächen des Landesbürgschaftsausschusses teil. Er kannte damit als einziger sämtliche Kredit- und Bürgschaftsvorlagen der BuM-Gruppe.
Noch ehe der Düsseldorfer Landtag Anfang März 1978 die Bürgschaft für den Baukonzern endgültig bewilligte, übergab Hermanns seinem Minister eine achtseitige Warnung: Er stellte fest, daß die Landesbank »Kreditausschuß und Bürgschaftsausschuß unterschiedlich unterrichtet« hatte.
Die Doppelzüngigkeit machte Sinn: Der Kreditausschuß der WestLB mußte sich erst einmal bereit erklären, einen Teil der Bürgschaft selbst zu übernehmen und so die Grundlage für die Landesgarantie zu schaffen. Da aber über den Verwaltungsrat der Bank Landespolitiker auch im Kreditausschuß saßen, konnte WestLB-Vorstandsmitglied und BuM-Aufsichtsrat Vinzenz Grothgar ein positives Votum nur mit einer geschönten Bilanz und positiven Planzahlen erlangen.
So berichtete er seinem Kreditausschuß von »Teilgewinnrealisierungen bei unfertigen Bauten«, vom »Ankauf nicht fälliger Wechsel« durch die WestLB und einem »Leasing-Verfahren beim Gerätepark«, Maschinen wurden also nur gemietet, nicht gekauft.
In der Vorlage des Bürgschaftsausschusses dagegen, stellte Possers Aufpasser S.64 Hermanns trocken fest, hätte er über diese Kraftakte zur Verschönerung der Bilanz vielfach »keine Angaben« gefunden.
In Hermanns' Aktenvermerken kommt vor allem auch WestLB-Chef Johannes Völling schlecht weg. Völling habe, so geht es aus den Posser-Unterlagen hervor, am Tage seiner offiziellen Wahl zum Nachfolger Ludwig Poullains als Bankchef den versammelten Verwaltungsräten und Landesministern keinen reinen Wein eingeschenkt.
»Herr Dr. Völling«, hält Hermanns in sauberem Amtsdeutsch fest, »berichtete nicht über die weiteren Maßnahmen, die in der Vorlage des Bürgschaftsausschusses aufgeführt sind.« Erst recht habe der frisch gekürte Bankboß verschwiegen, daß der Groß-Schuldner BuM nur noch mit gewagten Aktionen und weiteren Krediten vor dem Kollaps bewahrt werden konnte.
Mit keinem Wort habe Völling seine Verwaltungsräte darüber aufgeklärt, daß zuvor der Kreditausschuß seiner Bank Entscheidungen zur Verbesserung der BuM-Bilanz für notwendig gehalten hatte, die »über die Vorlage des Landesbürgschaftsausschusses hinausgingen": Hermanns' schonungsloses Fazit: »Der Vortrag des Vorstandes ließ weder den Ernst der Situation bei BuM erkennen, noch wies er tragfähige Ansätze für ein langfristiges Sanierungskonzept auf.«
Diese neuen Fahndungsergebnisse der Staatsanwälte machen der WestLB besonders arg zu schaffen, weil sie noch immer mit dem Landesrechnungshof wegen ganz ähnlicher Vorwürfe streitet. Die Beton- und Monierbau, behaupten die Prüfer des Rechnungshofes, hätte überhaupt keine Bürgschaften mehr erhalten, wenn die Landesbank ihr ganzes Wissen um die bedrohliche Finanzlage weitergegeben hätte.
WestLB-Vorstandsmitglied Vinzenz Grothgar, lange Zeit als stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat des Baukonzerns, habe nach den Recherchen des Rechnungshofes das Bankgeheimnis mißverstanden: Er hätte dem Gesamtvorstand der WestLB alle wichtigen Tatsachen über BuM berichten müssen. Der Vorstand hätte dann den Landtagsausschuß informieren sollen.
Das Land könne sich nicht auf Beratung durch einen Bankier verlassen, folgern die Gutachter, wenn nicht sichergestellt sei, »daß dieser auch das vollständige Wissen der Bank in die Beratung einbringt«.
Die Landesbankiers wollten Härte zeigen: Sie drohten dem Rechnungshof mit einer Unterlassungsklage. Dann knickten sie jedoch wieder ein und baten das Gericht, den Fall bis auf weiteres ruhen zu lassen.
Der Landesrechnungshof zeigte sich denn auch kaum beeindruckt. In einem »vertraulichen Einschreiben« ließen die Staatskontrolleure inzwischen Finanzminister Posser wissen, daß der Verwaltungsrat der Bank nach nur zwölf Stunden »Prüfung« die »Auffassungen der WestLB ohne vollständige Kenntnis aller Unterlagen bestätigt« hat. Dagegen habe der Landesrechnungshof »zweieinhalb Monate für seine Prüfung bei vier verschiedenen Beteiligten aufgewendet«.
Im Gegensatz zu den WestLB-Prüfern habe der Landesrechnungshof, so Direktor Wilhelm Viebahn an Posser, erst dann »seine Entscheidung getroffen, nachdem er sich an Hand von schriftlichen Unterlagen und Aktenvermerken, die mehr als zehn Ordner füllen, ein abgerundetes, objektives Bild gemacht hatte«.
Die Landesbank hätte 1978 dem Kreditausschuß, dem Landesbürgschaftsausschuß und dem Haushalts- und Finanzausschuß Entscheidungen über Kredit- und Bürgschaftsgewährung zugemutet, ohne konkrete Zahlen des Jahres 1977 vorzulegen. Die Bank hätte lediglich Planzahlen vorgelegt -- und diese »haben in der Vergangenheit nie gestimmt«.
Als erster zog der zehnköpfige Gläubiger-Ausschuß die Konsequenzen aus den bekanntgewordenen Details der BuM-Pleite. Anfang des Monats beauftragte er Konkursverwalter Friedrich Wilhelm Metzeler, der Landesbank einen Mahnbescheid zu schicken.
Metzeler verlangt nun die Summe zurück, die Beton- und Monierbau neun Wochen vor der Bewilligung der 70-Millionen-Bürgschaft an die WestLB abführen mußte. Das waren exakt 70 638 230 Mark.
Das Geld, meint Metzeler, gehöre in die Konkursmasse. Die WestLB habe damals zusammen mit der BuM-Führung darauf hingewirkt, alle übrigen Gläubiger einseitig zugunsten der Landesbank zu benachteiligen.