Hauptversammlungen Aktionäre auf Absahnertour

In den kommenden Wochen stehen die Hauptversammlungen der Dax-Konzerne an. Doch vermutlich bleiben die meisten Sitzreihen leer, das Interesse der Aktionäre ist gering. Dabei haben sie in dieser Saison mehr Macht als je zuvor.
Von Lutz Knappmann und Karsten Stumm

Die wichtigste Zahl auf der Hauptversammlung (HV) hat nichts zu tun mit Gewinn oder Umsatz, Ebit oder KGV. Wenn die HV-Saison 2006 nun allmählich ins Rollen kommt, schauen die Konzernlenker bangen Blickes auf die Präsenzzahlen: Kommen diesmal endlich wieder mehr Anleger zum Jahrestreffen als im Vorjahr? Zuletzt war das Aktionärsinteresse so gering wie selten: Gerade einmal 45,8 Prozent der stimmberechtigten Anteilseigner kamen 2005 durchschnittlich bei den Dax-Hauptversammlungen zusammen. Und der Trend ist schon seit Jahren negativ.

Kein Wunder: Viele, vor allem kleinere, ausländische Investoren scheuen den HV-Besuch aus Zeit- und Kostengründen. Sparkassen und Volksbanken weigern sich mittlerweile, die Stimmen ihrer Depotkunden zu vertreten. Und bei vielen Kleinaktionären hat sich das Bild festgesetzt, ihre Stimme ändere ohnehin nichts. Einmal allerdings schien das im vergangenen Jahr anders zu sein.

Als die Deutsche Börse 2005 zur Hauptversammlung in die Frankfurter Jahrhunderthalle rief, versammelten sich knapp 60 Prozent ihres stimmberechtigten Kapitals. So viel wie noch nie in der Geschichte des Börsenbetreibers - und weit mehr als üblich für das Aktionärstreffen eines Dax-Unternehmens.

Doch so richtig taugt die Deutsche Börse   nicht als Vorbild. Denn bevor das Aktionärstreffen überhaupt startete, waren die wichtigen Entscheidungen gefallen. Ein paar rebellische Hedgefonds hatten die umstrittene Expansionsstrategie des Frankfurter Börsenbetreibers torpediert und Börsenchef Werner Seifert abgesägt. Dabei vereinigten die Aufständler zusammen gerade einmal zehn Prozent der Stimmanteile auf sich.

Das offenbart das Dilemma. Je geringer die Präsenz auf den Hauptversammlungen, desto größer der Einfluss vergleichsweise kleiner Interessengruppen. Doch weil viele Anleger um diesen Einfluss wissen, gehen sie erst gar nicht hin. So schafft sich die Hauptversammlung als ernstzunehmendes Entscheidungsgremium auf Dauer selbst ab.

Einen Teil ihres antizipierten Bedeutungsverlustes haben sich die Aktionäre selbst zuzuschreiben. Allzu häufig entwickeln sich die Fragerunden zu stunden-, wenn nicht tagelangen Marathonsitzungen. Auch deshalb, weil wirre Aktionäre die Gelegenheit nutzen, endlose Fragekataloge abzulesen oder Anekdoten zum Besten zu geben.

Nicht selten verwechselten Anteilseigner ihre Hauptversammlungen auch mit Butterfahrten. Reiseführer gaben Tipps für Aktionärstreffen, bei denen die leckersten Buffets gereicht wurden. Die schamlosesten Aktionäre ließen sich dort Schweinemedaillons und Krabbensalat in Plastikdosen abfüllen, genug für das Mittagessen der kommenden Woche.

Aktionärstreffen umkrempeln

Daraus haben Deutschlands börsennotierte Aktiengesellschaften die Konsequenz gezogen. Statt aufwändiger Buffets gibt es nur noch Kleinigkeiten, Geschenke aus der eigenen Produktion fast nirgendwo mehr. Beispiel Bayer: Das Leverkusener Chemie- und Pharmaunternehmen verteilte unter seinen Aktionären bei jeder Hauptversammlung körbeweise Gratisproben. Tausende kamen nur deshalb. Damit ist Schluss – und seitdem verzeichnet Bayer deutlich geringeren Zulauf zu seinen Hauptversammlungen.

Den Absahnertourismus haben Bayer & Co. so zwar eingeschränkt. Doch dafür verschärften sie ihr Problem, zu wenige Aktionäre zum Besuch ihrer Hauptversammlung zu bewegen. In diesem Jahr könnten in den Versammlungshallen besonders viele Sitzreihen frei bleiben.

Die Anteilseigner der meisten großen deutschen Aktiengesellschaften haben wenig Grund zum Meckern. Warum sollen sie die Reise zur Hauptversammlung dann auf sich nehmen? Schließlich sind die Kurse ihrer Wertpapiere im vergangenen Jahr zumeist deutlich gestiegen; allein der Index der 30 bedeutendsten deutschen Aktienunternehmen legte in diesem Zeitraum um mehr als 25 Prozent zu. Darüber hinaus zahlten die Konzerne ihren Anteilseignern gewaltige Dividendensummen. Die 30 Dax-Konzerne zum Beispiel überwiesen ihnen 21 Milliarden Euro, stolze 44 Prozent mehr als im Vorjahr - und so viel wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Über das eigentliche Geschäft ihrer Gesellschaften dürfen die Aktionäre ohnehin nicht mitbestimmen. Wollten sie beispielsweise dem kompletten Vorstand die rote Karte zeigen, dürfen sie ihm zwar die Entlastung verweigern. Doch das bleibt ohne juristische Konsequenzen. Anders sieht es aus, wenn sie gemeinsam gegen einen einzelnen Vorstand vorrücken. Mit einfacher Mehrheit könnten sie einem Vorstand das Vertrauen entziehen und so seine Abberufung erzwingen – doch das hat es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte noch so gut wie nie gegeben.

Macht über die Gehaltsfrage

Wem die Geschäfte seiner Vorstände wirklich gegen den Strich gehen, besucht deshalb längst nicht mehr die Hauptversammlung des Unternehmens. Es gibt eine wirkungsvollere Einflussmöglichkeit: der Gang vor Gericht. Investoren nutzen immer häufiger das juristische Mittel der Anfechtungsklage, um gegen unliebsame Entscheidungen ihrer Unternehmen vorzugehen. Nicht selten blockieren sie damit sogar wichtige Unternehmensentscheidungen wie Fusionen. Das hat zuletzt das Management der Deutschen Telekom zu spüren bekommen. Die angestrebte Wiedereingliederung ihrer Internettochter T-Online hängt noch immer in der Luft, weil einige Anteilseigner dagegen prozessieren.

Die Hauptversammlung würde für ernsthafte Anleger wieder Sinn machen, wenn die Aktionärstreffen umgekrempelt würden. Weg vom Podium für Selbstdarsteller und Vorstandsbeleidiger, hin zu Entscheidungs- und Mitbestimmungsforen. Wie das wäre, können Aktionäre in diesem Jahr einmal testen.

Denn die Vorstände der börsennotierten Aktiengesellschaften sind in diesem Jahr auf das Votum ihrer Aktionäre angewiesen, wenn ihr Gehalt auch in Zukunft geheim bleiben soll. Dazu brauchen sie die Zustimmung von drei Vierteln aller Aktionäre. Kommt die Mehrheit nicht zu Stande, muss jeder einzelne Vorstand ab dem Jahr 2007 offen legen, wie viel er verdient – inklusive Gewinnbeteiligungen und sonstiger Nebenleistungen.

So viel Macht haben die Aktionäre selten auf Hauptversammlungen. Ob sie die in diesem Jahr nutzen?

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